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Sommerserie

Nur für ein paar Tage ins Kloster

Ins Kloster gehen und dieses problemlos wieder verlassen: Das kann man im Drei-Sterne-Hotel auf der St. Petersinsel. Für Einkehr ist das autofreie Naturschutzgebiet ideal – für Askese weniger, denn das Restaurant führt einem täglich in Versuchung.

Nicht buchbares Zimmer: Deborah Bähler, Chefin des Hotelbereichs, im museal gestalteten Raum, in dem Jean-Jacques Rousseau wohnte, als er auf der Insel lebte – bis er von den Berner Behörden ausgewiesen wurde. Mattia Coda
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Beat Kuhn

Wer wollte in jungen Jahren nicht mal ins Kloster, weil ihm das weltliche Leben zu schwer war? Fast niemand setzt diese Anwandlung indes in die Tat um – nicht zuletzt, weil man sich da fürs ganze Leben verpflichten muss. Das Klosterhotel St. Petersinsel bietet da einen gangbaren Mittelweg: Man bleibt, solange man will, dann verlässt man die Klostermauern wieder. Schuldig fühlen muss man sich dabei einzig, wenn man geht, ohne die Hotelrechnung zu bezahlen.

Nur eine Art von Anreise verboten
Schon die Anreise ist aussergewöhnlich: Weil die Insel autofrei ist, darf man mit dem Auto nicht bis zum Hotel fahren, sondern muss dieses in Erlach beim Restaurant du Port parkieren. «Diesen Punkt besprechen wir mit allen Gästen intensiv», sagt Deborah Bähler, «stellvertretende Gastgeberin», wie ihre Funktion ganz offiziell heisst. «Es ist nämlich auch schon vorgekommen, dass Leute mit dem Auto vor der geschlossenen Barriere warteten und uns telefonisch aufforderten, diese zu öffnen.» Die Strecke von Erlach zum Hotel werde per pedes, per Velo, per BSG-Schiff oder per Taxiboot – genannt Navette – zurückgelegt. «Es sind auch schon mit dem Kajak Gäste gekommen, und einer ist gar hergeschwommen», so Bähler lachend.

Auf dem Landweg geht es zunächst schnurgeradeaus auf einer Naturstrasse, dem Heidenweg. Der ist im wahrsten Sinn des Wortes «aufgetaucht», als im Zuge der ersten Juragewässerkorrektion im 19. Jahrhundert der Pegel des Bielersees um gut zwei Meter abgesenkt wurde. Römer – also Heiden – sollen ihn seinerzeit aufgeschüttet haben, um trockenen Fusses auf die St. Petersinsel zu gelangen – die ihrerseits nach dem Apostel Petrus benannt ist. Eigentlich bildet die ehemalige Insel, die politisch zu Twann-Tüscherz gehört, mit dem Heidenweg, der auf Erlacher Boden liegt, heute also eine Halbinsel.

Kurz vor Saisonbeginn Lockdown
Wo früher Mönche ein karges Leben führten, um gottgefällig zu sein, können heute Touristen den Komfort eines Drei-Sterne-Hotel geniessen. 2008 und 2009 ist dieses in Zusammenarbeit mit der kantonalen Denkmalpflege sanft renoviert worden. Die Gästezimmer sind teils mit historischen, teils mit modernen Möbeln eingerichtet und mit zeitgemässen Nasszellen ausgestattet. Diese Erneuerung wurde 2010 mit der Auszeichnung «Historisches Hotel des Jahres» belohnt, vergeben von der Schweizer Vertretung des Internationalen Rates für Denkmäler und historische Stätten (Icomos), die zur Unesco gehört.

Wegen Corona ist die Saison bisher alles andere als üblich verlaufen. Als Mitte März der Lockdown begann, war das Hotel laut Bähler zwar noch nicht offen – für einen Winterbetrieb kann man es nicht hinreichend heizen –, eine Woche später hätte es aber losgehen sollen. Alle Vorbereitungen waren schon getroffen, von der Saison-Anstellung des Personals – teils aus dem Ausland – bis hin zu den ersten Bestellungen der Lebensmittel und Waren. Die Türen mussten aber geschlossen bleiben. «In den ersten drei Monaten haben wir viel Verlust gemacht», so Bähler, «und wir haben nicht viel Zeit, dies wettzumachen, weil wir bereits Ende Oktober wieder schliessen.»

Inzwischen sind die 13 Zimmer aber wie jedes Jahr fast immer alle belegt. Anders als sonst bleiben die Leute dieses Jahr aber nicht nur für eine Nacht, sondern mehrere Tage, «weil sie nicht im Ausland Ferien machen können», so Dähler. Das günstigste Doppelzimmer gibt es ab 230 Franken, das teuerste Familienzimmer ab 345 Franken – in der Hochsaison sind die Preise höher. Das Hotel-Restaurant, das auch von Tagesgästen besucht werden kann, bietet regionale Küche. Laut Bähler kommen die meisten Leute wegen der Ruhe und der intakten Natur, die nur durch wenige Ferienhäuser durchbrochen wird. «Aber auch dass man sich hier in einem ehemaligen Kloster befindet, ist ein wichtiger Anziehungspunkt».

