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Juragewässerkorrektion

«Mit dem Verein versuchen wir die Quadratur des Kreises»

Die Trockenheit wird im Grossen Moos immer mehr zu einem Problem für die Bauern. Nachdem es bei den beiden bisherigen Juragewässerkorrektionen um eine Entwässerung von Sumpfgebiet ging, steht bei der vorgesehenen dritten die bessere Bewässerung der Gemüsefelder im Vordergrund. Anfang April steht die Gründungsversammlung des Vereins Zukunft Drei-Seen-Land an.

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Sandra Rutschi

Die Landschaft sieht aus wie ein gigantisches Patchwork aus grünen, braunen und schwarzen Flicken. Noch liegen die Felder brach, doch in wenigen Monaten gedeiht hier im Grossen Moos ein Viertel des Schweizer Gemüses. Allerdings ist das frühere Sumpfgebiet mittlerweile im Hochsommer oft zu trocken. Von letzten April bis Ende Februar fiel so wenig Niederschlag wie seit 54 Jahren nicht mehr. Um ihre Ernte zu sichern, pumpen Bauern jeweils mit Dieselmotoren Wasser aus den Entwässerungskanälen. «Diese Motoren sind nicht gut für die Umwelt», sagt Peter Thomet. Der ehemalige Inser BDP-Gemeindevizepräsident steht auf dem Damm des Kallnachkanals und lässt den Blick über die Ebene schweifen. «Dabei hätten wir hier beim Kallnachkanal und im Westen beim Broye- und beim Zihlkanal Zugang zu unerschöpflich viel Wasser – und könnten damit viele Probleme lösen.»

Thomet ist Agronom und war bis zu seiner Pensionierung als Professor an der Fachhochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften tätig. Nun macht er sich als Präsident von Pro Agricultura Seeland für die produzierende Landwirtschaft im Grossen Moos stark. «Es kann nicht sein, dass wir Fruchtfolgeflächen verlieren und stattdessen noch mehr Gemüse aus dem Ausland zukaufen.» Deshalb lancierte seine Interessengemeinschaft die Idee einer dritten Juragewässerkorrektion.

Viele Interessen
Anders als bei den beiden vorherigen Juragewässerkorrektionen, bei denen das Sumpfland entwässert und damit urbar gemacht wurde, soll dem Boden nun wieder Wasser zugeführt werden. «Das könnten wir über die Drainageleitungen machen, die bereits im Boden sind», ist Thomet überzeugt. Er zeigt zu einem Streifen mit Büschen, der durch die rechteckigen Felder verläuft: ein Entwässerungskanal. Dorthin würde er im Hochsommer das Wasser aus dem Kallnachkanal leiten, in das 120 Kilometer lange Netz verteilen und zudem Druckleitungen bis nach Kerzers und Müntschemier bauen, die für die Bewässerung angezapft werden können.

Eine Milliarde Franken. Das wäre wohl die Grössenordnung des Betrags, den eine dritte Juragewässerkorrektion kosten würde, von der Thomets Vorschlag ein Teil wäre. Bezahlen soll die Korrektion primär der Bund. Um Gelder zu beschaffen und über die Entwicklung der Region zu diskutieren, entsteht am 5. April der Verein Zukunft Drei-Seen-Land. Als Geschäftsführer ist der Murtner FDP-Grossrat Markus Ith vorgesehen, der an diesem Vorfrühlingstag zusammen mit Thomet den Damm zum Kallnachkanal erklommen hat.

Es seien sich längst nicht alle einig, wie viel Ackerland es brauche und ob Druckleitungen eine sinnvolle Art dazu seien, den Boden zu bewässern, sagt er. Aber: «Es ist wichtig, dass sich der ländliche Raum zusammenschliesst, so, wie dies die eher städtischen Siedlungsgebiete etwa in der Hauptstadtregion Schweiz machen.» Nur so könne das Land seine Anliegen bei den höheren Instanzen vorbringen.

