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Schwadernau

Mit Reis ein Naturparadies geschaffen

Die Landwirte Hans und Monika Mühlheim bauen seit acht Jahren Reis an. Geld verdienen sie damit kaum, dafür fördern sie die Biodiversität: Ihr Nassreisfeld ist ein Paradies für Frösche und Libellen.

Bauer Hans Mühlheim im Reisfeld: «Ich bezweifle, dass das vor 30 Jahren funktioniert hätte.» Bild: Peter Samuel Jaggi

Sarah Grandjean

Sattgrüne Reisterrassen, gesäumt von Palmen. Bauern mit runden Strohhüten, bis zu den Knöcheln im Wasser stehend. Solche Bilder fallen wohl den meisten ein, wenn sie an Reisanbau denken. Aber auch im Seeland ist es möglich, Reis zu anzubauen. Das beweist der Landwirt Hans Mühlheim aus Schwadernau.

Sein Feld erstreckt sich entlang des Nidau-Büren-Kanals. Zusammen mit seiner Frau Monika baut er hier Nassreis an, eine Risottoreis-Sorte. Hans Mühlheim geht zwischen den Pflanzen hindurch, die bis über die Knie reichen. Die schilfähnlichen Blätter rascheln. Die Ähren sind teilweise noch grün, andernorts bereits gelb. Landwirt zerdrückt ein grünes Korn zwischen Daumen und Zeigfinger, es tritt eine milchige Flüssigkeit hervor. Die gelben Körner hingegen sind reif: Er zerbeisst eines, zum Vorschein kommt ein kleines Reiskorn. Dass die Pflanzen nicht überall gleich weit sind, liegt daran, dass das Wasser an den verschiedenen Stellen unterschiedlich warm war. Je wärmer das Wasser, umso schneller reift die Pflanze.

Die Pumpe läuft mit Solarstrom

Mühlheim baut seit acht Jahren Reis an. Auf die Idee hat ihn eine Italienreise gebracht, während der er verschiedene Reisbetriebe besucht hat. Ein italienischer Bauer hat ihm etwas Saatgut mitgegeben, das Mühlheim zuhause im Garten ausgesät hat. Der Reis sei zwar gewachsen, jedoch nicht ausgereift, sagt er. Die Idee habe ihm keine Ruhe gelassen, bis er schliesslich beschlossen habe, grossflächig Reis anzupflanzen. Angefangen hat er mit Trockenreis. Dieser sei sehr anfällig auf die Pilzkrankheiten Mehltau und Spelzenbräune. Ohne Fungizide einzusetzen, komme man dagegen kaum an. Deshalb ist er vor drei Jahren auf Nassreis umgestiegen.

Ende April bringt der Landwirt jeweils die Saat aus. Während der nächsten vier Monate steht das Feld konstant einige Zentimeter unter Wasser. In den ersten 40 Tagen wird es pausenlos geflutet. In dieser Zeit schliesse sich der Boden, erklärt Mühlheim: Es bildet sich eine schleimige Schicht, durch die nur noch wenig Wasser sickert. Von da an genügt es, das Feld nur noch einmal täglich zu wässern. Das Wasser pumpt er direkt aus dem Nidau-Büren-Kanal. Die Pumpe wird mit selbst produziertem Solarstrom angetrieben. Anfang September hat er aufgehört zu bewässern. Jetzt ist das Feld trocken, über den Boden zieht sich an manchen Stellen eine weiche Algenschicht, die aussieht wie Vlies. Mühlheim deutet auf Gräser, die vereinzelt zwischen den Reispflanzen hervorschauen: «Die Hühnerhirse und der Pfirsichknöterich sind die grössten Feinde von Nassreis.» Er jätet sie jeweils von Hand. Unkraut vom Feld fernzuhalten sei die grösste Herausforderung beim Reisanbau.

Nächste Woche steht die Reisernte an. Die unreifen Pflanzen lässt Mühlheim bis Anfang November stehen und hofft, dass sie bis dahin sie noch ausreifen. Bei einem befreundeten Bauern in Spins kann er den Reis jeweils trocknen. Auf seinem eigenen Hof werden die Reiskörner dann maschinell geschliffen, poliert und schliesslich abgepackt.

Flaches Land ist Grundbedingung

Hans Mühlheim ist Präsident des Vereins IG Nassreis. Das Ziel des Vereins ist es, den Nassreisanbau nördlich der Alpen zu erforschen und etablieren. Ausserdem macht er bei einem Forschungsprojekt der Agroscope mit (siehe Zweittext).

Entscheidend für den Anbau von Nassreis sei die Topografie, sagt Mühlheim: Das Land müsse topfeben sein. Und es brauche ein Gewässer in der Nähe. Zwar könnte man das Feld auch mit Trinkwasser bewässern. Aber direkt aus der Leitung wäre es zu kalt: Es müsste zuerst in einem Becken aufgewärmt werden. «Mindestens 20 Grad sollte es schon sein. Je wärmer, umso besser.»

Dass es heute möglich ist, in der Schweiz Reis anzubauen, dürfte unter anderem an der Klimaerwärmung liegen. «Ich bezweifle, dass das vor 30 Jahren funktioniert hätte», so Mühlheim. Aber auch die Reiszüchtung habe Fortschritte gemacht und die Vegetationszeit einzelner Sorten verkürzt.

