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Twann

Kiosk, Infostand und ein offenes Ohr

Ruth Imhof hat 27 Jahre lang Kunden am Twanner Kiosk bedient und vielen Touristen Auskünfte gegeben. Nun geht sie in Pension. Der Kiosk bleibt Twann aber erhalten.

Ruth Imhof im Twanner Kiosk, der bereits geräumt ist. 27 Jahre lang hat sie hier Kunden bedient, Bild: Rebecca Gangl/bt

von Rebecca Gangl

Ruth Imhof ist gerade im Gespräch mit einem Stammkunden. «Seit Samstag ist die Lotto-Maschine abgestellt», erklärt die Kioskbesitzerin dem Mann, der spielen will. Überhaupt ist der Kiosk seit wenigen Tagen geschlossen und geräumt. Einzig geputzt werden muss noch. Nach 27 Jahren im Twanner Kiosk geht Ruth Imhof in Pension. Lotto spielen muss der Mann vorerst woanders.

Unzählige Stunden hat Imhof in dem engen Kiosk am Bahn- hof verbracht. Erst arbeitete sie zum Stundenlohn. Vor 16 Jahren wurde sie zur Leiterin. Seit 2003 ist sie auch Inhaberin des Kiosks. «Ich habe viel gearbeitet. Einen Tag in der Woche hatte ich frei, für mehr als zwei Wochen Ferien im Jahr hat es nicht gereicht», sagt sie. Zwar sei es keine körperlich harte Arbeit. Doch die Präsenzzeit sei enorm. Kommt dazu, dass sie ihren freien Tag dazu nutzen musste, um die Bestellungen für die kommende Woche zu erledigen. Aber sie habe die Arbeit gern gemacht. «Mir gefällt der Kontakt mit den Menschen sehr. Und ich habe immer gerne mit Zeitungen gearbeitet.» Bevor sie beim Kiosk war, hat sie bei der Inseratenannahme gearbeitet.

 

Kennt die Gewohnheiten

Imhof wohnt in Kleintwann, wo sie aufgewachsen ist. Um 5.15 Uhr war sie jeweils im Kiosk, eine Viertelstunde später öffnete sie die Storen. «Den Hauptumsatz habe ich am Morgen gemacht.» Pro Woche legte sie 40 bis 60 Zeitungen für ihre Stammkunden zur Seite. Sie habe stets genau gewusst, welche Zeitungen für wen. Und sie könne auch aus dem Stegreif jede dieser Zeitungen den Kunden zuordnen. «Das ist Routine. Und die Leute schätzen es, wenn ich weiss, was sie wollen.» So kenne sie auch die Lieblingszigarettenmarken oder sonstige Kaufgewohnheiten ihrer Stammkunden.

«Ruth, du fehlst jetzt schon», sagt eine Frau, die hinzukommt. In Twann kennen sie fast alle mit Namen. Imhof selbst kennt das Dorf wie sonst wohl kaum jemand. «Ich vernehme sehr Vieles, aber tratschen will ich nicht», sagt sie. 70 Prozent der Kunden seien Stammkunden. Und viele würden von ihren Sorgen erzählen. Das beruhe auf Gegenseitigkeit. So hätten ihr die Kunden nach dem Tod ihres Partners enorm weitergeholfen. «Ich war ‹gottefroh›, dass ich noch im Kiosk arbeitete.» Die Leute hätten sie wahnsinnig unterstützt, sagt sie, und ihr mit Gesprächen geholfen. Ihr Partner sei eine grosse Stütze gewesen, und habe sie ursprünglich auch motiviert, den Kiosk zu übernehmen. Wenn er eine Klasse auf Schulreise bemerkt habe, sei er mit dem Velo zum Kiosk gefahren und habe ihr beim Verkauf geholfen, erinnert sich Imhof. So habe sie den Überblick über die Waren behalten können und die Kinder hätten weniger stehlen können. Das sei immer wieder vorgekommen. «Sie sehen das wie ein Spiel. Es waren nie grosse Beträge, gemerkt habe ich es nachher immer. Böse war ich aber nie», sagt sie.

Angst vor Überfällen hat sie nicht gehabt. Es habe aber insgesamt vier oder fünf Einbrüche gegeben, sagt Imhof. Bei einem sei sie anwesend gewesen. Während sie am Schaufenster nebendran arbeitete, kniete ein Mann auf die Theke und langte nach dem Geld in der Kasse. Als sie das sah, zog sie ihn am Bein heraus und beschimpfte ihn. Er flüchtete, die Polizei konnte ihn verhaften, nachdem er in den Bielersee gesprungen war.

Auch nach solchen Momenten hat Imhof nie ans Aufhören gedacht. «Nachdem ich angefangen habe, wollte ich nie etwas anderes machen.» Auch wenn es schlechte Tage gab, an denen das Wetter nicht mitspielte und sie wusste, dass sie kaum etwas verkaufen würde. Denn sie verkauft gerne, am liebsten so viel, dass sie kaum zum Sitzen kommt. Wie dann, wenn im Sommer 30 bis 40 Schulklassen vorbeigekommen und sich noch am Kiosk etwas kaufen.

 

Weniger Postkarten

Am meisten verändert habe sich der Verkauf der Ansichtskarten. «Früher habe ich das Zehnfache an Karten verkauft.» Schulklassen aus dem Emmental würden heute zwar immer noch Karten verschicken, Klassen aus der Stadt dagegen kaum noch.

Auch gebe es weniger Kinder, die an den Kiosk zum «Gänggele» kommen. Vielleicht, weil die Eltern mehr bei Grossverteilern kaufen, vermutet Imhof.

Der Umsatz ist über die Jahre im Durchschnitt gleich geblieben, im Sommer gut, im Winter eben weniger gut. Das Einkommen würde für einen Familienvater nicht ausreichen, sagt sie. Doch ihr sei der Spass an der Arbeit wichtiger. So hätten auch die beiden Aushilfen, die sie in den Ferien engagiert habe, mehr Lohn bekommen als sie selbst.

Imhof war nicht nur Kioskverkäuferin. «Es kamen viele Leute zu mir, um mich nach Auskünften zu fragen», sagt sie. Sie erklärte, welcher der schönste Weg zum Spazieren sei, wann die Schiffe fahren oder welches Restaurant die Touristen besuchen könnten. «Ich probierte immer, unparteiisch zu sein und alle Restaurants abwechslungsweise zu empfehlen.»

Auch habe sie vielen Chauffeuren erklären müssen, dass Twann nicht der deutsche Name für das bernjurassische Tavannes sei und sie am falschen Ort seien. «Seit es aber Navigationsgeräte gibt, ist das nicht mehr so häufig der Fall», sagt Imhof.

Sie hat dieses Jahr einen Nachfolger gesucht. Sie habe sich eine Person aus dem Dorf gewünscht, welche sich auskenne und auch so informieren könne. Doch das sei sehr schwierig gewesen, weil der Zeitaufwand vielen Leuten zu gross sei.

Die SBB hat nun einen Nachfolger gefunden. Im Januar finden Umbauarbeiten statt, im Februar öffnet der Kiosk wieder. Wer dahintersteht, will Imhof nicht verraten.

Das Aufhören ist für sie nicht einfach. «Ich habe viele gute Begegnungen gehabt und schöne Momente erlebt. Aber ich war auch oft am Anschlag. Jetzt will ich die Zeit geniessen», sagt sie. «Viel Glück im neuen Lebensabschnitt», sagt ein Mann, der zum Tisch kommt, «aber geh es langsam an!»

Stichwörter: Twann, Ruth Imhof, Kiosk

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