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Kinderbetreuung

Nicht alle werden profitieren

Wer die Kosten für die Betreuung seines Kindes nicht selbst tragen kann, soll künftig bei der Gemeinde einen Gutschein anfordern können. So will der Regierungsrat den Eltern den Zugang zu den Betreuungsangeboten erleichtern. Doch die Sache hat einen Haken.

Wer heute einen subventionierten Kita-Platz ergattern will, landet in der Regel auf einer Warteliste. Denn die Anzahl Plätze ist begrenzt. Mit dem neuen System soll sich das ändern - zumindest theoretisch. Bild: Matthias Käser/a

Jana Tálos

Luzern hatte sie als erste, Zug hat nachgezogen, 2014 wurden sie versuchsweise in der Stadt Bern eingeführt und bald soll auch das Seeland von ihnen profitieren: Die Rede ist von sogenannten Kinderbetreuungsgutscheinen, die der Regierungsrat ab August 2019 im gesamten Kanton einführen will.

Was klingt wie ein Konzept aus dem Supermarkt, wo man Bons gegen Produkte, in diesem Fall Gutscheine gegen Kinderbetreuung, eintauschen kann, hat einen weitaus komplexeren Hintergrund.

Faktisch funktioniert es aber genau so: Eltern, die ihre Kinder fremdbetreuen lassen müssen, können bei ihrer Gemeinde einen Gutschein anfordern und diesen dann bei einer Kita oder Tagesfamilie einlösen.


Zu wenig subventionierte Plätze
Diese neue Praxis bedeutet einen fundamentalen Wechsel in der Subventionspolitik des Kantons. Bisher galt: Wer sein Kind fremdbetreuen lassen will, aber zu wenig verdient, um die Kosten dafür selbst zu tragen, muss seinen Anspruch auf Unterstützung bei der Wohngemeinde geltend machen – und kommt dabei in der Regel erst einmal auf eine Warteliste.

Die Anzahl subventionierter Kita- oder Tagesfamilienplätze ist heute nämlich begrenzt. Sind mehr solcher Plätze nötig, muss die Gemeinde diese zuerst beim Kanton beantragen – und das geht meist nicht von heute auf morgen, und erst recht nicht in der gewünschten Zahl, da jeder zusätzliche Platz sowohl die Wohngemeinde als auch den Kanton Geld kostet.

Das hat wiederum zur Folge, dass insbesondere Familien des Mittelstands heute lange auf einen subventionierten Kitaplatz warten. Die Plätze werden nach Dringlichkeit vergeben, was bedeutet, dass Kinder, deren Eltern zur Existenzsicherung erwerbstätig sein müssen, oder die aufgrund der sozialen Situation im Elternhaus dringend einen Platz brauchen, zuerst dran kommen.


Bis zu 40 Wochen Wartezeit
Es kann also durchaus sein, dass eine Familie bis zu 40 Wochen warten muss, bis sie von der Gemeinde einen entsprechenden Platz zugewiesen bekommt. Das zeigen Zahlen der Stadt Bern, die vor der Einführung des Gutscheinsystems erhoben wurden. In Biel, wo derzeit rund 140 subventionierte Vollzeitplätze fehlen (das BT berichtete), kann die Situation je nach Anmeldezeitpunkt ähnlich aussehen, wie Marcel Meier, Leiter der Dienststelle Kinderbetreuung und Schulsozialarbeit der Stadt Biel, bestätigt.

Mit dem neuen Modell soll so etwas nicht mehr möglich sein. Die Eltern sind selbst dafür verantwortlich, einen geeigneten Kita- oder Tagesfamilienplatz für ihr Kind zu finden. Ob sich die gewählte Institution in der Wohngemeinde oder zum Beispiel am Arbeitsort der Mutter oder des Vaters befindet, spielt dabei keine Rolle mehr. Die einzige Bedingung: Sie muss vom Kanton als öffentliches Betreuungsangebot zugelassen sein (siehe Bedingungen dazu in Infobox auf Seite 22) – und sie darf beim Tarif nicht zwischen Kindern mit und Kindern ohne Gutschein unterscheiden.

Für die Gemeinde heisst das, dass sie selbst keine Wartelisten mehr führen muss. Sie muss lediglich berechnen, ob die Eltern tatsächlich Anspruch auf einen vergünstigten Betreuungsplatz haben und wenn ja, in welcher Höhe der Gutschein ausgestellt werden darf. Das hängt wie schon heute wiederum vom Jahreseinkommen ab. 160 000 Franken an steuerbarem Einkommen darf eine Familie maximal erwirtschaften, um Anspruch auf eine Vergünstigung zu haben. Neu müssen die Eltern zudem nachweisen, dass sie zusammen  mindestens 120 Prozent arbeiten, um ihren Anspruch geltend machen zu können. Besucht das Kind bereits den Kindergarten, sind 140 Prozent nötig. Bei Alleinerziehe-nden gilt ein Mindestpensum von 20 respektive 40 Prozent.