Doch zuerst gilt es herauszufinden, welche Anliegen das sind. Denn die Interessen am ländlichen Raum sind noch vielfältiger als in Siedlungsgebieten und gehen teils diametral auseinander: Er ist wichtig für die Bauern, für die Natur, für die Industrie und für die Bevölkerung als Naherholungsgebiet. Das Grosse Moos erstreckt sich zudem über fünf Kantone: Bern, Freiburg, Solothurn, Neuenburg und die Waadt. Die Sprachgrenze verläuft mittendurch. Stimmberechtigt im Verein sind Landeigentümer wie Gemeinden, Burgergemeinden und bestimmte private Zusammenschlüsse. Naturschutzverbände und andere Interessengruppen können lediglich Mitglied ohne Stimmrecht werden und Anliegen über Kommissionen einbringen.

Der Boden sinkt ab
Um zu zeigen, welche Interessenkonflikte im Grossen Moos vorherrschen, gehen Ith und Thomet den Damm hinunter und steigen ins Auto. Thomet steuert seinen VW Polo über die Feldwege. Ab und zu lenkt er den Wagen zur Seite, um einen Camion mit Bauaushub kreuzen zu lassen. Unterhalb des Inforamas Seeland in Ins gräbt ein Bagger zugeführte Erde und Humus in ein Feld und schüttet den Boden auf. Schwarz ist die Erde hier, denn die einstigen Moorböden enthalten viel organische Substanz. Sie sind besonders fruchtbar und lassen das Gemüse deshalb gut gedeihen.

Nur: Wenn diesem ehemaligen Torf Wasser entzogen wird, zersetzt er sich. Dabei gelangt klimaschädlicher Kohlenstoff in die Atmosphäre. Auch die Landwirte stellt dies vor Probleme, denn die wertvolle Oberbodenschicht wird immer dünner, der Boden senkt sich ungleichmässig ab. «Es gibt Bauern, die sich selber helfen und ohne Baubewilligung den Boden mit Bauaushub aufschütten», erzählt Thomet. Denn der Kanton behindere dies «mit einer unerträglichen Bürokratie». Richtig wäre, die Entscheidungshoheit und die Kontrolle den ­Gemeinden zu überlassen, findet Thomet. «Gemeinden und Grundeigentümer werden im Bodenschutz entmündigt und übergangen.»

Umständliche Verfahren
Jacques Ganguin kann den Unmut nachvollziehen. «Im Moment ist das Baubewilligungsverfahren tatsächlich relativ umständlich, wenn ein Bauer bloss ein Feld ein paar Dezimeter zum Ausgleich von Unebenheiten oder von Setzungen aufschütten will», sagt der Vorsteher des kantonalen Amts für Wasser und Abfall. Zum einen sei es wohl der Sache nicht dienlich, dass es zwei Fachstellen für Boden beim Kanton gebe. Dies soll sich 2020 ändern. Zum anderen ist für jede Terrainveränderung ein bodenkundlicher Baubegleiter nötig. Es könnte durchaus darüber diskutiert werden, ob dies in jedem Fall sinnvoll sei, sagt Ganguin. «Wir sind offen, für kleinere Projekte einen pragmatischeren Weg mit allen Beteiligten zu finden.» Die strengen Auflagen seien entstanden, weil in anderen Kantonsteilen Gelände mit minderwertigem Material aufgeschüttet worden sei. «Gemüsebauern jedoch haben wohl ein ureigenes Interesse daran, die Qualität des Bodens hoch zu halten.»

Für Christian Hofer, Leiter des kantonalen Amts für Landwirtschaft und Natur, sind standortangepasste Strukturverbesserungsmassnahmen zentral im Grossen Moos. Allerdings sei es wichtig, solche Massnahmen gezielt vorzunehmen. Deshalb ar­beitet der Kanton daran, die unterschiedlichen Böden im Grossen Moos zu analysieren und zu kartieren. Diese Informationen bilden laut Hofer eine Grundlage dafür, zu entscheiden, auf welchen Böden welche Massnahmen richtig sind.

«Zu wenig Gewicht»
Thomet hält mit seinem VW Polo im Gebiet «Jeans Möösli» westlich von Ins. Am Rand des Feldes erheben sich Erdhaufen. Kohlköpfe liegen auf dem Acker, es riecht nach Zwiebeln. Nur wenige Schritte neben dem Feld ist die Welt eine andere. Umrandet von Schilf liegt hinter einem Kanaldamm ein Weiher, umgeben von einem Feuchtbiotop. Der Kanton und die dort lebende Biberfamilie halten den Wasserpegel in diesem Naturschutzgebiet hoch. Die Gemüsebauern nebenan haben daran keine Freude. Denn das Wasser drückt rüber in ihre tiefer liegenden Felder und macht deren Bewirtschaftung schwierig. Traktorspuren, in denen sich Wasser gesammelt hat, zeigen das Problem. «Erst wenn hier der Boden mit Bauaushub angehoben wird, können die Landwirte mit den Maschinen wieder normal aufs Feld fahren und ernten», sagt Thomet.

