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Grenchen

Jetzt kommen die Juristen zum Zug

Hat die Stadt rechtens gehandelt, als sie in Eigenregie die Aufhebung der Stadtpolizei beschloss und den Vertrag mit dem Kanton kündigte? Die Grünliberale Partei will gegen den Gemeinderatsbeschluss beim Kanton Beschwerde einlegen.

Symbolbild: Keystone

Brigitte Jeckelmann

Das Drama um die Grenchner Stadtpolizei geht in eine weitere Runde: Gestern hat Christian Riesen, der Organisator der Grenchner Messe Mia seine Sammlung mit 659 Unterschriften bei Stadtschreiberin Luzia Meister deponiert. Das sind mehr als fünf Prozent aller Stimmberechtigten, die nötig wären, um eine Gemeindeversammlung einzuberufen.

Der Grund für die Sammlung: Das Volk soll darüber entscheiden, ob es in Grenchen eine Stadtpolizei braucht oder nicht. Zur Erinnerung: An der letzten Gemeinderatssitzung hatte die Gemeinderatskommission die Aufhebung der Stadtpolizei beantragt. 14 von 15 Gemeinderäten stimmten dem zu. Als Einziger dagegen war Gemeinderat Patrick Zberg von der GLP. Christian Riesen wie auch die GLP erheben schwere Vorwürfe gegen die Stadt: Sie solle sowohl das kantonale Gesetz wie auch die eigene Gemeindeordnung missachtet haben. Denn dort steht klar: Der Entscheid liegt beim Volk.

 

Befugnisse überschritten?

Hat der Gemeinderat also seine Kompetenzen überschritten, wenn er die Aufhebung der Stadtpolizei in Eigenregie beschliesst? Ein Blick ins Gemeindegesetz und eine Anfrage bei Reto Bähler vom kantonalen Amt für Gemeinden lässt diesen Schluss zu. In Paragraf 56 Absatz 1 Buchstabe a steht wortwörtlich unter den nicht übertragbaren Befugnissen der Gemeindeversammlung: Sie erlässt und ändert die Gemeindeordnung. Im Klartext: Die Unterschriftensammlung, die Christian Riesen angestossen hat, wäre eigentlich gar nicht nötig gewesen, weil der Gemeinderat die Auflösung der Stadtpolizei dem Volk hätte vorlegen müssen. Denn ein solcher Entscheid macht eine Änderung der Gemeindeordnung nötig – und diese liegt laut Gemeindegesetz allein in der Kompetenz des Stimmvolks. Die Stadt ging aber genau andersrum vor: Erst beschlossen die fünf Mitglieder der Gemeinderatskommission – die notabene gleichzeitig Gemeinderatsmitglieder sind – die Aufhebung der Stadtpolizei. Dann stellen sie diesen Antrag den übrigen Gemeinderäten und fällen den Beschluss.

 

Ordnung missachtet?

Am Montag informierte Stadtschreiberin Luzia Meister im Namen der Fraktionschefs per Medienmitteilung über die weiteren Schritte zur Aufhebung, die Anfang 2023 vollzogen sein sollen: «Die entsprechenden Kreditanträge und die Änderungen der Gemeindeordnung und weiterer Reglemente werden der Gemeindeversammlung zu gegebener Zeit vorgelegt», heisst es am Schluss der Mitteilung.

Das Gemeindegesetz sagt das Gegenteil dessen, was die Stadt schriftlich vorlegt. Doch das ist noch nicht alles. Nicht nur hat sich die Stadt beim Entscheid zur Aufhebung über das Gemeindegesetz hinweggesetzt. Ebenso hat sie die eigene Gemeindeordnung missachtet, indem der Gemeinderat Mitte November letzten Jahres eigenmächtig den Vertrag mit dem Kanton über die Abgeltung der Dienstleistungen der Stadtpolizei auflöste. Unter Paragraf 16 zum Thema Finanzkompetenzen steht klar, dass die Stimmberechtigten an der Urne entscheiden müssen, falls es um Ausgaben – oder in diesem Fall Einnahmeeinbussen – von Beträgen von über 500 000 Franken geht. Der Kanton bezahlte der Stadt jährlich über 600 000 Franken für die Arbeit der Stadtpolizei.

