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Kontrolliert wird per Foto

Die Schulen sind geschlossen. Unterrichtet wird trotzdem, an der Schule Lyssbach bisher ohne Livestream. Doch die Lehrerinnen wissen sich zu helfen.

Nina Rätz hofft, dass sie bald wieder vor ihrer Klasse 6i unterrichten kann. Bild: Mattia Coda
  • Dossier

Hannah Frei

Nina Rätz kann nur vermuten, was ihre Schülerinnen und Schüler während der Unterrichtszeit so treiben. Seit vorletztem Freitag hat Rätz sie nicht mehr alle gemeinsam gesehen. Am Montag darauf wurden die Schweizer Schulen aufgrund des Coronavirus geschlossen. Unterrichtet wird trotzdem, ins Kinderzimmer oder an den Esstisch. Die Lehrpersonen arbeiten von zuhause oder vom leeren Schulzimmer aus. Für Nina Rätz, die an der Schule Lyssbach die Klasse 6i betreut, ist seither alles anders geworden: die Unterrichtsvorbereitung, die Aufgabenstellungen, der soziale Kontakt. Rätz muss sich schon nur überlegen, wie sie ihre 22 Schülerinnen und Schüler erreichen kann. Ihr Ziel ist es, mit jedem und jeder mindestens einmal pro Woche zu telefonieren, «um zu spüren, wie es ihnen geht».

Mit der Frage, wie es ihr selbst in dieser aussergewöhnlichen Zeit seit der Schulschliessung geht, hat sich Rätz erst letzten Mittwoch richtig auseinandergesetzt. «Vorher hatte ich kaum Zeit dafür», sagt sie. Denn die Lehrkräfte mussten den Unterricht von einem Tag auf den anderen auf den Kopf stellen. Am Montagmorgen vor einer Woche wurden sie von der Schulleitung über das weitere Vorgehen informiert. Und für die Primar- und Mittelstufe hiess es dann: eine Woche Schulstoff innert wenigen Stunden vorbereiten. Um 16 Uhr mussten die Aufgaben ausgedruckt bei der Post eingeworfen werden. Schliesslich sollten sie am Dienstagmorgen bei den Schülerinnen und Schülern zuhause ankommen. Am Mittwoch kamen sie ein letztes Mal gestaffelt in die Schule, um das restliche Material zu holen. Für die Lehrerschaft ging es dann weiter mit der Planung für die nächsten Tage. Zusammenarbeit war gefragt. «Alleine hätte ich dies wohl nicht geschafft», sagt Rätz.

Aufgaben bis ins kleinste Detail beschreiben

Anders als für den Unterricht im Klassenzimmer sei es nun besonders wichtig, dass die Aufgaben schriftlich bis ins letzte Detail erklärt werden, sagt Nina Rätz. Zwar können die Kinder jederzeit telefonisch, per Whatsapp oder Mail bei den Lehrpersonen nachfragen, aber die Aufgaben sollten grundsätzlich selbsterklärend sein: Matheaufgaben lösen, eine Geschichte für den Deutschunterricht schreiben, ein Bild für den Kunstunterricht erstellen. Einmal pro Woche kontrolliert Rätz die Aufgaben. Dazu schicken die Kinder die Lösungen, Texte und Bilder per Whatsapp-Bild oder Mail an sie.

Doch es gibt auch weiterhin leichtere Kost für die Kinder: Das Buch «Ghost – Jede Menge Leben», aus dem Rätz seit letztem Sommer immer ein paar Seiten vorliest, hat sie zuhause laut gelesen und aufgenommen. So können die Schülerinnen und Schüler jederzeit die Geschichte weiter hören – sodass sie auch die Stimme ihrer Lehrerin nicht vergessen.

Vieles sei durch den Fernunterricht eintöniger geworden. Rätz sitzt mehr am Computer, manche Schülerinnen und Schüler würden sich zuhause langweilen und die sozialen Kontakte fehlen. Doch Rätz denkt, dass die Kinder durch den Fernunterricht auch Neues lernen können: «Da sie ihr Programm selber gestalten müssen, wird nun ihre Selbstständigkeit und Disziplin gefordert und gefördert.»

Auch in der Klasse 4i von Serena Egger müssen die Schülerinnen und Schüler ihren Wochenplan nun eigenständig abarbeiten. Diese Methode kennen sie bereits vom Schulalltag, was ihnen nun zugutekomme. Grundsätzlich sei die Stimmung bei den Kindern gut. Manchen falle das selbstständige Lernen zuhause jedoch schwer. «Und ich habe den Eindruck, dass viele noch denken, es seien einfach Hausaufgaben, die sie zwischendurch erledigen können», so Egger. Sie müssten erst verstehen, dass es sich dabei um Unterricht handelt. Sowohl für die Lehrerinnen als auch für die Schüler werde sich dies jedoch sicherlich mit der Zeit einpendeln.

In der Klasse 8i läuft hingegen praktisch alles digital: Laut Klassenlehrerin Xenia Hofer werden die Aufgaben über das Programm Teams bearbeitet. Sie müsse zwar manchmal an die Jugendlichen appellieren, dass sie die Aufgaben auch eigenständig lösen. Grundsätzlich funktioniere der digitale Unterricht aber gut. Man habe sich nun so organisieren können, dass alle Zugriff auf einen Computer haben.

