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Lachs-Rückkehr in die Schweiz rückt näher

Nach langer Verweigerungshaltung stellt Frankreich in Aussicht, die letzten drei Kraftwerke im Rhein fischgängig zu machen. Bis der Lachs ins Seeland zurückkehrt, wird allerdings noch viel Wasser die Aare hinunterfliessen.

Bild: zvg

Beat Kuhn

«Durchbruch geschafft – Lachs bald wieder in der Schweiz!»: So jubilierte der Schweizerische Fischerei-Verband (SFV) Mitte Februar in seiner Medienmitteilung zur 16. Rheinministerkonferenz. Die Konferenz ist das massgebliche Gremium für die Wiederansiedlung des Lachses in dem Fluss bis in die Schweiz (siehe linke Infobox). Für Roberto Zanetti, SFV-Zentralpräsident und Solothurner SP-Ständerat, ist dies sogar «der ganz grosse» Durchbruch.

Aqua Viva, die zentrale Umweltorganisation für den Gewässerschutz in der Schweiz, kommentierte das Ergebnis des Treffens zwar mit dem gleichen Sprachbild, aber inhaltlich vollkommen konträr: «Kein Durchbruch für das Lachs-Comeback». Wie ist es möglich, dass zwei Organisationen, die sich für dasselbe Ziel, nämlich die Rückkehr des Lachses, einsetzen, dieselben Fakten diametral verschieden bewerten?

 

Säumiges Frankreich lenkt ein

Anlass für die Euphorie beim SFV ist das Einlenken der Franzosen. Gemäss SFV-Communiqué haben die Vertreter der anderen Staaten an der Tagung nämlich erreicht, dass sich diese endlich dazu verpflichtet haben, «die drei Sorgenkinder» im Rhein so zu sanieren, dass der Lachs wieder bis in die Schweiz schwimmen kann: Das Kraftwerk Vogelgrün soll «so schnell wie möglich» fischgängig sein, das Kraftwerk Rhinau «bis ins Jahr 2024» und das Kraftwerk Marckolsheim «bis zum Jahr 2026».

Vor diesem Zugeständnis hat unser westliches Nachbarland allerdings eine Vereinbarung nicht eingehalten. Denn an sich hatte die 15. Rheinministerkonferenz vor sieben Jahren beschlossen, das von der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins vorgelegte Programm «Lachs 2020» umzusetzen. Und dieses hatte vorgesehen, dass bis 2020 sämtliche Hindernisse für die Wiederansiedlung des Lachses beseitigt sein müssten, wie SFV-Geschäftsführer Philipp Sicher sagt. Entgegen dem Mehrheitsentscheid hat Frankreich bei den drei besagten Kraftwerken aber die Sanierungsmassnahmen «bewusst verzögert», so Philipp Sicher.

Völlig überrascht hat dieses Versäumnis niemanden. Denn die Franzosen haben der Vereinbarung «Lachs 2020» damals nicht zugestimmt. Ihre Ablehnung hat finanzielle Gründe. So sind für die Beseitigung aller sogenannten Wanderhindernisse für Lachse und andere Wanderfische Investitionen in Millionenhöhe nötig. Dieser Herausforderung hatten sich indes auch Deutschland, Holland und die Schweiz zu stellen – und sie haben dies getan: All ihre Kraftwerke verfügen über eine Fischtreppe zum Durchschwimmen oder ein Umgehungsgewässer, in dem die Fische sogar verweilen können.

Quergelegt hat sich die französische Delegation übrigens auch diesmal wieder: Sie hat der Vorgabe der anderen Länder, beim Kraftwerk Vogelgrün «bis zum Jahr 2027» eine Fischpassanlage zu realisieren, nicht in dieser Form zugestimmt, sondern nur zugesagt, dies «so schnell wie möglich» zu tun. «Und was das bei den Franzosen – die ein absolut unzuverlässiger Partner sind – bedeutet, haben die letzten Jahre gezeigt», ärgert sich Philipp Sicher. Er ist überzeugt: «Mindestens dieses Hindernis bleibt vermutlich noch länger bestehen.»