Mehr Freiheiten für die Eltern
Ist dieser Nachweis erst einmal erbracht, bietet das System vor allem den Eltern wesentliche Vorteile – zumindest auf den ersten Blick. Einerseits können sie sich nun darauf verlassen, dass sie einen vergünstigten Platz erhalten, egal, wie viele andere ihren Anspruch ebenfalls geltend machen. Je nach Einkommen erhalten sie dabei für einen Kitaplatz eine Ermässigung von bis zu 100 Franken pro Tag oder 8.50 Franken für eine Stunde Betreuung in einer Tagesfamilie. Auf der anderen Seite können sie nun selbst wählen, welche Kita oder Tagesfamilie ihr Kind besuchen soll. Die meisten dürften sich demnach für einen Platz in der Nähe des Wohnortes oder aber in der Nähe des Arbeitsplatzes entscheiden.

Dass das Kind auch hier erst einmal auf eine Warteliste gesetzt wird, weil die Kita oder Tagesfamilie gerade keinen Platz frei hat, ist zwar nicht ausgeschlossen. Doch die Wartezeit wird deutlich verkürzt, zumal sich die Eltern nach einer Alternative umschauen können. Das bestätigen auch die Zahlen aus der Stadt Bern, die das System Betreuungsgutscheine zwischen 2013 und 2015 als Pilotprojekt eingeführt hat. So fänden heute rund 66 Prozent der Eltern zum gewünschten Zeitpunkt einen Platz in einer Kindertagesstätte. Wer warten muss, tut dies heute zudem noch maximal 20 Wochen – also nur noch halb so lange, wie das vor der Einführung der Gutscheine der Fall war.


Bessere Auslastung für die Kitas
Auch die Kitas und Tagesfamilien dürften von den Gutscheinen profitieren, auch wenn die Umstellung für sie erst einmal bedeutet, dass sie sich nun im Markt gegen mehr Mitbewerber durchsetzen müssen. Der Vorteil: Weil bisher nur eine beschränkte Anzahl subventionierter Plätze angeboten wurde, waren die Institutionen – gerade in Gemeinden wie der Stadt Biel – nicht immer optimal ausgelastet. Konkret: Während die Wartelisten bei den vergünstigten Plätzen immer länger wurden, blieben die privaten Plätze oft leer. Und das, obwohl die Nachfrage nach Betreuung durchaus vorhanden gewesen wäre.

Mit der Einführung von Betreuungsgutscheinen wird nun das gesamte vorhandene Angebot in das System miteinbezogen. Der Kanton erhofft sich dadurch auch eine bessere soziale Durchmischung in den einzelnen Kita- oder Tagesfamiliengruppen, wie das auch beim Pilotprojekt in Bern festgestellt wurde. Den Institutionen ist es nämlich nicht erlaubt, für Familien ohne Gutschein einen höheren Tarif zu verlangen als bei Familien mit Gutschein. Eine Vorzugsbehandlung dürfte damit wegfallen. Zudem verpflichten sich die am System teilnehmenden Kitas und Tagesfamilien, im Rahmen ihrer Kapazitäten auch sozial dringliche Fälle aufzunehmen. Dasselbe gilt für Kinder mit besonderen Bedürfnissen.


Jede Gemeinde entscheidet selbst
Weniger lange Wartezeiten, freie Platzwahl, optimale Auslastung des Angebots und eine bessere soziale Durchmischung – klingt alles schön und gut, hätte die Sache nicht einen Haken: Der Kanton stellt es den Gemeinden nämlich frei, ob sie bei dem neuen System mitmachen oder nicht. Konkret bedeutet das: Ob jemand von den Gutscheinen profitieren wird, hängt nicht nur davon ab, wie viel er verdient oder wie viel er arbeitet, sondern auch davon, ob seine Wohngemeinde dazu bereit ist, die finanzielle Last mitzutragen. Das kann unter Umständen dazu führen, dass er gar keine Chance mehr auf eine Vergünstigung hat, weil der Kanton alternative Angebote nicht mehr mitfinanziert.

