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Kerzers

«Nächstes Mal müssen wir eine Schaufensterpuppe hinstellen»

Papiliorama-Direktor Caspar Bijleveld macht einen Rückblick auf das diesmal gelungene Titanwurz-Spektakel und einen Ausblick auf die Ausbaupläne in Zeiten von Corona.

Künstliche Bestäubung: Mangels Aasfliegen, die das in der Natur besorgen, wurden im Papiliorama mit einem Pinsel Pollen einer Titanwurzpflanze im Botanischen Garten Basel auf jede einzelne weibliche Blüte der beiden Exemplare gesetzt. zvg

Beat Kuhn

Bei einer Pflanze im Papiliorama Kerzers hat man in den letzten vier Jahren zweimal den Atem angehalten – und zwar nicht nur, weil sie während ihrer kurzen Blütezeit zwischendurch stinkt wie die Pest, sondern auch, weil sie es zweimal spannend gemacht hat. Gemeint ist die Titanwurz, die grösste Blume der Welt, deren sogenannter Kolben über drei Meter hoch werden kann.

Statt einer Blüte nur ein Blatt
2016 erhielt das Papiliorama vom Botanischen Garten Basel ein Exemplar als Leihgabe, das kurz darauf blühen sollte. Dies sorgte weitherum für Aufsehen, nicht zuletzt weil dies ein höchst selten zu beobachtendes Ereignis ist. Statt der ersehnten Blüte produzierte die 87 Kilo schwere Knolle damals allerdings lediglich ein – wenn auch riesiges – Blatt und sorgte damit für eine herbe Enttäuschung.

Mit der Blattproduktion übersprang die Pflanze gewissermassen zwei Stufen. Gemäss Lehrbuch hätte sie nämlich zunächst einen oder zwei Tage blühen sollen. Während dieser Phase hätte sie zeitweise besagten Aasgeruch abgesondert, um Aasfliegen für die Bestäubung der Blüten im Blumenkelch anzulocken, Nach dem Verwelken hätte die übrigbleibende Knolle einige Zeit im Erdreich verharrt. Erst dann hätte sie ein solches Blatt austreiben sollen, mit dem durch Photosynthese Energiereserven für das folgende Blühereignis angelegt werden. Doch siehe da: Im Anschluss teilte sich die Knolle in mehrere Jungknollen – was ein mindestens ebenso seltenes Ereignis wie das Blühen der Blume ist. Die Jungknollen wurden einzeln eingetopft und vom Gärtnerteam des Papilioramas umsorgt (das BT berichtete).

Fast ein Geschenk zu Weihnachten
Vor einigen Wochen wurden diese Jungknollen in das neue Gewächshaus des Papilioramas umgesiedelt. Dort geschah erneut etwas Unerwartetes: Die zwei grössten Knollen begannen eine Blume zu produzieren, obwohl sie mit 21 und 17 Kilos unter dem Gewicht lagen, das als «blühfähig» gilt. Papiliorama-Direktor Caspar Bijleveld: «Dies zeigt eindrücklich, wie wenig wir über diese geheimnisvolle Pflanze wissen.»

Der finale Wachstumsschub konnte ab 21. Dezember online mitverfolgt werden. Drei Webcams machten jede Minute ein Foto. Vor Ort sein durfte man diesmal allerdings nicht, weil das sicher grosse Interesse nicht mit dem Schutz gegen Corona vereinbar gewesen wäre. Ebenfalls am 21. Dezember wurde eine erste Medienmitteilung verschickt. «Der Höhepunkt des Blühereignisses» werde «mit grosser Wahrscheinlichkeit zwischen dem 23. und 24. Dezember» liegen, wurde darin prognostiziert – vorsichtshalber mit dem Vermerk: «Wie wir inzwischen wissen, sind Titanwurze immer für eine Überraschung gut.» Und in der Tat gab es kein Weihnachtsgeschenk für Blumenfans.

Der Gärtner hatte recht
Laut Bijleveld basierte das errechnete Blühdatum auf Forschungsberichten sowie auf Beobachtungen des Botanischen Gartens Basel und anderer botanischer Gärten. «Aber die Entwicklung der Blumen hängt auch von Umweltfaktoren wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Licht ab.» Die erste Schätzung von Gärtnermeister Michael Känel habe auf den 28. Dezember gelautet. Nach Rücksprache mit Fachleuten sei diese zeitlich nach vorne korrigiert worden, «weil sich die Pflanzen vor Weihnachten sehr rasch entwickelt haben».

