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Velotour

Mit dem Velo auf und davon
– jetzt erst recht

Bea und Pit Thalhammer packen für eine neue Radtour ins südliche Europa und hoffen auf offene Grenzen. 
Denn virtuell zu reisen ist zwar schön, aber vor Ort Neues zu entdecken und leckere Spezialitäten zu geniessen, ist unschlagbar.

Zum Angewöhnen picknicken Bea und Pit Thalhammer an der Emme. Ihre Vorfreude auf den baldigen Start ihrer neuen Tour ist gross.
  • Dossier

Pit Thalhammer

Geschafft. Erleichtert lege ich die Spritze weg. Wieder ist die Pendenzenliste um eine Position ärmer. Kange wurde die Operation am offenen Veloherzen hinausgeschoben. Die Zeit drängt ja nicht. Sowieso inst so ein meditinisches Instrument mit kalten Händen mühsam zu handhaben. Und zum Schluss der Balanceakt mit den milimetergrossen Inbus-Schräubchen, stets vor dem Absprung in die Weiten der Werkstatt.

Alles paletti. Einmal im Jahr oder alle 5000 Kilometer sollte er erfolgen, der Ölwechsel an den Nabenschaltungen der Velos. Es geht lediglich um mickrige 25 Milli-
liter Spülöl respektive zu wechselndes 
Getriebeöl. Und die lassen sich eben ideal mit einer grossen Spritze injizieren.

Für einen Nachmittag haben uns liebe Freunde die angenehm warme Werkstatt samt Werkzeugen überlassen. Bequemer lassen sich Velos nicht putzen. Beziehungen erleichtern das Leben, ganz besonders bei unserem unsteten Radfahrerleben. Glückspilze, wer sie, wie wir, immer wieder geniessen darf.

 

Über den Tellerrand schauen

Eigentlich wären wir bereit für die nächste Tour. Es duftet blumig-erdig nach Frühling, kalte Tage sind seltener geworden als Velofahrer in Shorts, und an Ideen für eine nächste Tour mangelt es nicht. Wenn da nicht regelmässig die lästigen Erinnerungen mit einem freundlichen «Ping!» auf dem Smartphone aufleuchten würden. Zahnarzt- und Banktermine zum Beispiel. Die Pedanten der Steuerbehörde vergessen uns sowieso nie. So ganz lassen sich die Zelte in der Heimat nie abbrechen.

Bekanntlich schlägt das Wetter im März und April öfters Kapriolen und kümmert sich keinen Deut um unsere Sehnsüchte und Pläne. Wir üben uns in Geduld. Fast täglich reisen wir dafür mit Youtube und verschlingen mit den Augen, was unsere Nasen (noch) nicht riechen. Im Lauf der Jahrzehnte haben wir Schweizer uns kulinarisch gerne bei den Nachbarn bedient. Aber erst wer Crêpes in Frankreich, Ossobuco in Italien oder Krustenbraten mit Semmelknödel in Bayern geniesst, weiss, dass Reisen durch den Magen geht. Den Blick über den sprichwörtlichen Tellerrand wagen; das dürfen wir hoffentlich noch lange.

Auf alle Fälle sind die südlichen Schweizer Nachbarn eine konkrete Reiseoption. Sofern die Grenzen offenbleiben. Frankreich sollte es unbedingt nochmals sein und, wenn möglich, im Sommer Spanien und Portugal. Allein beim Schmökern im Internet bekomme ich feuchte Hände. Nach dem Indienabenteuer letztes Jahr sind ferne Ziele und das Fliegen im 2021 gestrichen. Einmal hängen bleiben reicht.

Wer sucht, der findet unzählige Radwege und kleinste Strassen abseits bekannter Routenklassiker. In südlicher Richtung spannen wir lediglich einen roten Faden, damit Spontanes nicht zu kurz kommt. Aber eben, planen fühlt sich an wie reisen, lässt träumen, nur ohne schmerzenden Hintern.