Ringelnattern auf Jagd

Jedoch hat der Anbau von Nassreis gegenüber jenem von Trockenreis einen grossen Nachteil: Dabei wird eine Menge klimaschädliches Methan freigesetzt. Aber Trockenreis zu produzieren sei ohne den Einsatz von Pestiziden einfach zu aufwendig, sagt Mühlheim. Und es gebe einen ebenso grossen Vorteil: Nassreisanbau fördert die Biodiversität. Das Reisfeld ist ein Paradies für Königslibellen und Wasserfrösche. In diesem Sommer hätten Tausende darin gelebt. Als Mühlheim das Feld trockenlegte, überquerten die Tiere den Uferweg und sprangen in den Kanal. Manchmal machten Ringelnattern im Feld Jagd auf Frösche. Und in den letzten Jahren hat der Landwirt sogar Bekassinen gesehen, eine in der Schweiz seltene Vogelart. Weniger willkommen sind ihm hingegen Enten, denn diese fressen gerne die Wurzeln der noch jungen Reispflanzen. Sie lassen sich aber leicht vertreiben: «Sobald man den Wasserstand senkt und sie nicht mehr schwimmen können, sind sie sofort weg», sagt Mühlheim.

Freude am Experiment

Das Ziel von Hans und Monika Mühlheim ist es, irgendwann mit dem Verkauf von Reis Geld zu verdienen. Noch sind sie weit davon entfernt: «Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis», sagt Hans Mühlheim. Aber das hält ihn nicht davon ab, weiter zu experimentieren. Das Wichtigste seien die Freude am Ausprobieren und an der Handarbeit. Und etwas für die Tierwelt zu tun.

Das Paar will den Reis selbst vermarkten. Zwar würde ihnen eine Reismühle die Ernte abkaufen, aber dabei verdienen sie nur wenig. Deshalb werden sie ab Dezember einen Verkaufsautomaten mit eigenen Produkten an die Strasse neben dem Hof stellen. Da wird es etwa selbst gepresste Öle, Polenta, Popcorn und Kichererbsen zu kaufen geben. Der Preis für den Reis steht noch nicht fest, er hängt von der Ernte ab. Letztes Jahr gab es 500 Gramm für 5 Franken. «Das ist ein stolzer Preis», ist sich Mühlheim bewusst. Aber die Kunden und Kundinnen seien Schlange gestanden. «Alle, die schon mal bei uns Reis gekauft haben, rühmen ihn.» Deshalb wird er auch nächstes Jahr wieder welchen pflanzen – und damit einen Hauch Exotik in Schwadernau säen.

Link: www.nassreis.ch

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Mit Nassreisanbau überflutete Böden nutzen

Agroscope, das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, beschäftigt sich seit 2017 mit dem Anbau von Nassreis in der Schweiz. Dafür geeignet seien Äcker in Flusstälern und im Seeland, schreibt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Yvonne Fabian auf Anfrage. Denn Reis gedeiht am besten an warmen, feuchten Orten. Am häufigsten wird in der Schweiz die Sorte Loto angebaut, weil diese schnell reift.

Der Anbau von Nassreis macht es möglich, zeitweise überflutetes Land sinnvoll zu nutzen. Denn gemäss Fabian haben Landwirte und Landwirtinnen immer mehr mit den Auswirkungen des Klimawandels zu kämpfen. «Wir rechnen damit, dass es in Zukunft häufiger starke Niederschläge und Trockenperioden geben wird. Mal hat es zu viel, mal zu wenig Wasser. Beides führt zu Ertragsausfällen.»

Weiter will Agroscope mit Nassreisanbau bedrohte Tier- und Pflanzenarten fördern. Im Gegensatz zum Anbau von Trockenreis können Schädlinge ohne Pestizide bekämpft werden: «Wenn richtig gewässert wird, sodass der Reis im Wasser steht, aber nicht völlig überflutet ist, unterdrückt man die Unkräuter und braucht keine Pestizide.» Davon profitieren zum Beispiel Laubfrösche, Kreuzkröten und Libellenlarven.

Agroscope führt weiter Versuche durch, um die Anbautechnik zu verfeinern. Man wolle etwa herausfinden, wie man effektiv bewässert und wie man das Unkraut in Schach halten kann. Ausserdem untersuche man die Auswirkungen auf die Umwelt, so Fabian weiter. Zum Beispiel, wie sich die Bodenstruktur durch den Reisanbau verändert und wie viele Treibhausgase dabei freigesetzt werden. sg

 

 

Reisanbau in der Schweiz

In der Schweiz wird nördlich der Alpen auf knapp zwölf Hektaren Nassreis 
angebaut. Nebst Schwadernau an den folgenden Orten: Witzwil (BE), Bavois (VD), La Sauge (FR), Vionnaz (VS), Wasserschloss, Würenlingen, Turgi und Untersiggenthal (AG). Trockenreis wird im Tessin angebaut. Letztes Jahr haben die Betriebe insgesamt 15 Tonnen Nassreis und 400 Tonnen Trockenreis produziert. In diesem Jahr rechnet Agroscope mit 48 Tonnen Nassreis. Zum Vergleich: Die Schweiz importiert jährlich 50 000 bis 60 000 Tonnen Reis. Im Durchschnitt konsumiert eine Person knapp sechs Kilogramm pro Jahr. sg

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