Dass die Kolben beider Pflanzen zügig auf eine Höhe von rund 1,7 Meter anwuchsen, konnte man auf den Webcam-Fotos indes nicht gut erkennen, weil die Kameras hoch oben angebracht waren und ein Grössenvergleich fehlte. Nur wenn man ein Bild erwischte, auf dem auch ein Gärtner zu sehen war, sah man, wie gross die Pflanzen waren. Da sieht Bijleveld denn auch Optimierungsbedarf: «Nächstes Mal müssen wir eine Messlatte oder eine Schaufensterpuppe daneben stellen.»

Letztlich hat sich die ursprüngliche Berechnung also als «ziemlich genau» erwiesen – jedenfalls für das eine der beiden Exemplare: Am Nachmittag des 29. Dezember begann sich das riesige Hüllblatt zu öffnen. In voller Pracht zeigte sich die Pflanze dann nach Einbruch der Dunkelheit. Später am Abend nahm Gärtner Känel noch eine künstliche Bestäubung mit Pollen einer Titanwurzpflanze im Botanischen Garten Basel vor. Dafür wurden runde Öffnungen in den untersten Teil des Blumenkelchs geschnitten. Nur kurz nach dem Verblühen der ersten Pflanze folgte das Blühereignis der zweiten.

Auf die Frage, ob er nie befürchtet habe, dass die Aktion wieder scheitere, meint Bijleveld: «Wir haben uns keine grossen Sorgen gemacht, da die Knospen immer gesund aussahen – was vor vier Jahren nicht der Fall war.» Man kann übrigens hoffen: Wenn eine Knolle einmal geblüht hat, produziert sie im Schnitt alle zwei Jahre eine Blume. Aber eben: Bei der Titanwurz weiss man nie.
 

 

ZWEITTEXT:

Baubewilligung für vierten Tropengarten Canopea liegt vor

Die Idee zum Papiliorama – von «papilio», dem lateinischen Wort für «Schmetterling» – hatte der niederländische Biologe Maarten Bijleveld van Lexmond. Zusammen mit seiner Frau Catheline gründete er 1988 bei Marin im Kanton Neuenburg ein erstes Papiliorama. Am 1. Januar 1995 wurde dieses durch einen Grossbrand zerstört. Dank einer landesweiten Solidaritätswelle konnte das Tropenhaus aber im selben Jahr wiederaufgebaut werden. 2003 wurde es nach Kerzers umgesiedelt, weil es sich an seinem ursprünglichen Standort aus Platzmangel kaum mehr weiterentwickeln konnte. Seither ist Sohn Caspar Bijleveld der Leiter.

Das Papiliorama, in dem heute über 1000 exotische Schmetterlinge umherflattern, und das Nocturama mit nachtaktiven Tieren der Tropenwälder wurden 2003 eröffnet. Es folgte die Eröffnung des Streichelzoos, des Spielplatzes sowie des Schweizer Schmetterlingsgartens, des heutigen «Chlitierlizäut», im Aussenbereich. 2008 kam der «Jungle Trek» hinzu. Dabei handelt es sich um einen Ausschnitt aus dem Naturschutzreservat Shipstern im zentralamerikanischen Land Belize. Dort schützt das Papiliorama eine Fläche Tropenwald, die laut Bijleveld etwa zwei- bis dreimal so gross wie jene des Schweizerischen Nationalparks ist.

Kleinere Erweiterungen gab es immer wieder. Nun soll aber mit der grossen Kelle angerührt werden: mit dem Projekt «Papiliorama 2030 plus» für 14 Millionen Franken. Dieses umfasst zahlreiche Projekte, unter anderem die Schaffung eines vierten Tropengartens namens Canopea. Die Baubewilligung dafür liegt inzwischen vor. «Derzeit befassen wir uns mit der Arbeitsplanung, obschon uns das Jahr 2020 aufgrund der notwendigen Kurzarbeit etwas zurückgeworfen hat», sagt der Direktor. Die Spendensammlung des Fördervereins Pro Papiliorama, die der Bieler Ständerat Hans Stöckli (SP) präsidiert, verläuft laut Bijleveld positiv. bk

 

 

INFOBOX 1:

«Die kommenden Wochen werden kritisch»