Vom Kloster zum Weinlager
Das Kloster ist indes bei Weitem nicht das älteste Zeugnis von Zivilisation auf der Insel. Spuren von Pfahlbauten belegen, dass diese schon in der Bronzezeit, also im Zeitraum von 2200 bis 800 vor Christus, besiedelt war. Auch wurde hier eine römische Säule gefunden. Nach der Christianisierung wurde im 9. oder 10. Jahrhundert ein erstes kleines Kloster errichtet. Von dieser Keimzelle ist zwar nichts erhalten. Archäologische Markierungen im Innenhof der heutigen Anlage skizzieren aber immerhin dessen Grundriss. Nur die Kirche dieses Mini-Klosters war gemauert, ansonsten bestand es aus Holz.

Im 11. Jahrhundert ging die Anlage in den Besitz der Cluniazenser über, jenes benediktinischen Reform-Ordens, dessen Zentrum die Abtei Cluny im Burgund war. Diese Mönche begannen mit dem Bau einer neuen, wesentlich grösseren Klosterkirche. Doch die als Erstes in Angriff genommenen Arbeiten für den Chor-Teil mit dem Turm mussten bald wieder aufgegeben werden, weil der Untergrund zu wenig stabil war. Ein halbrundes Stück Rasen an der Gebäudewand zeigt heute den Grundriss jenes Chor-Teils an.
Anfang des 12. Jahrhunderts wurde das Holzkloster mit der steinernen Kirche abgerissen, und es entstand die Anlage, die heute zu sehen ist. Sie wurde um 1125 fertiggestellt. Die drei sogenannten Konventsflügel dienten als Wohnraum der Mönche. Auch von der dritten Kirche wurde nur der Chor-Teil erstellt – obwohl diesmal bei Weitem nicht so gross wie das vorige Mal und zudem auf festem Felsuntergrund gebaut wurde. Geschlossen war der Innenhof also nur zur Zeit des Holzklosters.

Im Zuge der Reformation, die im Bernbiet 1528 erfolgte, wurde das Kloster – wie alle in den reformierten Gebieten – aufgehoben und in einen Gutsbetrieb für Viehzucht und Weinbau umgewandelt. Der Chor-Teil wurde abgebrochen und aus den Steinen an derselben Stelle ein Gebäude errichtet, das als Weinlager diente. Heute ist diese Verlängerung des einen Konventsflügels einer der Räume für Anlässe, zum Beispiel für Hochzeiten. Die Insel und das ausser Betrieb genommene Kloster gingen in den Besitz der Burgergemeinde Bern über, der beides bis heute gehört – wobei der Betrieb verpachtet ist. Früh richtete die Burgergemeinde erste Gästezimmer ein (siehe Zweittext). Eines gab es damals im Unterschied zu heute allerdings sicher noch nicht, nämlich eine Hausnummer.
 

 

ZWEITTEXT:

Neben Rousseau auch Goeth, Balzac und eine Ex-Kaiserin

Am besten bekannt ist die Anwesenheit des Genfers Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) auf der Insel, der ein Wegbereiter der demokratischen Revolution von 1789 in Frankreich war. Im Herbst 1765 weilte der Philosoph sechs Wochen in einem Zimmer des ehemaligen Klosters, und er wäre wohl noch viel länger geblieben, wenn ihn die Berner Aristokraten nicht ausgewiesen hätten. Rückblickend schrieb Rousseau die oft zitierten Worte: «Ich habe an so manchem reizendem Orte geweilt; nirgends aber fühlte ich mich so wahrhaft glücklich wie auf der St. Petersinsel mitten im Bielersee, und an keinen Aufenthalt denke ich mit solch süsser Wehmut zurück.» Rousseau soll auch die Kaninchen auf der zweiten, kleineren Insel nebenan ausgesetzt haben, die darum «Chüngeliinsel» heisst. Heute ist diese indes keine eigenständige Insel mehr, und es wuseln auch keine Kaninchen mehr darauf herum. Seitehr sagen sich auf der St. Petersinsel nicht mehr Fuchs und Hase «gute Nacht» , sondern Fuchs und Reh – auf der Kanincheninsel gibt es zudem eine Kolonie Graugänse

Auch der deutsche Dichter Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) machte 1779 eine Bootsfahrt auf die Halbinsel. Gefallen fand er vor allem am Rebberg, aus dem er sich reichlich bediente: «Für drei Jahre Trauben gegessen» habe er, merkte er in einem Brief an. Und 1833 küsste dort der französische Schriftsteller Honoré de Balzac (1799-1850) die damals noch verheiratete polnische Gräfin Ewelina Hanska (1801-1882), die in seinem Todesjahr seine einzige Ehefrau wurde. Am meisten Aufsehen erregte der Besuch von Josephine de Beauharnais (1763-1814), die vormalige Kaiserin von Frankreich, am 30. September 1810. Anfang jenes Jahres hatte sich Napoleon Bonaparte von ihr scheiden lassen, weil sie ihm in sechs Jahren Ehe keinen Thronfolger geschenkt hatte. Rund 200 Boote sollen damals bei der Insel angelegt haben und mehrere tausend Personen die Ex-Kaiserin sehen wollen. bk

 

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