Sie sind hier

Abo

Lyss

Noch einmal die Heimat sehen

Den BT-Lesern ist die Lysserin Edith Trefzer als eifrige Leserbriefschreiberin bekannt. Sie befasst sich darin mit Themen, die sie berühren, und lässt Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend aufleben; Die verbrachte sie im kriegsversehrten Österreich.

Die Lysserin Edith Trefzer schreibt all ihre Leserbriefe ans «Bieler Tagblatt» von Hand. Eine Nachbarin tippt sie dann ab und schickt sie per Mail an die Redaktion.

von Andrea Butorin


Geht Edith Trefzer ins Dorf, dann berechnet sie immer mehr Zeit ein als nötig:«Ich werde fast immer auf meine Leserbriefe im ‹Bieler Tagblatt› angesprochen.» Sie erhalte viel Lob und immer mal wieder einen Themeninput.
Vor vier Jahren schrieb die Lysserin ihren ersten Leserbrief über die ihrer Meinung nach bedrückende Atmosphäre im Wartesaal des Bieler Bahnhofs. Der schaue immer noch genau so aus wie früher, als sie noch jünger war und nach einer durchtanzten Nacht mit Freunden darin auf den ersten Zug wartete.
Edith Trefzer kommentiert das aktuelle Geschehen. Sie sagt:«Ich schreibe nur über Themen, die alle etwas angehen.» Ihre Texte spickt sie mit Kindheits- und Jugenderinnerungen, was sie sympathisch und nahbar macht.

Kindheit vom Krieg geprägt
Die 83 Jahre sieht man Edith Trefzer nicht an. Sie ist perfekt geschminkt und frisiert. Ihre Haare schneidet und pflegt sie selbst, schliesslich ist sie gelernte Coiffeuse. Im Gespräch hört man einen leichten Akzent raus – Edith Trefzer ist gebürtige Österreicherin, sie stammt aus Jenbach im Tirol.
Ihre Kindheit ist von vielen Kindern und vom Krieg geprägt:Sie wurde 1933 als viertes Kind der Familie geboren, und weil die Mutter bald darauf krank wurde, gab sie Edith in die Obhut von Tante und Onkel. Die beiden hatten sechs eigene Kinder und nahmen neben Edith ein weiteres Pflegemädchen auf. Herzensgute Menschen seien das gewesen. Unterdessen heiratete die leibliche Mutter erneut und bekam zwei weitere Kinder. Der Stiefvater verlangte, dass alle Kinder beisammen seien. So kam die fünfjährige Edith, die ledig Rührlechner hiess, zurück in ihre Familie.
1938 erfolgte der Anschluss Österreichs ans Dritte Reich. Edith Trefzer sagt:«Der Stiefvater mochte die Nazis nicht.» Er sei im Widerstand aktiv gewesen, und die Mutter habe Angst gehabt, dass die Nachbarn etwas davon mitbekämen und ihn verrieten. 1942 habe sich der Stiefvater aus Hoffnungslosigkeit das Leben genommen. Die beiden Brüder kämpften derweil für die Wehrmacht. Der Älteste fiel mit 29 Jahren als zweifacher Vater, der Jüngere überlebte den Krieg, kam aber erst ein Jahr nach Kriegsende nach Hause, weil er in russische Gefangenschaft geraten war.
Ihre Mutter sei eine intelligente Frau gewesen, habe für Bekannte die Schreibarbeit erledigt, im ganzen Land Haushaltskurse geleitet und später bei der sozialistischen Partei mitgearbeitet. «Als Mutter war sie aber sehr streng», sagt Edith Trefzer.

Das ok für Lyss erhalten
Aus diesem Grund und weil nach dem Krieg «alles am Boden» war, wollte die junge Edith weg. Die Schweiz sei ihr damals wie ein Traum vorgekommen, und als sie in der Zeitung auf ein Inserat stiess, in der eine Coiffeuse in Lyss gesucht wurde, wollte sie zugreifen. Ein Bekannter aus dem Dorf, der in Bundesbern die Coiffeure vertrat, holte Erkundigungen über das Coiffeurgeschäft Trefzer ein und gab sein Einverständnis. Und so reiste Edith Trefzer 1951 mit achzehneinhalb Jahren nach Lyss.
Bei ihrer Ankunft dachte sie, dass die Leute hier alle Französisch sprechen, weil sich Wortschatz und Aussprache vom Tirolerischen stark unterscheiden.

Fast 50 Jahre verheiratet
Das Coiffeurgeschäft Trefzer befand sich am Marktplatz, wo heute die UBS steht. Ihr späterer Mann Kurt, dessen Bruder und deren Mutter arbeiteten im Betrieb, der Vater war schwer krank und starb bald nach Edith Trefzers Ankunft.
1956 heirateten Edith und Kurt Trefzer. «Mein Mann hatte zwei linke Hände, aber dafür einen hellen Kopf», sagt sie, weshalb sie ihm riet, einen Bürojob zu suchen. Kurt Trefzer befolgte den Rat seiner Frau und arbeitete erst in der Uhrenbranche und zuletzt beim Schweizer Fussballverband. Daneben war er 50 Jahre lang freier Journalist, unter anderem beim BT. Vor zehn Jahren ist Kurt Trefzer gestorben, eine Woche bevor das Paar die goldene Hochzeit hätte feiern können.
Edith Trefzer arbeitete rund zehn Jahre im Geschäft, später wurde der Betrieb verkauft und das Gebäude abgerissen. Bis fünf Jahre vor ihrer Pensionierung half sie bei einem früheren Konkurrenten an der Bahnhofstrasse aus.

Acht Jahre nicht mehr daheim
Edith Trefzers Wohnung ist hell und geräumig. Im Wohnzimmer finden sich keine Erinnerungsstücke, die hat sie im Schlafzimmer aufgehängt. Bilder von sich und ihrem Mann in jungen Jahren etwa, von ihrer Mutter sowie von ihrer Tochter und den beiden Enkeln.
Vor zwei Jahren ist sie in eine kleinere  Wohnung gezogen. Hier kann sie hindernisfrei mit dem Rollator ein- und ausgehen. Sie hat ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn, trifft Freunde und Bekannte im Dorf und sagt, es gehe ihr sehr gut hier. «Aber manchmal denke ich, dass ich die Heimat noch einmal sehen sollte.» Seit acht Jahren ist sie nicht mehr in Österreich gewesen. Letztes Jahr wollte sie mit einem Reisecar hinfahren, aber da es ihr gesundheitlich nicht gut ging – Trefzer leidet an Polyneuropathie, einer Erkrankung des Nervensystems – musste sie die Reise absagen.
Sollte sie ihr Heimatland doch noch einmal sehen können, so wird sie die BT-Leser bestimmt in einem Leserbrief daran teilhaben lassen.

Nachrichten zu Seeland »