Dass sich eine Gemeinde gar nicht an dem System beteiligt, dürfte zumindest im Seeland eher unwahrscheinlich sein, auch wenn sich die meisten noch nicht entschieden haben (siehe Karte). Viele geben an, dass der Bedarf an Kita- und Tagesfamilienplätzen in den letzten Jahren gestiegen ist, und dass eine Nachfrage nach subventionierten Plätzen vorliegt. «Die Bevölkerung könnte es daher kaum nachvollziehen, wenn sich die Gemeinde plötzlich von der Erfüllung ihrer Aufgaben verabschieden würde», sagt etwa Oliver Jäggi,Gemeindeschreiber von Studen.

Viel wahrscheinlicher ist hingegen, dass eine Gemeinde die Anzahl Gutscheine begrenzt. Der Kanton hat nämlich nicht vor, den Beitrag an die Gemeinden zu erhöhen, auch wenn die Subventionsgelder künftig auf mehr Köpfe verteilt werden müssen und der administrative Aufwand für die einzelnen Gemeinden steigt. Ziel sei, die Systemumstellung kostenneutral zu vollziehen, wie Esther Christen von der kantonalen Erziehungsdirektion im letzten Jahr immer wieder betonte.

Die Mehrkosten, die bei der Umstellung entstehen, müssen daher grösstenteils von den Gemeinden selbst und von den Eltern getragen werden. «Wenn der Kanton diese Option offen lässt, wird es auch Gemeinden geben, die eine Limitierung vornehmen», sagt Nadine Hoch, Geschäftsleiterin des Verbands Kinderbetreuung Schweiz (siehe Interview rechts). «Dann haben wir die gleiche Situation wie heute: Nämlich, dass nur ein Teil der Eltern profitiert – und der Rest leer ausgeht.»


Mehrkosten von 200 000 Franken
Die Stadt Biel hat in einer Medienmitteilung von Ende August bereits angekündigt, dass sie eine Limitierung der Gutscheine ins Auge fassen wird, sollte der Kanton nicht bereit sein, die finanziellen Mittel zu erhöhen. «Alleine der zu erwartende Mehraufwand für die Administration der Betreuungsgutscheine beträgt mindestens 200000 Franken pro Jahr», so die Stadt. Hinzu kämen die Aufwände des Sozialdienstes, der mit der Beurteilung und der Ausstellung von Bestätigungen belastet wird. «Aufgrund der Finanzlage der Stadt Biel ist es für den Gemeinderat denkbar, dass die Anzahl Betreuungsgutscheine in Biel begrenzt werden muss», heisst es. Dies, obwohl damit das Ziel des Gutscheinsystems nicht erreicht werde.

Ähnlich beurteilen auch viele andere Gemeinden imSeeland die Situation. Von den wenigen, die sich bereits für die Einführung der Gutscheine entschieden haben, kann nur gerade Leubringen-Magglingen mit Sicherheit sagen, dass die Gutscheine vorläufig nicht limitiert werden. Der Rest will zuerst abwarten, wie sich die rechtliche Grundlage des Systems entwickelt.Die entsprechende Verordnungsanpassung befindet sich aktuell noch in der Vernehmlassung, der Regierungsrat wird sie voraussichtlich erst imFebruar verabschieden. In Kraft treten wird sie daher frühestens am 1. April 2019.

Was bereits sicher ist: Kaum eine Seeländer Gemeinde wird die Betreuungsgutscheine bereits im August 2019 einführen, auch wenn das nach dem Zeitplan des Kantons möglich wäre. «Wir springen jetzt nicht gleich auf den ersten Zug auf», sagt etwa Uli Hess, Gemeindeschreiber vonAegerten. Dafür gebe es noch zu viele Unbekannten.

Die meisten planen eine Umstellung auf August 2020, oder aber auf den letzmöglichen Termin der Übergangsphase: den 1. Januar 2021. Damit bleibt auch Zeit, sich mit anderenGemeinden abzusprechen, sagt Florian Schuppli vom Verein Seeland.biel/bienne. Zu diesem Zweck werde der Verein im kommenden Mai auch einen Themenabend durchführen und den Gemeinden ihre Möglichkeiten aufzeigen.

Die Eltern müssen sich also weiterhin gedulden.


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Die Schweiz hinkt bei der Kinderbetreuung hinterher

Die Kosten für familienergänzende Kinderbetreuung sind immens, der Mutterschaftsurlaub kurz, und wer nach ein paar Tagen Vaterschaftsurlaub fragt, wird erst einmal schräg von der Seite angeschaut. Was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht, hat die Schweiz noch einiges an Nachholbedarf.

Wer sein Kind in der Schweiz fremdbetreuen lässt, dem schneit am Ende des Monats eine saftige Rechnung ins Haus. Bis zu 140 Franken kann ein Ganztagesplatz in einer Kita kosten. Wer sein Kind zwei bis drei Mal pro Woche in die Kita schickt, zahlt demnach zwischen 1100 und 1600 Franken pro Monat – und das häufig, ohne dass sich der Staat in irgendeiner Art und Weise an den Kosten beteiligen würde.