Das sehen offenbar auch die anderen Mitgliedstaaten so, denn vorsichtshalber heisst das neue Programm «Rhein 2040». Bevor das Kraftwerk Vogelgrün fischdurchgängig ist, kommt der Lachs aber nicht bis nach Basel, um von dort dann zum Beispiel in der Aare via Seeland bis ins Berner Oberland zu gelangen. Diese weitere Verzögerung durch unser westliches Nachbarland ist der Grund dafür, dass Aqua Viva dessen jetzigen Zugeständnissen nichts abgewinnen kann.

 

In der Schweiz allen willkommen

«Hierzulande wollen alle den Lachs: Behörden, Fischer, Naturfreunde, Gastronomen und die Bevölkerung», hält der SFV in seinem Communiqué zur Konferenz fest. «Alle sehen nur Vorteile, wenn der Lachs wieder im ganzen Rhein zwischen dem Meer und der Schweiz angesiedelt ist.» Von der Rückkehr des Lachses wird laut SFV das ganze Ökosystem unserer Flüsse und Bäche profitieren. Denn wenn sich der Lachs wieder in unseren Flüssen fortpflanzen könne, gehe es auch anderen Fischarten wieder besser.

Er sei «eine Regenschirmart», also ein Indikator für ein funktionierendes Ökosystem. Darum habe man unzählige Fliessgewässer auf seine Rückkehr vorbereitet, indem man Wanderhindernisse entfernt habe. An dieser Entwicklung hätten die Vereine, Kantonalverbände und der Dachverband der Fischer «einen grossen Beitrag geleistet», so der SFV.

 

Neues Hindernis Klimawandel

Auf die Frage, ob der Lachs im Drei-Seen-Land auch noch in anderen Flüssen als der Aare auftauchen könnte, meint Philipp Sicher, dass prinzipiell jedes Gewässer infrage komme, das über eine hindernisfreie Anbindung an die Hauptgewässer verfüge und einen Forellenbestand habe – weil dieser ein Garant für gute Gewässerqualität sei. «Generell sind Schweizer Zuflüsse zum Rhein für eine Lachsansiedlung aber ein absolutes Fernziel.» Er glaubt gar, dass dies «noch Generationen dauern» werde. Denn auch die Schweiz sei voller Hindernisse: «Die Nutzung der Wasserkraft hat leider noch immer höchste Priorität.»

Kommt hinzu, dass noch ein anderes Problem aufgetaucht ist: der Klimawandel. Die Temperatur der Gewässer werde in Zukunft steigen und damit ein Überleben der Bachforelle in vielen Mittellandflüssen fast verunmöglichen, sagt Philipp Sicher (das BT berichtete). «Letztlich wird sich dort dann auch der Lachs nicht mehr ansiedeln können, weil er ähnliche Ansprüche an den Lebensraum hat wie die Bachforelle.» Daraus ergibt sich für Philipp Sicher eine weitere Forderung: «Es muss sämtlichen Wanderfischarten der Aufstieg zu den kühleren Gewässern in den höher gelegenen Forellenregionen ermöglicht werden.» Damit sich der Lachs in der Schweiz wieder flächendeckend ansiedelt, sind also noch etliche Hürden zu nehmen.

 

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Lachse kehren an Ort ihrer Geburt zurück

Für die Rückkehr des Lachses in die Schweiz wird es nicht damit getan sein, dass die Wanderhindernisse beseitigt werden. Dazu muss man dessen «Kreislauf des Lebens» kennen: Seine Eier, den Laich, legt der Lachs im Kiesbett eines Flusses ab. Je nach Wassertemperatur schlüpfen nach einem bis fünf Monaten die Junglachse. Die tummeln sich erstmal in heimatlichen Süsswasser-Gefilden. Im Alter von ungefähr einem Jahr sind sie stark genug, um in den nächstgelegenen Ozean zu wandern. Bei der Gattung Atlantischer Lachs, um die es hier konkret geht, kommt das Ziel sogar im Namen vor.

