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Atlantik

Plötzlich heisst es 
Abschied nehmen

Während die Menschen in der Schweiz bei klirrender Kälte in ihren Stuben Weihnachten feierten, genoss Sascha Biedermann 
die Sonne und das bunte Treiben vor Teneriffa. Ein Anruf aus der Schweiz holte ihn jedoch auf den Boden der Realität zurück.

Bad News aus der Schweiz: Die Ahora muss in Teneriffa warten, da Sascha heimreisen muss.
 Bild: Sascha Biedermann
  • Dossier
Sascha Biedermann
 
Ganz alleine in einer Bucht im Westen von Teneriffa vertreibe ich mir die Zeit auf meinem Katamaran Ahora wie ein verwöhnter Robinson Crusoe. Von Sonnenauf- bis 
Sonnenuntergang erfüllt sich die Zeit mit Wassersport, kleineren Reparaturen und dem täglichen meditativen Erfreuen an der puren Natur. Damit ich nicht anfange, mit einem Wilson-Ball zu sprechen, esse ich 
ab und zu bei den Landleuten mit meinen äusserst fürsorglichen Haus-auf-der-Insel-Kumpels. 
 
Inmitten der Natur zu leben heisst auch, dass man sich dieser anpassen muss. Es ist starker Wind aus auflandigem Südwesten gemeldet. Die am besten geschützte Bucht ist drei bis vier Stunden Fahrt im Osten von Teneriffa gelegen. Mit der Schweizer Tages-crew Ceci, Mario, Brünu und Roli ziehen wir am Morgen den Anker hoch und setzten die Segel. Da alle schon viel Segelerfahrung haben, geniesst jeder auf seine Weise die ruhige Fahrt bei strahlendem Wetter. Aber eins haben wir sicher gemeinsam: Wir sind alle tief erfüllt, wieder auf dem Meer vom Wind getrieben unterwegs zu sein.
 

Fluchende Deutsche und die Kräuterfee

Der Wind nimmt zu und treibt uns zügig zu unserer Bucht, welche voll ist mit actiongeladenen Wind- und Kitesurfern. Notgedrungen manövrieren wir die Ahora durch die belebten Massen und suchen uns einen Ankerplatz. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Hängen wir uns mitten in die Kitesurfer mit 25 Meter langen Leinen oder setzen wir den Anker bei den Windsurfern? Meine jahrzehntelange Erfahrung mit diesen Sportarten und aufkommenden Bildern von Kitesurf-Anfängern, lässt mich für das kleinere Übel entscheiden. Bei den kontrollierbareren Windsurfern hält der Anker tief im Sand und wir setzen uns zum wohlverdienten «Ankerplättli» an den Tisch. 
 
Beim Essen surft der eine oder andere vorbei und schreit vorwurfsvoll: «Scheisse hier, einfach scheisse hiiier.» Ich amüsiere mich, den ausschliesslich deutschsprachigen Anklägern in deutlichem und hier üblichem Spanisch zu antworten. Das ganze 
beruhigt sich sehr schnell, als immer mehr schutzsuchende Boote in der grossen Bucht den Anker setzen. Der einzige Kommentar eines einheimischen Surfers ist übrigens die Gratulation zu meiner speziellen Ahora, die ganz seinem maritimen Gusto entspricht. Auch wenn man nicht alle in einenTopf werfen kann, ist es immer wieder witzig, beim Reisen den unterschiedlichen Mentalitäten zu begegnen. 
 
Plötzlich hängt auch ein altes aber nicht 
kleines Segelschiff mit schwarz-rot-goldner Flagge direkt neben mir. Also begebe ich mich zur Reling und schaue mir die doch eher kontaktfreudige Situation genauer an. Verunsichert, etwas verpeilt aber sehr freundlich erklärt mir mein neuer Nachbar, dass er mit seinem Anker von ganz oben bis hierher den Grund gepflügt hat. Äusserst glücklich über seine nun endlich fixe Position möchte er lieber bleiben und lädt mich zu einem Bier ein. 
 

Kein fröhliches Weihnachtsfest

Während ich mich ganz mentalitätsgetreu «bünzlig» und mit relaxtem Humor über seinen Versicherungsstatus informiere, zündet er sich zum Bier seine konische Zigarette an. Nun wird mir auch seine etwas verwirrte, aber tiefen entspannte Verfassung klar. Okay, dann lassen ich halt mal die schwebenden Kräuterfreunde an ihrem Örtchen und amüsiere mich noch etwas am farbigen Gespräch. Der Wind ist ja für die ganze Nacht aus derselben Richtung gemeldet und versichert wäre er im Notfall auch noch.
 