Für viele Frauen stellt sich deshalb die Frage, ob es sich überhaupt lohnt, nach der Geburt wieder in den Beruf einzusteigen. Denn je nach Branche liegen die Kosten für die Fremdbetreuung gar im selben Bereich wie der Lohn, den sie im Gegenzug ausbezahlt erhalten. Bei Familien mit zwei Kindern im Vorschulalter lohnt es sich beispielsweise für den einen Elternteil häufig nicht, mehr als 60 Prozent zu arbeiten. Ein vierter oder fünfter Arbeitstag wirkt sich teils sogar negativ auf das Familienbudget aus, wie verschiedene Studien aus der Romandie, aus Basel und Zürich zeigen.


Schweden als Vorzeigeland
Fakt ist auch: In kaum einem anderen Land innerhalb der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) beteiligt sich der Staat so wenig an den Kinderbetreuungskosten wie in der Schweiz. Zum Vergleich: In Deutschland, Österreich oder Frankreich müssen die Eltern zwischen 14 und maximal 25 Prozent der Betreuungskosten selber tragen. In der Deutschschweiz und im Tessin beteiligen sich die Eltern hingegen zu rund zwei Dritteln selbst an den Kosten, in der Romandie im Schnitt mit einem Drittel.

Problematisch ist hier, dass zwischen den einzelnen Sprachregionen, aber auch zwischen den einzelnen Kantonen und Gemeinden grosse Unterschiede herrschen. Eine flächendeckende Aussage für die gesamte Schweiz zu machen ist daher schwierig. Trotzdem geht aus dem Vergleich hervor, dass die Schweiz hier zu einem gewissen Teil hinterherhinkt – sowohl in der Unterstützung der Familien als auch in den Strukturen. So hat in der Schweiz noch lange nicht jede Familie Zugang zu einem Kita- oder Tagesfamilienplatz. In Schweden, dem Vorzeigeland in Sache Kinderbetreuung, muss hingegen jede Gemeinde dafür sorgen, dass im Prinzip jedem Kind ab dem ersten Lebensjahr ein Platz in einer Vorschule zur Verfügung steht. Wie viel dieser kostet, entscheiden die Kommunen oder privaten Träger selbst. Der zu bezahlende Betrag liegt jedoch nicht über drei Prozent des Einkommens der Familie. Ab dem dritten Kind ist der Besuch der Vorschule für die weiteren Kinder kostenfrei.

Hier gilt es zu relativieren, dass Eltern in Schweden deutlich höhere Steuern zahlen als in der Schweiz. So kann es dort durchaus vorkommen, dass jemand über 50 Prozent Steuern auf sein Einkommen zahlt. Das ist in der Schweiz nicht der Fall. Trotzdem hat man es in Schweden geschafft, was sich Nadine Hoch, Geschäftsleiterin des Verbands Kinderbetreuung Schweiz auch für die Schweiz wünscht (siehe Interview rechts): Die familienergänzende Betreuung wurde in das Bildungsangebot integriert.


Bund stellt Gelder zur Verfügung
Dass etwas getan werden muss, hat auch der Bund erkannt. So stellte er 2015 Fördergelder von 100 Millionen Franken über einen Zeitraum von fünf Jahren in Aussicht, um das Betreuungsangebot zu optimieren. Darunter befinden sich auch Finanzhilfen für die Gemeinden und Kantone, damit diese die Subventionen für familienergänzende Betreuungsangebote erhöhen können.

Im Kanton Bern wird vorläufig noch niemand von diesenGeldern profitieren. So teilte die Gesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF) imFrühling mit, dass der Kanton Bern keine Gelder aus dem Topf beantragt hat. Der Bund würde den Ausbau von Unterstützungsleistungen nur während dreier Jahre mitfinanzieren, danach müsste der Kanton für die zusätzlichen Leistungen aufkommen, wie GEF-Sprecher Gundekar Giebel imApril gegenüber dem «Bund» sagte. Zudem nehme man ohnehin gerade die Umstellung auf Betreuungsgutscheine vor und diese soll kostenneutral erfolgen (siehe Haupttext).


