Sie sind hier

Abo

Velotour

Kultur, Kulinarik 
und Genussradeln

Nach der coronabedingten Pause in der Schweiz brauchen die beiden Velofahrer Bea und Pit Thalhammer eine Luftveränderung. Sie begeben sich auf Entdeckungstour in den wenig bekannten Osten Frankreichs.

Der Radweg Voie Verte des Hautes Vosges ist sehr 
informativ 
ausgeschildert. Bild: Bea Thalhammer
  • Dossier

Bea und Pit Thalhammer

W ie haben wir das Veloreisen vermisst! Endlich ist es soweit, wir sitzen im Sattel, die Schweizer Grenze bei Basel liegt hinter uns, nichts kann uns zurückhalten.

Das Themenloch der normalerweise sommerlichen Sauere-Gurken-Zeit in der Presse wird dieses Jahr weitgehend durch Artikel um das leidige Virus ausgefüllt, die ohnehin schon dünnen Blätter sind zur Hälfte voll davon. Die «zweite Welle» steht als apokalyptische Drohung am Himmel. Wer mag jeden Tag so viel Negatives lesen, nicht weniges mit erhobenem Zeigefinger? Der tägliche Wahnsinn hängt uns schon lange zum Hals heraus. Luftveränderung tut dringend Not, nicht nur physisch, auch im Kopf.

Irgendwann in den letzten Jahren ist uns das Sesshafte abhandengekommen. Stets nach drei Monaten faulem Nichtstun fängt das Jucken an, zuerst im Nacken, es wandert dann rasch in die Beine, begleitet von einem eigentümlichen Fieber. Sich dagegen wehren ist für uns zwecklos, denn wir wissen: Sitzen wir im Sattel, ist der Spuk sofort vorüber. Eine eigentümliche Krankheit, mit der sich nur Reisende anstecken.

Der erzwungene Zwischenstopp in der Schweiz hat durchaus angenehme Seiten, und keinesfalls möchten wir immer noch in Indien festsitzen. Aber Reisende soll man bekanntlich nicht aufhalten. Wir wollen uns in den nächsten Wochen nach der Decke strecken, auskosten, was möglich ist, ohne unvorsichtig zu werden, aber immer pragmatisch entscheiden, so wie wir das seit 
Jahren tun.

Nicht ungefährliche Weinprobe

Nach dem übervollen Zeltplatz am Rheinufer in Kaiseraugst – Abstandsregeln werden hier zum belächelten Witz – geniessen wir das ruhige Fahren entlang des Canal de 
Huningue, der kurz nach dem riesigen 
Novartiskomplex in Basel Wasser vom Rhein abzapft und träge nach Nordwesten fliesst. Der Kanal, 1828 fertiggestellt, ist Teil des Rhein-Rhone-Wasserwegs. Allerdings hat der Hünigen-Kanal seine Bedeutung als Wasserstrasse bis zum kleinen Ort Niffer weitgehend eingebüsst, was aber den Velofahrern an seinem Ufer völlig egal ist.

Heute wieder gefühlter Backofen, also deutlich über 30 Grad. Der neu angelegte Zeltplatz in Kembs bietet bei den heissen Temperaturen nirgends Schatten. Also überbrücken wir die Zeit bis zum Abend auf der Terrasse des kleinen Restaurants mit Weinproben, und da hat das Elsass einiges zu bieten (nicht ganz «ungefährlich» bei Flaschenpreisen um 9 Euro). Interessant, dass es auf französischen Zeltplätzen selten nach Geschlechtern getrennte WC- und Duschanlagen gibt (niemand stört sich daran). Ebenso suchen wir gekühlte Getränke in Supermärkten vergebens. Wie unglaublich verwöhnt wir Schweizer doch sind!

Ein 730 Meter hoher Pass? Wir grinsen

Velogenuss vom Schönsten! Bummelfahren auf dem Radweg entlang des Rhein-Rhone-Kanals; hier begegnen uns nur wenige andere Velofahrer. Einmal mehr zeigt sich, dass abseits der beliebten Routen entspanntes Velofahren möglich ist und man den Massen ausweichen kann. (Die Routen sind auf unserer Website zu finden unter «Bereiste Länder und gefahrene Routen»).

