Sie sind hier

Abo

Chasseral

Naturpark unter die Lupe genommen

Eine junge Forschergruppe hat in zweijähriger Arbeit ein Inventar der regionalen Naturpärke Chasseral und Doubs erstellt. Ihr Bericht enthält konkrete Handlungsempfehlungen zur Förderung der ökologischen Infrastruktur und zum Erhalt der Artenvielfalt.

Die Biodiversität soll in der Schweiz nicht in erster Linie in den Alpen, sondern auch am Chasseral (Bild) gefördert werden. Bild: Adrian Streun/a

Blaise Droz/pl


Vor zwei Jahren hatten die beiden regionalen Naturpärke Doubs und Chasseral beschlossen, ein Pilotprojekt über den Zustand der ökologischen Infrastruktur zu lancieren. Dafür wurde eine Auswahl an Naturobjekten katalogisiert. Für diese Stätten wurden Massnahmen für den Erhalt der Biodiversität erarbeitet.

Emmanuel Contesse, Raphaël Molina, Arnaud Brahier und Pauline de Coulon nennen sich selbst «die drei Musketiere der Biodiversität», obwohl sie eigentlich zu viert am Projekt arbeiteten. In den vergangenen zwei Jahren hat das Team die Artenvielfalt der Regionalpärke analysiert und konkrete Aktionspläne erarbeitet. Die Tätigkeit der Gruppe wurde vom Bund unterstützt.

Der Bericht der «Musketiere» kommt gerade zur richtigen Zeit, denn soeben wurde die Schweizer Biodiversität durch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, (OECD) kritisch beurteilt. Im Schlussbericht erhält die Schweiz denkbar schlechte Noten (siehe Zweittext).

Während der zwei Jahre hat die Arbeitsgruppe eine Fläche von 800 Quadratkilometern analysiert und 13 Berichte zu verschiedenen Schwerpunkten verfasst. Zur Erfassung der rund 6000 Tier- und Pflanzenarten wurden 160 000 Datensätze aufgenommen. Heute verfügen beide Naturpärke über ein flächendeckendes Inventar der ökologischen Infrastruktur.


Die Öffentlichkeit wurde gut dokumentiert
Im Laufe der zweijährigen Auftragsarbeit haben die Rechercheure eine reiche Dokumentation an das Publikum übermittelt: zwölf Mitteilungen, drei Medienorientierungen und zwölf Informationsschreiben veröffentlichten sie über verschiedene Kanäle. Die Kampagne der «Musketiere» fand auch in den Medien ein breites Echo: Über 50 Beiträge wurden über Zeitungen, Radio und Fernsehen verbreitet.

Zudem wurden 62 Fachinformationen an verschiedene Akteure der Regionalpärke gesendet. 45 Jäger erhielten eine besondere Ausbildung, damit sie aus ihrer Warte die Projekte zur Verbesserung der ökologischen Infrastruktur begleiten können.
Der Schutz von Quellgebieten und der Erhalt von Lebensraum für Mehlschwalben und Fledermäuse hat das Team viel Arbeit gekostet. Zudem wurde eine Zusammenarbeit mit der Gemeinde Tramelan aufgebaut, dank welcher die gemeindeeigenen Grünflächen in Zukunft mit Blick auf die Biodiversität genutzt werden sollen.  


Die Regionalparkleiter sind sehr zufrieden
Die Forschungsarbeit der vier jungen Wissenschafter schlägt sich in 15 Aktionsplänen und 60 konkreten Massnahmen nieder. Alle vorgeschlagenen Pläne und Massnahmen werden genau umschrieben. Zudem wurden stets ein Kostenvoranschlag berechnet und ein Weg zur Finanzierung skizziert. Das umfassende Schlussdokument über die Verbesserung der ökologischen Infrastruktur und den Erhalt der Biodiversität ist mehr als 1000 Seiten stark.