«Aufgrund unserer Lage im Kanton Freiburg sind wir zurzeit eine der wenigen noch offenen Institutionen», sagt Direktor Caspar Bijleveld. Vom 26. Dezember bis 10. Januar habe man indes zwei Drittel weniger Besuchende als üblich gehabt. Letztes Jahr habe man wegen Corona vom 16. März bis 8. Juni und vom 6. November bis 11. Dezember schliessen müssen – beim ersten Mal mit voller, beim zweiten Mal mit partieller Versicherungsdeckung. Trotz guter Publikumszahlen im Sommer sei 2020 insgesamt ein sehr schwieriges Jahr gewesen. «Und jetzt gehen uns die finanziellen Reserven aus. Die nächsten Wochen werden kritisch.» bk
 

INFOBOX 2:

Faultierdame Talyta zur Paarung in irischem Zoo

Wenn in einem Zoo bei einer Tierart ein Mangel an Nachwuchs droht, wird das entsprechende internationale Zuchtprogramm aktiviert. In diesem Rahmen ist im November Talyta, eines der Faultiere im Papiliorama, mit einem speziellen Fahrzeug nach Irland in einen Zoo transportiert worden. Laut der mitgereisten Kuratorin Peggy Rüegg hat sich die Faultierdame dort gut eingelebt und ist inzwischen mit einem männlichen Artgenossen namens Matheio «zusammengeführt» worden, wie die Paarung umschrieben wird. «Ob die Familienplanung erfolgreich war, wissen wir allerdings noch nicht», teilt die Kuratorin mit. bk

 

NACHGEFRAGT:

«Für Spitzenzeiten mehr Parkplätze»

Der Bundesrat hat dem Papiliorama untersagt, die Parkplatzfläche auszudehnen, wie dieses dem Kanton Freiburg beantragt hatte. Direktor Caspar Bijleveld begründet seine Pläne und zeigt auf, wie er das Parkplatzproblem an den Spitzentagen doch noch in den Griff kriegen will.

Caspar Bijleveld, der Bundesrat hat Ihnen untersagt, die Parkplatzfläche auf Kosten von Fruchtfolgeflächen zu erweitern, wo das Papiliorama doch über eine eigene Bahnhaltestelle verfüge. Dies verstosse gegen Bundesrecht. Was hatten Sie vor?
Caspar Bijleveld: Wir brauchen einen zusätzlichen Parkplatz für Spitzenzeiten, das heisst für ein paar sehr stark besuchte Tage pro Jahr, zum Beispiel während der Schulferien oder an verlängerten Feiertagswochenenden. Wenn es an solchen Tagen regnet, reicht der bestehende Parkplatz nicht aus, und wir haben keine andere Wahl, als die Fahrzeuge am Rand eines Feldes zu parkieren. Mit dem benachbarten Bauern, dem dieses gehört, haben wir eine entsprechende Abmachung. Der zusätzliche Parkplatz wäre nicht eine geteerte Fläche gewesen, sondern wie der provisorische auf dem Feld des Bauern eine Fläche mit hohem ökologischem Wert.
Aber Sie verfügen ja wirklich über eine eigene Bahnhaltestelle: «Kerzers Papiliorama». Welcher Veranstalter hat das schon?
Ja, die Bahnstation ist tatsächlich ein grosses Plus. Der Umstand, dass sie existiert, bedeutet aber noch nicht, dass immer mehr Besucherinnen und Besucher mit dem Zug zu uns kommen. Zurzeit reisen rund 15 bis 20 Prozent mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. Das ist sehr positiv. Leider nimmt dieser Anteil aber kaum mehr zu.
Warum hat sich der Bundesrat überhaupt mit einem so lokalen Streitpunkt befasst?
Es geht hier um die Revision des kantonalen Richtplans für die Raumplanung im Kanton Freiburg. Diese kantonalen Richtpläne werden vom Bund auf ihre Vereinbarkeit mit dem Bundesrecht überprüft. In Frage gestellt wurde indes nicht der Perimeter des gewünschten Ausbaus, sondern der Inhalt. Fruchtfolgeflächen sind auf nationaler Ebene von grosser Bedeutung und daher geschützt.
Müssen Sie den Entscheid der Landesregierung nun einfach so akzeptieren, bleibt es somit beim Status quo?
Wir arbeiten derzeit an einer Anpassung, um einen akzeptablen Kompromiss vorlegen zu können. Wir möchten nur noch einen kleinen Teil der Fläche umzonen lassen. Der grösste Teil soll als landwirtschaftliche Fläche erhalten bleiben. bk



 

Stichwörter: Kerzers, Papiliorama

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