Vaterschaftsurlaub auf dem Tapet
Neben den Diskussionen um die familienergänzende Kinderbetreuung wird in der Schweiz derzeit auch heftig über die Elternzeit debattiert. Auch hier steht das Land im internationalen Vergleich hinten an, weil es keine Regelung für einen Vaterschaftsurlaub gibt. Eine 2017 eingereichte Initiative fordert nun, dass die Schweiz einen vierwöchigen Vaterschaftsurlaub einführt, und die Elternzeit künftig über die Erwerbsersatzordnung finanziert wird. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab. Der Ständerat ist gewillt, einen Gegenvorschlag vorzubringen. Die Initiative kommt voraussichtlich frühestens 2020 vors Volk. Jana Tálos


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«Die Umstellung ist überfällig»

Nadine Hoch, Geschäftsleiterin Kibesuisse

Der Verband Kinderbetreuung Schweiz (Kibesuisse) begrüsst, dass der Kanton die Gutscheine für externe Kinderbetreuung einführen will. Dass die Gemeinden diese limitieren dürfen, sei allerdings ein Fehler, so Geschäftsleiterin Nadine Hoch. Das System würde dadurch unterwandert.


Nadine Hoch, der Kibesuisse hat bisher gute Erfahrungen mit der Einführung von Betreuungsgutscheinen gemacht. Welche Vorteile bietet das System?
Nadine Hoch: Wir begrüssen vor allem die Grundidee, die dahinter steckt: Nämlich, dass alle Eltern, die erwerbstätig sind, Zugang zu einkommensabhängigen Tarifen für die Kinderbetreuung erhalten, egal in welcher Gemeinde sie wohnen, und egal, welches Angebot sie wählen. Diese sogenannte Subjektfinanzierung ist ein Zukunftsmodell und unserer Ansicht nach überfällig. So kann auch der Wildwuchs, der in den Gemeinden und im Kanton herrscht, eingedämmt werden.


Was meinen Sie mit Wildwuchs?
Es kann heute durchaus sein, dass man in der Kita im einen Quartier einen viel höheren Tarif zahlt als in der Institution ein paar Strassen weiter. Das ist meist historisch gewachsen: So hat die Gemeinde vielleicht der als erstes errichteten Tagesstätte im Ort einen Mietzinserlass gewährt. Die Angebote, die später dazu kamen, wurden dann aber nicht mehr unterstützt, was zur Folge hatte, dass diese höhere Preise verlangen mussten. Mit der Vereinheitlichung des Systems werden die Bedingungen für Eltern und Betreuungsanbieter gerechter.


Die Stadt Luzern hat die Gutscheine 2009 eingeführt. Wie unterscheidet sich das bernische vom luzernischen System?
Ein Unterschied ist, dass sich in Bern nicht nur die Gemeinde, sondern auch der Kanton finanziell beteiligt, in diesem Fall über den Lastenausgleich. Die Stadt Luzern trägt die Unterstützungskosten hingegen alleine. Der Hauptunterschied ist aus unserer Sicht aber, dass Luzern das System ganzheitlich umsetzt: Alle Eltern, die Anspruch auf einen Gutschein haben, bekommen auch einen. Der Kanton Bern will es hingegen den Gemeinden überlassen, ob sie mitmachen wollen oder nicht. Und es ist ihnen freigestellt, ob sie die Gutscheine limitieren.


Das ist auch der Punkt, den Kibesuisse in seiner Stellungnahme zur Anpassung der Verordnung über die soziale Integration (ASIV) am meisten kritisiert.
Genau. Wenn der Kanton diese Option offen lässt, wird es auch Gemeinden geben, die eine Limitierung vornehmen, aus welchen Gründen auch immer. Dann haben wir die gleiche Situation wie heute: Nämlich, dass nur eine gewisse Anzahl von Eltern profitiert – und der Rest leer ausgeht.


Der Kanton lässt den Gemeinden die Option frei, weil er nicht mehr Gelder zur Verfügung stellen wird. Es wird aber Mehrkosten geben, wenn alle Eltern ihren Anspruch geltend machen.
Der Fehler liegt schon allein darin, dass die Politik vorgegeben hat, eine solche Kostenumstellung kostenneutral zu vollziehen. Das kann ja nicht aufgehen, wenn mehr Eltern von einem Angebot profitieren sollen. Es zeigt leider, dass die Gesellschaft offenbar immer noch nicht bereit ist, mehr Geld in die Kinderbetreuung im Vorschulalter zu investieren – ganz im Gegensatz zu den Tagesschulen, die man als ergänzendes Bildungsangebot betrachtet. Da ist man offenbar eher bereit, Geld auszugeben und das Angebot auszubauen. Wir plädieren deshalb dafür, dass man diese Investitionen auch in der familienergänzenden Betreuung von kleinen Kindern wagt – sei es nun innerhalb der Gemeinde oder mit Mitteln des Kantons. Interview: Jana Tálos

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