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Twann-Tüscherz

«Nur einer von 500 beklagt sich über die Gebühr»

18 Jahre lang war Ida Riechsteiner Schluchtwartin der Twannbachschlucht. 
Ab Juli erhält sie AHV – doch ganz in Rente geht sie nicht.

Montags und dienstags sowie für Stellvertretungen wird Ida Riechsteiner auch künftig im Schluchthäuschen anzutreffen sein. Bild: Yann Staffelbach
  • Dossier

Aufgezeichnet: Beat Kuhn

18 Jahre lang war ich nun von Ostern bis Ende Oktober fast an jedem Tag mit Wanderwetter hier im Schluchthäuschen am unteren Ein-/Ausgang der Twannbachschlucht, jeweils von etwa 10 bis 17 Uhr. Eine offizielle Stellvertretung hatte ich nicht, nur unsere beiden Kinder haben mich hie und da abgelöst. Trotz der grossen Präsenzzeit habe ich diese Arbeit geschätzt, denn ich bin gerne in der Natur. Ich hatte hier auch «Kollegen», sprich Enten, die jedes Jahr Junge hatten (lacht).

Am Donnerstag war mein letzter 
offizieller Arbeitstag, und ab 1. Juli erhalte ich AHV. Ich bin aber auch in Zukunft hier anzutreffen: Jeweils am Montag und Dienstag löse ich meine Nachfolgerin Cécile Luterbacher ab. Ich mache auch ihre Vertretung in den Ferien oder sonst einmal. Denn es ist wichtig, dass man zwischendurch mal frei hat. Für mich ist es gut, so wie es ist, denn ich habe es «gesehen» und muss nun nicht mehr die ganze Verantwortung tragen, bin aber trotzdem noch zwischendurch hier.

Primär muss die Schluchtwartin die Gebühr für das Durchwandern der Schlucht einziehen. Es kommen aber noch weitere Aufgaben hinzu. So muss man gelegentlich Kontrollgänge machen. Ein wirkliches Problem mit Littering haben wir nicht, es liegt höchstens mal eine leere PET-Flasche rum. Das erstaunt mich eigentlich, denn der Weg wird von enorm vielen Leuten frequentiert, auch von zahlreichen Schulklassen. Seit Beginn der Coronapandemie hat es noch mehr Besucherinnen und Besucher, weil man weniger gut ins Ausland reisen kann.

Ich muss auch schauen, dass der Weg frei von Geröll ist, denn es hat Gämsen, und bei deren Rumklettern lösen sich ab und zu Steine. Einen gravierenden Fall von Steinschlag hatte ich zum Glück nie. In all den Jahren ist bloss einmal einer Frau ein Stein auf den Kopf gefallen ist, aber die konnte ich selbst verarzten. Trotzdem werde ich immer wieder gefragt, an welcher Stelle genau denn der tödliche Unfall gewesen sei – weil sie die Twannbachschlucht mit der Taubenlochschlucht bei Biel verwechseln. Eigentlich darf man den Weg nicht verlassen – auch weil dies Naturschutzgebiet ist –, es kommt halt aber dennoch vor.

Die Durchgangsgebühr beträgt zwei Franken pro erwachsene Person und einen Franken pro Kind. Wer von Schernelz her in die Schlucht einsteigt, kann den nötigen Betrag dort in ein Kässeli werfen oder bei mir unten begleichen. Bezahlen kann man bar oder mit Twint. Wenn jemand kein Geld dabei hat, sage ich, man könne nächstes Mal nachzahlen. Wenn das Schluchthäuschen unbesetzt ist, muss man das Geld ins Kässeli hier werfen. Und ich möchte behaupten, dass die meisten auch dann bezahlen.

