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Konventioneller Wein kommt ihr nicht mehr ins Glas

Im Weinkeller wirft Anne-Claire Schott gewohnte Arbeitsweisen über Bord. Für ihre Naturweine geht die Twanner Winzerin noch weiter, als es die Biorichtlinien vorgeben würden. Das kommt gut an – auch wenn manchmal etwas schiefläuft.

Anne-Claire Schott greift nur wenig in die Entwicklung ihrer Weine ein – das verlangt Vertrauen in die Natur. Peter Samuel Jaggi

von Carmen Stalder

Die Trauben sind Bio- oder Demeter-zertifiziert und müssen von Hand gelesen werden. Dem Wein dürfen weder Schwefelzusätze noch Reinzuchthefen oder Schönungsprodukte beigefügt werden. Filtration ist verboten. Keine Art von Zuckerzusatz ist zugelassen, weder Kristallzucker noch konzentrierter Traubenmost: Das schweizerische Reglement für die Herstellung von Naturwein ist lang und verbietet den Winzerinnen und Winzern viele Eingriffe, die für die meisten von ihnen seit jeher gang und gäbe sind.

Für Anne-Claire Schott ist diese Art der Weinherstellung die logische Konsequenz ihrer Arbeits- und Lebensphilosophie. Als die Twanner Winzerin 2016 den Betrieb ihres Vaters übernommen hat, begann sie damit, nach Demeter-Richtlinien zu produzieren. Sie verzichtet seither konsequent auf synthetische Pestizide, berücksichtigt die ökologische Vielfalt im Rebberg und setzt biodynamische Präparate ein. Ihre Reben begiesst sie beispielsweise mit Brennnesselsud und Tees aus Kamille oder Weidenrinde.

Für die Produktion von Naturwein muss man noch einen Schritt weitergehen: Dabei handelt es sich um einen Biowein ohne Zusatzstoffe, ohne Filtration und ohne zugeführte Sulfite (Schwefel). So besagt es die Definition des Vereins Schweizer Naturwein. Dieser wurde im Januar gegründet, nachdem eine Arbeitsgruppe ein Jahr lang Richtlinien für die Herstellung von Naturweinen ausgearbeitet hat. Nach zahlreichen Diskussionen hat die Gruppe ein konsequentes und strenges Reglement verabschiedet.


Grösseres Risiko

Die 35-jährige Anne-Claire Schott ist Vizepräsidentin des neuen Vereins und will mit ihrem Engagement zeigen, dass es möglich ist, hoch qualitative, lebendige Weine herzustellen, die keine Zusatzstoffe beinhalten. Ein Drittel ihrer Weine stellt sie bereits gemäss dem Reglement her, längerfristig will sie ihre Produktion komplett umstellen – auch wenn es bei diesem radikalen Ansatz einige Hürden gibt. «Ich habe sicher jedes Jahr ein Fass, das mir missglückt», sagt die Winzerin. Weil sie im Weinkeller weniger eingreifen darf, steigt auch das Risiko, dass etwas schiefgeht und sich beispielsweise unerwünschte Aromen bilden.

Im Vergleich zu einem konventionellen Winzer überlässt Schott der Natur eine viel freiere Hand. «Ich muss loslassen können und den Reben vertrauen», sagt sie. Die Natur kontrollieren zu wollen, habe ihr noch nie entsprochen. Auch davon, dass ein bestimmter Wein jedes Jahr genau gleich schmecken soll, halte sie wenig. Trotz der strengen Vorgaben kann sie das Endprodukt in die gewünschte Richtung lenken: Etwa indem sie den Erntezeitpunkt auswählt, die Temperatur im Keller bestimmt oder die Dauer des Gärprozesses steuert. Daneben spielt eine aufmerksame Beobachtung eine entscheidende Rolle. Sie muss schmecken, schauen und hören, wie sich der Wein entwickelt.

Am Bielersee ist Anne-Claire Schott derzeit die einzige Winzerin, die dem Verein angehört. Naturweine finden zwar immer mehr Anhänger und es ist von einem Trend die Rede, die Twannerin ist aber dennoch überzeugt, dass sie ein Nischenprodukt bleiben werden. Auf Produzentenseite liegt das unter anderem daran, dass die Herangehensweise komplett dem widerspricht, was die meisten Weinbäuerinnen in ihrer Ausbildung lernen. Bei Schott war das nicht anders: «Ich habe drei Jahre lang Önologie studiert. Das Thema biologischer Weinbau wurde allerdings nur am Rande abgehandelt.» Sie habe dort weisgemacht bekommen, dass der Rebbau nicht immer ohne synthetische Pestizide auskomme. Seit fünf Jahren beweise sie jedoch das Gegenteil.

Auf Konsumentenseite kann die Zurückhaltung darauf zurückgeführt werden, dass Naturweine anders schmecken, als man es sich von konventionellen Weinen gewohnt ist: Manche sind erdiger, manche wilder, manche verströmen direkt nach dem Öffnen der Flasche ungewohnte Aromen. Nach dem ersten Schluck seien ihre Kundinnen und Kunden teilweise verwirrt: «Wie Kinder, die zum ersten Mal etwas Neues probieren», meint Schott lächelnd. Doch darauf folge oft ein Aha-Moment – und ein neuer Blick auf die Weinwelt.


Naturwein im Luxushotel

Anne-Claire Schott selbst trinkt mittlerweile keine Weine mehr, die nicht nach biologischen oder gar biodynamischen Standards erzeugt wurden. Das liegt nicht nur am ökologischen Bewusstsein, sie liebe schlicht den Geschmack von Naturwein, sagt sie. Mit ihrem Schaffen scheint sie jedenfalls einen Nerv zu treffen. Ihre Naturweine finden sich etwa auf den Speisekarten von Starkoch Andreas Caminada und in den Fünfsterne-Hotels «Victoria Jungfrau» in Interlaken, «Royal Savoy» in Lausanne und «Maison Wenger» in Le Noirmont. An solch renommierten Adressen vertreten zu sein, gebe ihr eine «extreme Bestätigung», sagt die Winzerin. In Biel arbeitet sie mit Laura Stauffer und Sandro Bianchin zusammen, die das «Lokal», das «Ecluse» und das «Sauvage» führen. Für letzteres produziert Schott einen exklusiven Naturhauswein.

Die Entwicklung der vergangenen Jahre lässt darauf schliessen, dass Naturweine mehr und mehr aus ihrem Schattendasein treten werden. Sie erfüllen ein verbreitetes Bedürfnis nach einem authentischen Geschmack von möglichst naturbelassenen und ursprünglichen Produkten. Gerade umweltbewusste Weintrinker sind gerne bereit, für einen speziellen Tropfen etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Gut möglich also, dass Anne-Claire Schott künftig weitere Berufskolleginnen im Verein willkommen heissen darf.

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