Sie sind hier

Abo

Siselen

Krumme Rüebli finden auf Facebook ihre Abnehmer

Weicht Gemüse und Obst von der Norm ab, weisen es die Detailhändler ab. Ein Seeländer Landwirt wurde seine 8,5 Tonnen Karotten trotzdem los – über soziale Netzwerke.

Symbolbild: Pixabay

Es ist Erntezeit, was auch im Seeland nicht zu übersehen ist. Beim Anblick der saftigen Trauben entlang der Reben am linken Bielerseeufer sowie dem knackigen Obst und Gemüse im Grossen Moos, kommt man sich in diesen Gegenden wie im Schlaraffenland vor. In Lebensmittelläden wird den Konsumenten eine grosse Auswahl an frisch geerntetem Obst und Gemüse zum Kauf angeboten.

Aber die schweizerischen Qualitätsbestimmungen sind streng. Weisen die Nahrungsmittel auch nur kleinste Schäden auf oder sind Gurken und Karotten zu gross, zu klein, zu lang oder zu krumm geraten, entsprechen sie nicht der Standardnorm und werden von den meisten Grossverteilern nicht akzeptiert.

 

Pech mit den Karotten
Damit die Produzenten auf solchen Erzeugnissen nicht sitzen bleiben, müssen sie sich etwas einfallen lassen. Viele Landwirte verkaufen ihr Obst und Gemüse direkt ab Hof oder an Märkten, an denen die Ware den strengen Standardformen nicht unterstellt ist. Die, die das nicht wollen oder können, sind gezwungen, nicht der Norm entsprechende Felderzeugnisse Tieren zu verfüttern oder im schlimmsten Fall auf Feldern zu unterpflügen. «Dadurch bleiben aber die Einnahmen aus, und die dem Boden überlassenen Erntemengen sind wegen eventuellen Krankheitsübertragungen und Übersäuerungen auch nicht gut», sagt Robert Winkelmann, Landwirt in Siselen.

Dieses Jahr hat Winkelmann mit seinen Karotten Pech. Nicht dass es denen an der inneren Qualität mangelt, sie haben aber nicht die nötige Grösse und Dicke und weisen teilweise Spalten auf. Damit Winkelmann nicht auf den bereits geernteten 8,5 Tonnen Rüebli sitzen blieb oder sie wieder dem Boden übergeben musste, bot er das Gemüse auf Facebook für zehn Franken pro 100 Kilogramm zum Kauf an. Dass ab und zu ein Teil der Ernte den Weg zu den Grossverteilern nicht schaffe, sei normal. «Aber so schlimm wie dieses Jahr war es mit den Karotten noch nie», sagt Winkelmann.

 

Problem sind die Maschinen
Der Verkauf via Facebook war nicht seine Idee, die stammte von Romy Schwab aus Kallnach, einer nahen Verwandten. Die Karotten seien begehrt gewesen und bis aufs letzte Kilogramm verkauft, sagt sie. Hier einige Kommentare der vielen Facebook-Benutzer und Rüebli-Interessenten: «Ich habe zwei Häsli, zwei Schnecken und zwei Mädchen, die gerne Rüebli essen.», «Ewig schade für die schönen Rüebli.», «Es ist nicht einfach mit dem Gemüseanbau.», «Wehe ein Rüebli ist nicht schön und gerade gewachsen oder hat nicht die richtige Dicke, das wird von den Konsumenten nicht akzeptiert.» Diese Äusserung liess Romy Schwab nicht unbeantwortet. Sie nahm die Konsumenten in Schutz und erklärte der Kommentarschreiberin, dass das Problem weniger bei den Konsumenten, als vielmehr an der maschinellen Verarbeitung liege.

 

Hagelschäden bei Zwetschgen
Karotten, die von der zylinderförmigen, stumpfen, geradlinigen Standardform des Lebensmitteleinzelhandels abweichen, scheiden für die Standardverpackung aus und erreichen somit auch die Regale der Lebensmittelläden nicht. «Die Qualitätskriterien erlauben tatsächlich keine grossen Abweichungen», bestätigt auch Robert Winkelmann. Nicht anders ergeht es Obstlandwirten mit ihren Äpfeln, Birnen und Zwetschgen. «Schon Obst mit kleinsten Dellen wird von den Lebensmittelläden nicht akzeptiert», sagt Silvia Helbling-Iseli aus Epsach, Landwirtin und Organisatorin des Bieler Zibelemärits. Sie hat gerade ihre Zwetschgen geerntet, die sie im Detailhandel, direkt ab Hof und auf Märkten zum Kauf anbietet. Viele ihrer Früchte sind vom Hagel beschädigt.

 

Totalschaden bei den Äpfeln
Doch nicht nur die Obstbauern leiden. «Heuer hat der Hagel das Laub der Zwiebeln dermassen zerschlagen, dass viele Knollen nicht mehr gewachsen und klein geblieben sind», sagt sie. Dies weiss Helbling-Iseli von ihrem Schwager Manfred Möri-Iseli, der in Täuffelen einen Gemüsebetrieb führt. Sie helfe gemeinsam mit ihrem Mann Fritz immer mal wieder auf dem Bauernhof ihres Schwagers aus, darum wisse sie so gut Bescheid.

«Dem Obst hat nicht nur der Hagel, sondern auch noch der Frost zugesetzt», sagt Daniel Weber, Obstlandwirt in Gerolfingen und Präsident der Landwirtschaftlichen Organisation Seeland. Die meisten seiner Früchte weisen nebst Dellen auch Risse auf, deshalb sind sie nicht lagerfähig. Viele Äpfel erlitten sogar einen Totalschaden. Ganz verloren ist seine Ernte trotzdem nicht, denn Weber verarbeitet die Früchte zu Süssmost und bringt ein Teil davon in die Brennerei. «Dieses Jahr gibt es keine Obstschwemme», sagt er.

Der Rüebli-Verkauf von Robert Winkelmann ist noch nicht beendet. Gemäss Ernteproben entsprechen auch die noch im Boden verbliebenen Karotten nicht der Standardnorm. Nach der Einschätzung des Siseler Landwirtes sind das noch etwa 40 Tonnen Rüebli. Wie er die an den Mann oder an die Frau bringen kann oder will, weiss er im Moment noch nicht. Heidi Flückiger

Nachrichten zu Seeland »