Trotzdem würde ich die Funktion der Schluchtwartin nicht abschaffen. Denn viele sind auch froh, wenn man ihnen Tipps gibt, etwa sagt, wo in der Umgebung es Feuerstellen zum Bräteln hat oder was für Routen möglich sind. Die Schlucht ist ein Abschnitt der Strecke Twann–Magglingen, aber man kann auch abgekürzte Routen wählen, zum Beispiel mit dem Bähnli von Ligerz nach Prêles hinauf fahren und dann quer rüber wandern. Auch eine Verbindung nach Gaicht besteht.

Verwendet wird das Gebührengeld für den Unterhalt der Schlucht. Zum Beispiel muss mal ein Geländer geflickt werden, das durch einen umstürzenden Baum in Mitleidenschaft gezogen worden ist, und der Baum muss dann per Helikopter abtransportiert werden, weil man nicht mit Fahrzeugen in die Schlucht kann. Jeweils vor der Wiedereröffnung nimmt ein Geologe die Hänge unter die Lupe, und Spezialisten aus Grindelwald nehmen dort, wo es nötig ist, Hangsicherheitsarbeiten vor. Alles in allem fallen für den Unterhalt alljährlich Kosten zwischen 40 000 und 60 000 Franken an. Dafür reichen die Gebühreneinnahmen nicht, auch die Gemeindekasse von Twann-Tüscherz ist gefordert.

Den Winter über geschlossen war die Schlucht übrigens nicht immer. Als dies noch nicht der Fall war, begab sich im Winter einmal eine Journalistin mit schlechtem Schuhwerk hinein. Im oberen Teil, wo permanent Wasser von überhängenden Felsen tropft, war der Weg vereist, und ohne fremde Hilfe kam sie nicht mehr heraus. In ihrem Artikel schrieb sie dann, der Weg sei im Winter gefährlich und unzumutbar. Seither darf man ihn von November bis Ostern nicht mehr betreten.

Praktisch alle Leute zahlen die Gebühr anstandslos, auch weil sie sehen, wofür das Geld verwendet wird. Nur einer von 500 beklagt sich über diese, sagt, er sehe nicht ein, warum er für eine blosse Nutzung der Natur etwas zahlen solle. Einmal hat sich eine Frau ungemein nicht nur über die Erhebung der Gebühr aufgeregt, sondern auch über ihren Partner, weil dieser ihr nicht rechtgegeben hat in ihrer Empörung. Kurz nachdem sich die beiden entfernt hatten, kam die Frau allein zurück und sagte: «Sehen Sie, was Sie angerichtet haben: Wir haben uns getrennt!» Als einige Zeit später der Mann allein zurückkehrte, sagte ich ihm, es tue mir furchtbar leid, dass sie sich getrennt hätten. Doch dieser bedankte sich bei mir, denn das sei schon lange fällig gewesen.

Und dann ist eben jener pensionierte Anwalt aus Bern an den Kanton gelangt und hat die Aufhebung der Gebühr gefordert. Denn der Weg sei Bestandteil des Berner Wanderwegnetzes, für dessen Nutzung generell kein Geld verlangt werden dürfe. Der Gemeinderat Twann-Tüscherz will aber an den Einnahmen festhalten. Dafür nimmt er in Kauf, dass der Schluchtweg aus dem Netz ausgeschieden wird und nun als Gemeindewanderweg gilt. Noch sind die gelben Schildchen montiert, aber sie werden nächstens durch blaue ersetzt. Da das Wanderwegnetz von Gesetzes wegen Netz keine Lücken aufweisen darf, dient nun der Weg zwischen Rebenweg und Lamboing als offizieller Wanderweg. Er verläuft parallel zur Schlucht.

Langweilig wird mir als Rentnerin bestimmt nicht. Zum Beispiel werde ich noch mehr als schon heute meine drei Enkelkinder hüten, die acht, sechs und drei Jahre alt sind. Wenn die mich hier besuchen, wollen sie jeweils mitarbeiten. Wenn dann sie das Geld einziehen, wird immer etwas mehr als verlangt gegebe, beispielsweise für zwei Erwachsene ein Fünfliber statt vier Franken. Kleine Kinder «ziehen» also (lacht).

Stichwörter: Twannbachschlucht, Region

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