 

Pit hat jetzt eine «Gurke»

Dazugehören ist alles, egal ob als Teenager oder angegrauter Velofahrer. Ich gehöre jetzt dazu. Zugegeben, etwas widerwillig. Seit einigen Monaten besitze ich eine «Gurke», also ein Smartphone. Das Erste überhaupt (Bea interveniert: «Höchste Zeit, so stur kann man nicht sein!»). Die Welt mit 
all ihren digitalisierten Geheimnissen und Banalitäten schrumpft auf Taschenformat. Absolut genial, wie die leistungsstarke, oberschlaue Karten-App anstelle des alten Navis nun ganz neue Perspektiven beim 
Navigieren eröffnet. Kleine Strasse gefällig, unasphaltiert, mit Höhenmetern und Restaurant für den Pausenkaffee? Hier ist sie! Nur auf Radwegen pedalen? Nichts leichter als das! Gesucht: Offizieller Zeltplatz oder Waldlichtung zum Wildzelten? Voilà! Alle Infos kostenlos und aktuell.

Ich habe nichts gegen moderne Technik, ganz im Gegenteil, elektronische Hilfen sind beim Reisen kaum wegzudenken. Aber Eltern in den Ferien, die anstatt dem Nachwuchs die Welt zu erklären nie die Finger von ihren Smartphones lassen können und völlig geistesabwesend «frag Mama (oder Papa)» oder «später» murmeln, wenn der Nachwuchs ungeduldig am T-Shirt zerrt, sind mir seit jeher ein Graus. Ich finde, man darf den Einflüsterer öfter mal verlegen. Papa, Mama und ich müssen nicht immer erreichbar sein.

 

Das Positive sehen und schätzen

Das Jahr 2020 ist zum Vergessen, eigentlich gehört es in den Mülleimer der Geschichte. Weg damit, Deckel zu. Solches und Ähnliches war öfter zu lesen. Wir können damit nichts anfangen. Trotz Hängenbleiben in Indien und aufgeschobenen Japan-Reiseplänen war das letzte Jahr das, was es war, nämlich ein unwiederbringliches Jahr unseres Lebens. Das Erlebte kann uns niemand nehmen. Vielleicht werden wir irgendwann feststellen, dass gerade das 2020 unser Leben bereichert hat. Zum Beispiel, indem wir Zeit hatten zum Nachdenken über unser Leben und das Sterben, und wie schmerzlich es war, Familie und liebe Freunde nur in Gedanken drücken zu können, von Ausnahmen abgesehen.

Wir haben schon lange die Nase voll vom täglichen Hin und Her rund um Covid-19. Jeden Tag ergiesst sich eine Viren-Informationsflut über unsere Köpfe. Entkommen aussichtslos. Das Gerangel um Kompetenzen, Tests, Masken, Impfungen, Statistiken, Empfehlungen und ständig ändernde Vorschriften nimmt mehr und mehr abstruse Formen an. Neben der Taskforce, die die Behörden berät, drängen laufend neue, selbst ernannte Experten ins Scheinwerferlicht, von Presse und Talkrunden dankbar aufgenommen. Wer hätte geahnt, dass es so viele Wissenschafter mit profunden Kenntnissen in Virologie gibt?

Manchmal kann einem schwindlig werden ob so viel Nonsens und Angstmacherei, die verbreitet wird. Was darf man als mündige Bürgerin, als mündiger Bürger noch glauben? Kaum jemand wird sich wundern, dass wir zum Aufbruch drängen. Lieber morgen als übermorgen. Auf und davon! Das gilt nicht nur für die Auswanderer im Schweizer Fernsehen. Solange irgendwo Grenzen zum Einreisen offenbleiben, verstehen wir das als Einladung. Die Leichtigkeit des Seins neu erfinden. Wir versuchen es. Velofahrer pedalen ohnehin unter dem Radar, sind selten auf Bahnhöfen und Flughäfen anzutreffen, so gut wie nie auf Autobahnen und müssen fahrend keinen Mund- und Nasenschutz tragen.

Angefressene auf Rennvelos und einige E-Biker bolzen Tempo, ansonsten ist Gemütlichkeit das Mass aller Dinge auf den Radwegen. Wir geniessen unsere eigene Zweiradfreiheit. Velofahrer bleiben unter sich. Um uns kümmert sich kaum jemand. Wir mühen uns auf zwei Rädern ab, anstatt bequem auf vieren zu reisen.

Es wird Zeit; Zeit, zu packen. Die Freude am Velofahren im Frühling lassen wir uns nicht nehmen, egal ob in der Schweiz oder im Ausland.

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