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Tadschikistan

Karge Berge, böse Menschen?

Martina Zürcher wird von Verwandten gewarnt, nicht nach Tadschikistan zu fahren, es sei zu gefährlich. Doch sie wagt es doch und bereut es zu Beginn schon fast. Doch dann kommt alles anders.

Je karger die Landschaft, desto freundlicher die Menschen. Bild: Dylan Wickrama
  • Dossier

Martina Zürcher

Tadschikistan – die Beamten sitzen in zu Zollbüros umfunktionierten Schiffscontainern, hinter dem wackligen Schreibtisch steht ein Ofen, darauf brodelte ihr Essen, auf den Feldbetten im Nebenraum dösen die, die gerade keinen Dienst haben und wir werden gebeten, vor dem Eintreten die Schuhe auszuziehen. Wir sind unterwegs auf dem Pamir Highway, einer der höchsten Strassen der Welt, an der Grenze zwischen Kirgisistan und Tadschikistan. Wir haben zwar ein E-Visa auf dem Smartphone, aber der Strichcode wird nicht gescannt, sondern die Zahlen von Hand in ein dickes Buch übertragen. Als wir den Einfuhrzoll fürs Fahrzeug bezahlen, wäre eigentlich alles erledigt. Einmal mehr relativ schnell und freundlich. Aber wie im Internet vorgewarnt, versuchen nun weitere Beamte an drei Stellen, Geld von uns zu erhalten. Die Männer werden wütend und einschüchternd, als wir uns dagegen wehren, worauf hin sie beginnen, uns und unseren Bus mit dem Handy zu filmen. Was tun sie mit den Bildern? Schicken sie es an den nächsten Polizeiposten oder gar an ihre Freunde, die vielleicht irgendwas mit dem IS zu tun haben?

 

Terror macht Angst
Die Schlagzeilen der schrecklichen Anschläge auf Velo-Touristen zwei Monate zuvor ziehen durch unsere Gedanken. «Wer jetzt nach Tadschikistan reist, ist blöd,» hatte uns kurz zuvor jemand gesagt. Unsere Antwort darauf war: Dann darfst du auch an keinen Weihnachtsmarkt mehr, an kein Konzert, nicht mal an den Strand. Barcelona, Paris, London, Stockholm, Nizza, Berlin. Alle als Reiseziele gestrichen. Wir entschieden, dem Land trotzdem eine Chance zu geben. Jetzt bereuen wir es fast. Was erwartete uns hier noch, wenn die offiziellen Stellen so drauf sind?

Bis jetzt hatten wir an allen Grenzübergängen, bei jeglichen Polizeikontrollen auf der gesamten Reise nur Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft erlebt. Die zentralasiatischen Länder, inklusive Russland, haben sich entwickelt: Korruption war uns zuvor nirgends begegnet. Aber Tadschikistan ist mit Abstand das ärmste Land der ehemaligen Sowjetunion. Sehr wahrscheinlich verdienen die Zöllner so wenig, dass sie irgendwas tun müssen, um ihren Lohn aufzubessern. Wir haben aber aus Prinzip keine Lust, dieses System zu stützen. Zumal die Beamten extrem unhöflich zu uns sind. Ihr Ziel haben sie nicht erreicht, aber dasjenige der Terroristen: Sie schüren Angst.

Wir verlangen von den Männern, die Videos zu löschen, sie weigern sich. Schliesslich wird Dylan so laut, dass auch der zuständige Major aufgeweckt wird und sich einschaltet. Er lässt die Bilder löschen. Dann beschwichtigt er uns, aber die Aktion seiner Männer lässt uns den ganzen Tag missmutig und irgendwie geknickt durch die unglaublich schöne Hochgebirgslandschaft fahren.

 

Die Versöhnung
Als wir Tadschikistan anderthalb Wochen später auf der anderen Seite des Pamir Highways verlassen, fragt der Zollbeamte: «Hat es Ihnen bei uns gefallen?»

Wir müssen nicht überlegen «Ja! Sehr!»

Die ganz normalen Menschen sind uns überall mit einer unglaublichen Gastfreundschaft aufgefallen. Wo die Berge am steilsten und kahlsten sind, haben uns die Menschen mit der grössten Wärme und Herzlichkeit empfangen, die wir je erlebt haben. Nicht nur auf dieser Reise, sondern (von unserer Erfahrung her) global gesehen. In fast jedem Dorf hatte man uns zu Tee eingeladen. Und Tee bedeutet hier nicht ein Glas heisses Wasser mit Kräutern drin, sondern einen Tisch prall gefüllt mit Joghurt, Butter, Keksen, Äpfeln, Brot und Fleisch. Wir haben zudem entlang der holprigen Pisten so viele Äpfel, Aprikosen und Tomaten geschenkt erhalten, dass wir daraus Kuchen, Konfitüre und Suppe machen mussten. Die Einladungen zum Tee waren zahlreich und jeder, der uns begegnete, vom alten Mann bis zum kleinen Mädchen, winkte uns zu. Wenn sie uns nicht mit einer Einladung zum Tee stoppten, so legten sie zum Gruss die Hand aufs Herz und nickten freundlich in unsere Richtung. Sogar die Menschen auf der anderen Seite der Grenze, da wo nur ein Fluss Tadschikistan von Afghanistan trennt, winkten fröhlich zu uns hinüber.

Wir fühlten uns nach den unschönen Erlebnissen bei der Einreise nie bedroht, sondern überall mehr als willkommen, was die Angst verblassen und die Freude zurückkehren liess. War es eine gute Idee, hier gewesen zu sein? Ja, definitiv, denn unentschuldbare Aktionen einzelner Individuen dürfen nicht generalisiert werden. Weder in Tadschikistan noch sonst wo.

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