Schwere Maschinen auf den Böden, Entwässerung und nicht standortangepasste Bewirtschaftung: Das sind für Verena Wagner die Hauptgründe, weshalb das Land im Grossen Moos immer mehr absinkt oder sich in Luft auflöst. Die Präsidentin von Pro Natura Bern ist gegenüber Bodenaufschüttungen sehr skeptisch. «Vieles geschieht heute offenbar ohne Bewilligung aus der Haltung heraus, dass die Bauern es eh besser wissen als die Fachleute», kritisiert sie. «Der Boden wird dadurch nicht besser, im Gegenteil.» Obschon der Verein Zukunft Drei-Seen-Land die Naturschützer in Kommissionen einbinden möchte, sagt sie: «Zurzeit hätten wir zu wenig Gewicht. Wir wären höchstens ein Feigenblatt, um sagen zu können, die Umweltorganisationen seien einbezogen worden.» Sie erwarte eine paritätische Vertretung von Nutzern und Schützern, etwa in einer Kommission oder einem Verein. «Alles andere wird keine zielführenden und keine im wahrsten Sinn nachhaltigen Lösungen hervorbringen.»

Aus Wagners Sicht verläuft die Diskussion zu festgefahren. Gerade die Bodenkartierung könne dabei helfen, herauszufinden, wozu die Böden im Grossen Moos am besten geeignet wären. Wagner denkt dabei auch daran, wo welche Kulturen aus Sicht der bestehenden Bodenqualität überhaupt angebaut werden sollten und wo die Arten- und Lebensraumförderung Vorrang haben solle. «Die Landwirtschaft und die Produzenten müssen bereit sein, sich zu bewegen.»

Einzigartige Landschaft
Peter Thomet steuert seinen VW Polo weiter durchs Moos, zurück in Richtung Kallnachkanal. Auf einer Strecke flicken Gemeindearbeiter den Wegrand, graben ihn auf und füllen ihn mit Grien. Auch hier fordert der absinkende Boden seinen Tribut. Ein Velofahrer kommt ihm entgegen und flucht zum offenen Fenster rein: «Fahren Sie doch weiter zur Seite!» Doch dann würde Thomets Polo im offenen Strassenrand landen, so eng ist es.

Auch als Naherholungsgebiet ist das Grosse Moos wichtig. «Es ist eine einzigartige Ebene, in der wir Weite, Offenheit und den Himmel spüren. Ebenso wie die Kulturgeschichte der Juragewässerkorrektionen und die geometrische Struktur des Landes», sagt Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Der Gemüseanbau könnte noch besser mit dem Tourismus verknüpft werden, findet er. «Wichtig ist, dass die ökologische Bodenqualität verbessert wird und nicht noch mehr Gewächshäuser entstehen. Und dass der Gemüseanbau bestehen bleibt – vielleicht mit mediterraneren Arten, die weniger Wasser benötigen.» Denn Grasland für die Fleischproduktion gebe es in der Schweiz schon genug.

Rückschläge sind absehbar
Mittlerweile ist Thomet in Müntschemier angelangt. Hier wartet Pierre-Alain Sydler von der Stiftung Biotopverbund Grosses Moos. Er führt Markus Ith und Peter Thomet zu einem Biotop, das zwischen dem Landwirtschaftsland und der Kantonsstrasse liegt. «Das zeigt, dass hier durchaus verschiedene Interessen nebeneinander bestehen können», sagt Sydler. Es klingt wie ein nüchternes und vorsichtiges Plädoyer für den steinigen Weg, den der Verein Zukunft Drei-Seen-Land einschlagen möchte. «Mit dem Verein versuchen wir die Quadratur des Kreises», sagt Ith. «Wir werden langsam vorankommen und Rückschläge erleiden. Aber es ist der bessere Weg, als wenn von oben etwas verordnet und dann vor Gericht bekämpft wird.»

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