Die Leiter der beiden Naturpärke, Fabien Vogelsperger vom Park Chasseral und Thor Maeder vom Park Doubs, zeigen sich über die theoretische und praktische Dokumentation der «Musketiere» sehr zufrieden. Die Arbeit ist nach Ansicht der Parkverantwortlichen derart wertvoll, dass sie ihrer Meinung nach als Muster für alle Schutzgebiete der Schweiz genutzt werden könnte.


Auch als Leitfaden für Gemeinden geeignet
Die erarbeiteten praktischen und Lösungen können anderen Regionalpärken oder auch Gemeinden als Leitfaden für eigene Projekte auf dem Gebiet der ökologischen Infrastruktur und dem Erhalt der Biodiversität dienen.
Dennoch mögen kritische Leser einen kleinen Wermutstropfen im Bericht entdecken: Die Reptilien und Amphibien, die gemäss OECD zu den gefährdetsten Wirbeltieren der Schweiz gehören, erscheinen nicht unter den dringlichen Empfehlungen zum Erhalt der Artenvielfalt.

* * * * *

Wahrnehmung und Wirklichkeit klaffen auseinander
Was die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über den Zustand der Schweizer Biodiversität schreibt, ist aus zwei Gründen alarmierend. Zum einen nimmt die Artenvielfalt in der Schweiz dramatisch schnell ab. Eine von drei Tier- oder Pflanzenarten ist gefährdet. Zum anderen glauben 74 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer, dass hierzulande in Sachen Biodiversität durchaus zufriedenstellende oder gar vorbildliche Verhältnisse herrschen.
Masimichi Kono, stellvertretender Generalsekretär der OECD, stellt entsprechend eine grosse Differenz zwischen dem objektiven Zustand der Natur und der Wahrnehmung durch die Bevölkerung fest.

Die Biodiversität fängt bereits bei den kleinsten Lebewesen an. Diese sind deshalb besonders wichtig, weil sie sozusagen den biologischen Sockel für alle anderen Tier- und Pflanzenarten bilden. Auch etwas grössere Tiergattungen werden von unkundigen Betrachtern kaum wahrgenommen. In diese Kategorie gehören die Reptilien und Amphibien. Dabei sind 79 Prozent der Reptilien und 62 Prozent der Amphibien vom Aussterben bedroht. Bei den Säugetieren sind es hingegen «nur» 36 Prozent. Den grössten Anteil davon bilden die Fledermäuse.

Klar scheint, dass die Schweiz gute Noten im Umweltschutz für sich beanspruchen darf. Dank der Wasserkraft sehen der Energiemix und die Menge der aus dem Energieverbrauch entstehenden Treibhausgase, die in die Atmosphäre abgegeben werden, relativ gut aus.
Aber wenn es um die Anstrengungen zum Erhalt der Artenvielfalt geht, sieht es anders aus. Nur 6,2 Prozent der Fläche der Schweiz sind als geschützte Gebiete ausgeschieden. Dabei hatte sich die Schweiz 2010 verpflichtet, 17 Prozent ihres Hoheitsgebietes zu schützen.
Aber warum glauben die Schweizer immer noch hartnäckig, dass es in der Schweiz mit der Artenvielfalt so gut bestellt sei? Die Antwort liegt womöglich im Hang zum Sauberen und Ordentlichen. Eine grüne Alpweide scheint den Eindruck eine intakte Landschaft zu erwecken. Aber auf diesen gerodeten und abgeweideten Flächen ist eher eine bescheidene Biodiversität zu erwarten. Auch die Hochalpen mit ihren schroffen Felsen und glitzernden Eisfeldern stehen nicht im Verdacht, eine besonders reiche Artenvielfalt zu bergen.
Wenn die Schweiz  die Biodiversität fördern will, sollte deshalb das Augenmerk auf die Ebenen und voralpinen Regionen gerichtet sein. bd/pl
 

Nachrichten zu Seeland »