Sie sind hier

Abo

Brügg

Naturschützer kämpfen um alten Eichenwald

Im Bärletwald in Brügg stehen alte Eichen, Buchen und Eschen. Da deren brüchige Äste eine Gefahr für Spaziergänger sind, sollen rund 90 Bäume gefällt werden. Doch dagegen regt sich Widerstand.

Der Bärletwald weist eine hohe Biodiversität auf, die Naturschützer unbedingt erhalten wollen. Für die Gemeinde Brügg ein Dilemma:Sie muss dafür sorgen, dass auf dem Weg am Waldrand niemand verletzt wird. Raphael Schaefer

von Carmen Stalder

Vor ein paar Wochen haben Anwohnerinnen und Anwohner des Rainparks in Brügg mit Erstaunen festgestellt, dass rund 90 Bäume im direkt an ihre Siedlung angrenzenden Bärletwald mit leuchtender Farbe markiert waren. Einige von ihnen gingen der Sache auf den Grund und fanden bald heraus, dass die bis zu 250 Jahre alten Eichen, Buchen und Eschen gefällt werden sollen.

Aufgrund ihres Alters haben die Bäume teilweise brüchige Äste, die auf den Spazierweg am Waldrand hinunterzufallen drohen. Ein Brügger informierte vor einiger Zeit den Staatsforstbetrieb des Kantons Bern (Eigentümer des Waldstücks) über die drohende Gefahr. Dieser empfahl einen Sicherheitsholzschlag und nahm mit der Gemeinde (Eigentümerin des Weges) das Gespräch auf. Als Sofortmassnahme sperrte die Gemeinde daraufhin den Weg. Denn wenn einem Spaziergänger oder einer Spaziergängerin etwas passieren würde, könnte die Gemeinde dafür belangt werden.

In der Bevölkerung formierte sich derweil Widerstand. Ein Schreiben eines Anwohners wies die Nachbarschaft auf die «geplante Abholzung des Bärletwaldes» hin. Ein anderer lancierte eine Petition, um den «massiven Holzschlag» abzuwenden: Stand gestern hat er knapp 1100 Unterschriften gesammelt. Und auch verschiedene Naturschutzorganisationen schalteten sich ein, darunter der Verein Milan Vogelschutz Biel.


Kein gewöhnlicher Wald

«Knorrige Eichen, schöne Waldspaziergänge, charaktervolle Buchen, mystische Stimmung, trommelnde Spechte – der Bärletwald ist vielseitig, ein Hauch von ‹Urwald›-Erlebnis mitten im urbanen Raum»: So beginnt ein Flyer, den der Präsident des Vereins, Michael Lanz, verfasst hat. Der Naturschützer kommt ins Schwärmen, wenn er vom Bärletwald erzählt. Es handle sich um einen der letzten Eichenwälder mit so alten Bäumen im gesamten Berner Mittelland. Er weise eine hohe Biodiversität auf, mit insgesamt 22 Arten, die sich auf der Roten Liste befinden – darunter Säugetiere wie der Iltis oder die Fledermaus und Vögel wie der Mittelspecht oder der Rotmilan. «Es ist nicht irgendein Wald, er weist einen sehr hohen Wert auf», sagt Lanz.

Entsprechend setzt er sich dafür ein, dass die Bäume nicht gefällt werden. Er sieht zwar ein, dass die Gemeinde handeln muss. Doch es gebe weniger rabiate Lösungen: etwa lediglich die gefährlichen Äste zu entfernen. «Ich bin für Baumpflege statt Bäume fällen», sagt Lanz. Damit könne gleichzeitig das Sicherheitsbedürfnis der Gemeinde berücksichtigt und der Wald erhalten werden.

Um seine Forderung zu unterstreichen, verweist er auf andere Wälder in der Schweiz, wo ähnlich verfahren wird. Im Ried entfernt die Burgergemeinde Biel Äste von alten Bäumen, die sich entlang von Strassen und Waldwegen befinden. In Luzern gibt es mit dem Eichwald ein Sonderwaldreservat mit alten Bäumen, die an Strassen, Parkplätze und Gebäude grenzen. Für Lanz sind das nur zwei von vielen Beispielen, die beweisen, dass alte Bäume mithilfe von Baumpflege gesichert werden können.


Die Gemeinde muss handeln

Die Situation im Bärletwald ist jedoch nicht ganz unkompliziert. Als Waldbesitzer hat der Kanton Bern keine Bewirtschaftungspflicht, sämtliche Besucherinnen und Besucher betreten den Wald auf eigenes Risiko. Geschädigte haften deshalb selbst für im Wald erlittene Schäden. Der besagte Weg am Waldrand gehört allerdings der Gemeinde Brügg. Als Werkeigentümerin ist sie für die sichere Benützung des Weges verantwortlich, wozu auch der Schutz vor herunterfallenden Ästen gehört.