Der Radweg vom Rhein-Rhone-Kanal zur Thur, nicht zu verwechseln mit dem Schweizer Fluss im Thurgau, führt durch dichten, angenehm kühlen Wald. Dank umsichtiger Planung finden wir den Fluss rasch. Der hektische Verkehr von Mulhouse bleibt links liegen; wir geniessen das Pedalen trotz drückender Hitze. Für uns gibt es einfach nichts Schöneres, als mit dem Velo zu reisen!

«Was, ihr wollt mit dem vielen Gepäck über den Col de Bussang treten? Die Strasse ist steil und es gibt viel Verkehr.» Die Französin auf dem Zeltplatz von Ranspach mustert uns neugierig. Wir schaffen den auf 
730 Meter über Meer liegenden Übergang tatsächlich, müssen grinsen, waren die 
Pässe in Südamerika und in Nordindien doch einige Meter höher.

Ein grosses Lob gehört den Auto- und Lastwagenfahrern, sie überholen uns mit grossem Abstand, nie müssen wir bangen. Für die Franzosen ist die Tour de France ein nationales Monument, daneben versuchen sich viele Freizeitsportler auf dem Rennrad. Drücken Einheimische gern mal aufs Gaspedal, gilt gegenüber Velofahrern offenbar höfliche Rücksicht. Merci pour votre attention!

Kurz nach der Passhöhe des Col de Bussang entspringt die Mosel, hier noch ein unscheinbares Wässerchen, wird sie auf den 544 Kilometern bis zur Mündung in den Rhein ein stattlicher Fluss. Wir wollen der französischen Moselle bis nach Trier entlang fahren, in der Hoffnung, dass die wenig bekannte Strecke uns vor Zweiradinvasionen verschont.

Nancy überrascht auch 2020

Von Bussang bis Remiremont bummeln wir tatsächlich 54 Kilometer wie auf Schienen – zumindest waren sie mal da. Die alte Bahnstrecke, «Voie Verte des Hautes Vosges», ist über die ganze Strecke asphaltiert und Wanderern und Radfahrern vorbehalten. Kultur, Kulinarisches und Genussradeln haben wir uns für diese Tour auf die Fahne geschrieben. Passt bis jetzt alles!

Und immer wieder entlang von Kanälen pedalen. Mächtige Platanen und Eichen beschatten die gut ausgebauten und beschilderten Radwege. Auf einigen Abschnitten gibt es alle 200 Meter Schleusen, manchmal ein Dutzend hintereinander. Der Zweiradverkehr hält sich in Grenzen, unterwegs sind wohl coronabedingt viele Familien mit Kindern, die das Campingleben und die Freibäder sichtlich geniessen. Wie recht sie haben!

Übrigens hat die Anzahl der E-Bikes am deutschen Rheinufer gegenüber der Schweiz deutlich abgenommen, hier in Frankreich sind höchstens ein Drittel der Velofahrer mit elektrischer Trethilfe unterwegs.

Epinal, Charmes, Nancy, Metz – grössere Städte machen sich rar –, sind interessant, auf Entdeckungstour zu gehen wie hier in Nancy. In der Nähe der Stadt erlag ein alter Bekannter der alten Eidgenossenschaft nach erfolgloser Belagerung von Nancy seinen Verletzungen, nämlich Karl der Kühne, letzter Herzog von Burgund. Schon 1476 bei Grandson und wenig später bei Murten bekamen er und seine Armee bekanntlich von den Eidgenossen gewaltig eins aufs Dach.

Nancy überrascht auch 2020. In der Altstadt gibt es architektonische und kulinarische Leckerbissen zu entdecken wie den Place Stanislas mit dem ehemaligen Palast der Herzöge von Lothringen, die alten Stadttore, die Basilique Saint-Epvre, feinste Pasteten im Marché Central, hervorragende weisse und rote Tropfen und vieles mehr. Ausländische Touristen sind wenige unterwegs, für uns angenehm, aber für die Tourismusbranche der Stadt ein Debakel.

In öffentlichen Gebäuden und Läden gilt Maskenpflicht, auch sonst sind in der Stadt erstaunliche 75 Prozent der Fussgänger mit Mund- und Nasenschutz unterwegs. Nein, das brauchen wir definitiv nicht. Darum bekochen wir im kleinen Appartement selber – vive la France!

Info: Seit 2012 radeln die gebürtigen Safnerer Bea und Pit Thalhammer durch die Welt: 
www.bepitha.ch

Nachrichten zu Seeland »