Eltern sollen sich nicht stressen lassen

Aber auch die älteren Schülerinnen und Schüler sollen nicht nur vor dem PC sitzen: Im Fach Wirtschaft, Arbeit und Haushalt hatten sie letzte Woche die Aufgabe, aus dem Vorrat zuhause ein Abendessen für die Familie zu kochen. Das Mise en Place und das fertige Menu wurden fotografiert und zur Kontrolle an die Fachlehrerinnen eingeschickt. Und die Fachlehrerinnen stehen in regem Austausch mit Hofer. «So erhalte ich auch einen Einblick in den Schulalltag der Jugendlichen zuhause», sagt sie.

Bei den Kindergärtelern sieht es hingegen ein wenig anders aus: Laut der Lehrerin Irène Iseli müssen auf ihrer Stufe zurzeit vor allem die Eltern mitanpacken. Sie müssen die Aufträge anschauen, lesen und den Kindern erklären. Iseli ist sich bewusst, dass dies für die Eltern eine zusätzliche Belastung darstellt. Aber gemäss den Rückmeldungen der Eltern funktioniere dies bisher gut, sagt Iseli. Nur würden sich manche Kinder zuhause ein wenig langweilen. «Und einige Eltern sagten, dass ihre Kinder bereits «Längizitig» nach ihren «Gspänli» haben», so Iseli.

Auch auf der Kindergartenstufe werden den Kindern nun jede Woche Aufgaben per Post nach Hause geschickt. «Aber die Lernspiele in der Gruppe, die für die Kinder besonders wichtig sind, fehlen gänzlich», sagt Iseli. Auch deshalb versucht sie, die Aufgaben so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. Dabei muss sie sich stets überlegen, welches Material die Kinder zuhause wohl zur Verfügung haben. Etwa, um ein «Seiligumpi» zu knüpfen oder ein Muster auszuschneiden und zusammenzukleben.

Zurzeit stehen bei den Kindergärtelern Zahlen und Ziffern auf dem Lernplan. Dazu seien Aufgaben für Zuhause noch gut machbar. Aber im nächsten Quartal werden es Reime und Sprachspiele sein. «Da würde der direkte Austausch sehr fehlen», sagt Iseli. Es sei jedoch bereits jetzt schwierig, allen Kindern gerecht zu werden. Denn die Klassen sind altersgemischt. Manche der Kinder können schon gut schreiben, andere noch gar nicht. Iseli versucht nun, unterschiedliche Varianten der Aufgaben zur Verfügung zu stellen. «Es ist für uns alle eine besondere Situation», sagt sie. Wichtig sei nun, dass sich die Eltern nicht «stressen» lassen, falls einmal etwas nicht funktionieren sollte – kontrolliert werden die Aufgaben der Kindergärteler nicht.

Iseli fragt sich nun, wann und ob sie ihre Kindergärteler vor den Sommerferien wiedersehen wird. Bei den Osternestern für die Kinder hat Iseli glücklicherweise vorgesorgt: Diese hat sie bereits vor knapp zwei Wochen fertiggestellt und nun in die Briefkästen der Familien gelegt.

Erstklässler erhalten Sprachnachrichten

Viel Unterstützung von den Eltern brauchen auch die Erstklässler. Ihre Klassenlehrerin Daniela Schütz versucht, unter anderem via Sprachnachrichten den Kontakt zu ihnen zu erhalten – über die Smartphones ihrer Eltern. So kann sie ihnen mitteilen, ob sie die Aufgaben sauber gelöst haben und worauf sie beim nächsten Mal achten sollen. «Das funktioniert ziemlich gut», sagt Schütz.

Manchmal erhalte sie auch eine Antwort von den Kindern, einen kurzen Gruss oder ein Foto. Und einmal pro Woche erhält sie ohnehin Fotos von den gelösten Aufgaben, um diese zu kontrollieren. Hinter all den Umstellungen sieht Schütz auch Positives: Oft werde den Schulen vorgeworfen, sie seien in Sachen Informatik und Digitalisierung nicht auf dem neusten Stand. «Nun haben wir die Chance, aufzuholen und dies auch zu zeigen.»

Ob bei Nina Rätz, Xenia Hofer, Serena Egger, Daniela Schütz oder Irène Iseli: Zurzeit entwickelt sich der Unterricht an der Schule Lyssbach auf allen Stufen von Tag zu Tag weiter. «Wir probieren vieles aus und passen den Unterricht an», sagt Rätz.

Es sind noch zwei Wochen bis zu den Frühlingsferien. Falls die Schule aufgrund des Coronavirus auch danach noch geschlossen bleiben sollte, die Schulschliessung also verlängert würde, hätten die Lehrerinnen immerhin zwei Wochen Zeit, um den Unterricht detailliert vorzubereiten und die Schülerinnen und Schüler wo nötig mit Computern auszustatten. Rätz, Hofer und Egger könnten sich beispielsweise vorstellen, den Unterricht teilweise via Livestream zu halten, oder gemeinsam in Gruppen online zusammenzuarbeiten. Aber grundsätzlich hoffen alle, dass die Zeit des Fernunterrichts bald vorbei ist. Dazu Daniela Schütz: «Ich freue mich schon darauf, wieder gemeinsam mit den Kindern in den Tag zu starten.»

Stichwörter: Schule, Fernunterricht, Lyss

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