Nach einigen Jahren kehren die Tiere, die bis zu anderthalb Meter lang werden können, wieder flussaufwärts zum Ort ihrer Geburt zurück, um ihrerseits dort zu laichen – wofür sie Kiesgründe brauchen. Nachdem ein Weibchen seine Eier abgelegt hat, werden diese von einem Männchen befruchtet. Die Wanderung und der Laichakt sind für die Tiere sehr anstrengend. Zudem nehmen sie auf dem anschliessenden Weg ins Meer oft keine Nahrung auf. Aus diesem Grund stirbt der grösste Teil an Erschöpfung oder dadurch begünstigte Krankheiten, bevor er das offene Meer wieder erreicht.

Aber wie bringt man Lachse dazu, in die Schweiz zu kommen, in der ja längst keine Exemplare mehr laichen? Dafür wird ein Kniff angewandt: Laut SFV-Geschäftsführer Philipp Sicher werden in Basel bereits seit Jahrzehnten Eier oder Junglachse, die aus dem weiter unten liegenden Rheinverlauf stammen, ausgesetzt. Dadurch werden sie von der Natur mit der Prägung «Basel» versehen. Dieses sogenannte Homing veranlasst die erwachsenen Tiere, zum Laichen in ihren Geburtsfluss zurückkehren zu wollen. In den Atlantik können sie gelangen, denn in Flussrichtung können sie Kraftwerke durchschwimmen. Zurück nach Basel können die erwachsenen Tiere der betreffenden Stämme, wie man sie nennt, mangels Fischtreppen bei den drei französischen Kraftwerken aber nicht. Sie verbleiben stattdessen im Unterlauf des Rheins. «Dort existiert inzwischen ein relativ guter Bestand», so Philipp Sicher. bk

 

Früher weitverbreitet, 
aber auch schon exklusiv

  • Vor 100 Jahren war der Rhein das grösste Lachsgewässer in Europa. Doch in den 50er-Jahren ist der 
Atlantische Lachs, um den es hier geht, in der Schweiz ausgestorben.
  • Dazu geführt haben Überfischung, Verschmutzung sowie unzählige 
Wasserkraftwerke, Dämme und Wehre 
vom Meer bis in die Schweiz. Sie haben dem Lachs den Durchgang für seine Laichwanderung versperrt.
  • Lachs ist nicht erst heute eine kulinarische Spezialität, sondern galt immer als edles, gesundes Lebensmittel. Anders als heute kam er früher allerdings in grosser Zahl vor – was indes nicht gegen die Qualität spricht. Darum existiert weltweit in jedem Land, in dem der Lachs vorkam, die Geschichte, dass 
es damals den reichen Leuten verboten gewesen sei, ihre Bediensteten täglich Lachs essen zu lassen. Das ist laut SFV-Geschäftsführer Philipp Sicher aber eine Mär, dafür finde man keine Belege: «Man hat das erfunden, um zu verdeutlichen, in welch grossen Mengen der der Lachs vorkam.» bk

 

Rheinministerkonferenz 
hat das Sagen – theoretisch

  • Alle paar Jahre treffen sich in unregelmässigen Abständen die zuständigen Minister der am Rhein liegenden Staaten, «um über die bisherige 
Zusammenarbeit zum Schutz des Rheins, seiner Nebenflüsse und des gesamten Einzugsgebiets Bilanz zu ziehen und die Leitlinien für die künftige Zusammenarbeit festzulegen».
  • Die Anrainerstaaten sind Holland, Deutschland, Belgien – vertreten durch die Region Wallonien im Osten des Landes –, Luxemburg, Frankreich, 
die Schweiz, Liechtenstein und Österreich. Auch die EU und die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins sitzen am Tisch.
  • An den Konferenzen sind selten aus allen Staaten die Minister selber da. 
Am diesmaligen Treffen in Amsterdam liess sich die Schweizer Umweltministerin Simonetta Sommaruga (SP) 
durch eine Vizedirektorin im Bundesamt für Umwelt vertreten. Zur 15. Rheinministerkonferenz hatte 2013 ihre Departementsvorgängerin Doris Leuthard (CVP) nach Basel eingeladen. bk

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