 

GLP ficht Entscheid an

Was heisst das nun für die Stadtpolizei und die 659 Stimmberechtigten Grenchnerinnen und Grenchner, die ein Wörtchen bei der Aufhebung mitreden möchten? «Noch steht der Gemeinderatsbeschluss im Raum», sagt Reto Bähler, Leiter beim kantonalen Gemeindeamt. Was bleibt also zu tun? Den Beschluss anfechten? «Zum Beispiel», sagt Bähler, der klarstellt, den Vorfall in Grenchen nicht kommentieren zu wollen. So viel lässt er sich aber entlocken: Stimmberechtigte können zuhanden des Volkswirtschaftsdepartements Beschwerde gegen den Entscheid des Gemeinderats erheben, wenn der Beschluss die politischen Rechte der Stimmberechtigten verletzen kann.

Für Patrick Crausaz, Sprecher der Grünliberalen Partei Grenchen, ist klar: «Der Gemeinderat hat die politischen Rechte missachtet, das geht nicht.» Er ärgert sich über die Intransparenz des Gemeinderats und der Gemeinderatskommission. Erst habe der Gemeinderat im November von einer Volksabstimmung zum Thema Stadtpolizei gesprochen. Dann beantragte die Gemeinderatskommission zuhanden des Gemeinderats die Aufhebung auf direktem Wege. «Die Abstimmung wurde einfach unter den Tisch gekehrt», sagt Crausaz am Telefon.

An seiner Sitzung vom Dienstag vergangener Woche hatte der Gemeinderat die Aufhebung beschlossen. In der Medienmitteilung von Stadtschreiberin Luzia Meister im Namen der Fraktionspräsidenten vom Montag heisst es nun: Würde die Stadtpolizei in Grenchen verbleiben «müsste infolge des strukturellen Defizits mit einer Steuererhöhung von sechs Prozent gerechnet werden».

Die GLP werde die Sache nicht auf sich beruhen lassen, und beim Kanton noch heute Beschwerde einlegen, sagt Patrick Crausaz.

 

Aufgaben retour an Kanton

Stadtschreiberin Luzia Meister reagiert gelassen auf die Vorhalte. Der Gemeinderat sei der Meinung, dass die Stadt eine Vereinbarung, die sie selber getroffen hatte, auch selber wieder auflösen könne. Zudem gehe es bei der Kündigung des Vertrags mit dem Kanton nicht darum, dass der Stadt nun jährlich 650 000 Franken Abgeltung entgehen, im Gegenteil: «Der Aufwand der Stadtpolizei für die freiwillig übernommenen kantonalen Aufgaben kostet viel mehr als dieser Betrag», hält sie fest.

Hinzu kommt: Die Stadtpolizei habe bisher Aufgaben des Kantons ausgeführt. Mit anderen Worten, wenn die Stadtpolizei diese nicht mehr betreut, werden sie neu von der Kantonspolizei übernommen. Die Aufgaben würden also nach wie vor zugunsten der Bevölkerung erledigt; der Kanton werde dazu seinen Polizeiposten am Marktplatz ausbauen und um etwa 15 Personen aufstocken. Das habe man der Bevölkerung offenbar nicht klar genug kommuniziert.

Die Stadt mache nun nichts anderes, als dem Kanton seine angestammten Aufgaben zurückzugeben – mit dem Unterschied, dass Grenchen damit Einsparungen rund 1,6 bis zwei Millionen Franken zugute kämen. Meister weiter: «Irgendwo müssen wir sparen, es geht nicht anders, wo sollen wir sonst sparen?» Wenn die Stadtpolizei nicht mehr ist, übernimmt die Kantonspolizei. Wenn man aber zum Beispiel die Badi wegsparen würde, wäre diese Leistung weg.

Die Stadt werde nun als Nächstes die Unterschriften prüfen und bei einer Beschwerde würde der Sachverhalt juristisch gewürdigt.

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