Weihnachten steht vor der Tür und 
Karin bleibt über die Festtage zur Unterstützung plangemäss bei unseren Eltern 
in der Schweiz. Meine Mutter muss sich Untersuchungen im Spital unterziehen und Karins Vater steht eine Rückenoperation bevor. Während Karin in Ipsach das grosse Festmahl für die Angeschlagenen vorbereitet, öffne ich aus meiner goldenen Reserve eine von mir geliebte Rarität: eine traditionelle Raviolibüchse von der good old Migros, und mache dick Greyerzer aus 
der Tiefkühle drüber. 
 
Das Festmahl wird am Abend bei den Haus-auf-der-Insel-Kumpels mit einem enorm leckeren Weihnachtsraclette knapp getoppt. Von einem Moment auf den Anderen wird aber am nächsten Morgen die fröhliche Weihnachtszeit an der Wärme abrupt überschattet. Karin meldet, dass nun auch ihre Mutter akut ins Spital gebracht werden musste. Ihr Zustand verschlechtert sich stark und für mich ist 
klar: Ich suche einen freien Platz für die Ahora im nächsten Hafen, vertaue sie maximal und fliege am darauffolgenden Tag nach Hause.
 
Leider verschlechtert sich ihr Zustand 
weiter und unser geliebtes Deli verlässt friedlich ihren irdischen Körper. So schnell kann es gehen und so nahe ist das Traurige bei der Freude. Dies lässt uns alle in uns kehren, denn eigentlich ist es genau das, was dem Leben überhaupt erst den Wert verleiht: Sich vor Augen zu halten, dass im nächsten Moment das Leben einfach vorbei sein kann. 
Man weiss nicht, wann der letzte Atemzug kommt. Auch dank dieser Wichtigkeit eines jeden Momentes versuche ich bestmöglich, ein liebevoller Mensch zu sein, mein Leben auszukosten und hoffentlich auch einmal zufrieden erfüllt in Anwesenheit geliebter Menschen die Erde zu verlassen.
 

Abschied im Kreis der Familie

Zu Hause versuche ich, maximal unterstützend zu sein, während ich auch die Wettervorhersage auf den Kanarischen Inseln beobachte. Die Ahora ist in einem nach Süden exponierten Hafen und es ist jetzt ein starker Sturm aus Südosten gemeldet. Genau das, was ich gehofft habe, dass es nicht geschieht. 
 
Nach fast einer Woche Calima-Sturm hält mir Roli beim Video-Call eine abgerissene Klampe in die Kamera. Damit eine so massive Halterung am Schiff abgerissen wird, muss es ziemlich grob zur Sache 
gegangen sein. Das heisst nun aber auch, dass die Ahora auf der einen Seite nur noch vorne befestigt in den Leinen hängt, und war so mit Sicherheit einiges mehr den im Hafen einlaufenden Wellen ausgeliefert. 
 
Im Schweizer Daheim hat sich soweit 
alles stabilisiert. Jetzt braucht mich dringend meine Ahora. Karin bleibt noch in 
der Schweiz und ich sitze schon wieder im Flieger. Einmal im Hafen angekommen, waschen wir die dicke Schicht Saharasand ab und begutachten umgehend mein schwimmendes zu Hause. Es macht den Anschein, als wäre bis auf die abgerissene, aber für Action-Brünu reparierbare Klampe und kleinere Spuren des Sturms alles in Ordnung. 
 
Wieder einmal mehr bin ich äusserst dankbar, hilfsbereite Bieler wie Roli und Lälu hier zu haben, dank denen zuvor der Schaden erkannt, gesichert und jetzt alles schneller wieder ready gemacht wird. Es sieht so aus, als kann ich morgen sicher wieder auslaufen. Ich hänge mich in die nahe gelegene Bucht hinter der im Abendrot leuchtenden Montaña Roja, freue mich auf neue Abenteuer und geniesse das nun noch wichtiger gewordene Hier und Jetzt. Merci und gracias Ahora!

 

Info: Das Ipsacher Paar Sascha Biedermann (47)und Karin Steiner (49) ist mitten in der Pandemie auf ihren Segelkatamaran Ahora ausgewandert. Hier bieten sie Kite-, Surf- oder Paddle-Ferien an. 


 

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