Michael Gloor, Leiter des Staatsforstbetriebs Bern, macht deutlich, dass der Handlungsbedarf beim Waldrand im Bärletwald bei der Gemeinde Brügg liegt. Allerdings unterstütze man die Gemeinde in dieser Sache und habe beispielsweise gemeinsam die betroffenen Bäume markiert. Der Staatsforstbetrieb würde die Bäume auch fällen, sofern die Gemeinde den Auftrag dazu erteilt.

Für Gloor ist klar, dass Brügg handeln muss: «Die markierten Bäume sind gefährlich, als Gemeinde würde ich dieses Risiko auch nicht tragen wollen.» Davon, dass die geplanten Sicherheitsmassnahmen von manchen Brüggerinnen und Brüggern als Rodung bezeichnet werden, hält er allerdings nichts – auch wenn Bäume gefällt würden, bleibe es rechtlich immer ein Wald. Und: «Die Bäume werden nicht aus wirtschaftlichen Gründen gefällt», so Gloor. Vielmehr müsse die Gemeinde hier ihre Pflicht wahrnehmen und mit den Massnahmen die Sicherheit der Waldspaziergänger und Anwohnerinnen gewährleisten.


Keine Hauruck-Übung

Die Gemeinde Brügg befindet sich nun in einem Dilemma. «Wir wollen den Spagat zwischen dem Erhalt der Natur und dem Schutz der Menschen hinbekommen», sagt Gemeinderat Hans Flückiger (Ortsvereinigung). Ihm und seinen Amtskollegen sei es ein wichtiges Anliegen, keine Hauruck-Übung zu machen. Vielmehr gehe es darum, die verschiedenen Möglichkeiten zu überprüfen und mit Augenmass und Sensibilität umzusetzen.

Der erste Vorschlag des Kantons kommt schon einmal nicht in Frage: Die Strasse am Waldrand aufzuheben, ist gemäss Flückiger keine Option, denn zwei Liegenschaften werden über sie erschlossen und sie dient als Notzufahrt für die Siedlung Rainpark. Die zweite Möglichkeit wäre ein Verkauf des rund zwei Hektar grossen Waldstücks, sei es an die Gemeinde, eine Naturschutzorganisation oder an eine andere noch zu findende Kooperation. Die neue Besitzerin könnte die Bäume dann mit «chirurgischen Eingriffen» sichern. Gemäss Flückiger wäre dies für den Gemeinderat eine valable Variante.

Die dritte Option ist diejenige, die bei der Bevölkerung offensichtlich gar nicht auf Anklang stösst – das Fällen der markierten Bäume. In diesem Fall würde der Kanton die anfallenden Kosten übernehmen. Weiter sagt Flückiger, dass im Gespräch mit dem Kanton geprüft werden müsse, ob nicht eine Mischung aus «baumchirurgischen Eingriffen» und «Fällen von unrettbaren Bäumen» eine Möglichkeit wäre. Welche Lösung schliesslich zum Tragen kommt , ist offen. Denn noch ist der Meinungsbildungsprozess in vollem Gang.

Vor rund einer Woche hat eine von Michael Lanz organisierte Begehung des Bärletwaldes stattgefunden. Vertreter der Gemeinde, des Staatsforstbetriebs und von Naturschutzorganisationen haben sich die Situation vor Ort gemeinsam angeschaut – mit dem Ziel, gegenseitig Verständnis für die verschiedenen Bedürfnisse zu wecken. Lanz schaut zufrieden auf die Begehung zurück. Er habe das Gespräch gesucht und gefunden. Für ihn ist jedoch klar: Man habe die Lösungsfindung erst aufgegleist.

Hans Flückiger betont, dass sich die Gemeinde stark für den Naturschutz einsetze, vor ein paar Jahren habe man dafür eigens eine Fachstelle gegründet. Entsprechend findet er es nicht toll, wenn nun einige Anwohnerinnen und Anwohner die Gemeinde als böse Waldroderin darstelle. Ebenfalls kein Verständnis hat er dafür, dass Unbekannte die Absperrung des gefährdeten Weges wieder entfernt haben.

* * * * *

Info: Im Rahmen eines Informationsanlasses vor Ort werden Interessierte ausführlich informiert. Dieser Anlass findet am Samstag, 30. Januar, um 10 Uhr statt. Treffpunkt ist oberhalb des Schulhaus Bärlet I (Seite Bärletweg). Coronabedingt wird um eine Voranmeldung bei der Bauverwaltung Brügg gebeten, Tel. 032 374 25 65.

Nachrichten zu Seeland »