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Landwirtschaft

«Poltern ist nicht mein Ding»

Die Lysser Bäuerin Doris Marti ist seit Kurzem im Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband aktiv. Mit dem BT spricht sie über die Zukunft ihres Berufsstands, ihre Liebe zur Folklore und über Emanzipation.

Doris Marti und ihr Hund Whisky. Bild: Matthias Käser/BT

Interview: Andrea Butorin

Doris Marti, wir haben 2020, und es ist immer noch keine Selbstverständlichkeit, dass Bäuerinnen für ihre Arbeit entlöhnt und versichert werden. Kommt es zu einer Scheidung, dann steht die Frau vor dem nichts. Wie ist das bei Ihnen geregelt?
Doris Marti:Das ist leider so, und auch ich habe keinen Lohn. Eigentlich müssten wir das einmal genauer anschauen. Dank einem Ehevertrag und Einzahlungen in AHV sowie in eine dritte Säule bin ich abgesichert. Das ist von Betrieb zu Betrieb anders.

Christine Bühler, die frühere Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands (SBLV) aus Tavannes, setzte sich prominent für eine Entlöhnung und die Sozialversicherung von Bäuerinnen ein. Sie sagte aber, ihr wehe teils starker Gegenwind entgegen, gerade auch vonseiten der Frauen. Warum ist das so?
Das kann ich mir schon vorstellen. Vermutlich tut sich besonders die ältere Generation damit schwer. Früher hat man sich dem Ehemann und Bauern einfach unterworfen. Das leben wir heute ganz anders. Viele gehen einer Arbeit nach, wir schauen für unsere Rechte und lassen uns nicht in ein Schema drücken. Seit dem Frauenstimmrecht hat sich viel geändert, das finde ich richtig. Aber:Eine zu grosse Emanzipation finde ich nicht gut, gar keine auch nicht. Ich befürworte ein Mittelmass.

Was ist eine zu grosse Emanzipation?
Das Extreme. Wenn der Mann «vernüütigt» wird, als Nichtsnutz betrachtet. Dabei machen Männer für uns auch viel.

An den Frauenstreik sind Sie somit mit Sicherheit nicht gegangen.
Nein. Poltern ist nicht mein Ding. Ich bin gutgestellt, habe meine Freiheiten und kann mich glücklich schätzen.

Trotzdem engagieren Sie sich in vielen Ämtern. Jüngst wurden Sie in den Vorstand des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands (SBLV) gewählt, dem Berufsverband der Bäuerinnen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Nein, es ist ja nicht der einzige Aspekt, die der SBLV hat. Mir geht es um viele andere Ansichten und Aufgaben und nicht zuletzt um die Vernetzung.
Welche Aufgaben hat der Verband neben der Ausbildungsorganisation inne, und wie wollen Sie sich persönlich einbringen?
Der Verband engagiert sich auch agrarpolitisch und sozial, etwa bei den Themen Ehe oder Generationenkonflikte. Meine genauen Aufgaben kenne ich noch nicht. Erreichen möchte ich, dass wir Frauen zusammen stark sind und angehört werden, auch auf Bundesebene. Wir Frauen haben ein starkes Netzwerk, das es zu verkaufen gilt.

Sie wollten einst unbedingt einen Bauern heiraten, wie Sie der «Bauernzeitung» verraten haben. Wieso?
Als Bauer ist man sein eigener Meister, kann sich die Arbeitszeit einteilen, ist draussen in der Natur, von Tieren umgeben ... Zwar bin ich nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen, aber wir waren oft bei Bauern, so habe ich in den Beruf hineingesehen und gemerkt, das ist meins. Am liebsten hätte ich ein schönes grosses Emmentaler Bauernhaus gehabt. Das hat nicht ganz geklappt.

Bevor Sie auf den Dreihubel aussiedelten, lebte Ihre Familie aber in einem grossen Bauernhaus?
Ja. Aber weil der Platz dort nicht mehr ausreichte für die Kühe und um den Betrieb zu erweitern, haben wir gesiedelt.

Sie lernten Gärtnerin/Floristin. Wie lautet heute Ihre Berufsbezeichnung?
Ich bin Bäuerin. Eigentlich bin ich ja «die Frau vom Bauer». Ich habe nie eine bäuerliche Ausbildung gemacht. Als mein Mann von seinem Vater den Betrieb übernahm, habe auch ich Verantwortung übernommen. Ich kümmerte mich um die Hühner, wusch das Milchgeschirr, solche Sachen. Da wir sehr gut mechanisiert waren, brauchte es mich auf dem Betrieb nicht unbedingt. Gemolken habe ich nicht oft, aber wenn mein Mann anderweitig engagiert war, habe ich das übernommen. Ansonsten hatte ich genug Arbeit mit der Erziehung meiner drei Kinder. Für mich war von Anfang an klar: Wenn wir Kinder haben, bleibe ich daheim. Ich habe das sehr gern gemacht. Im Nachhinein muss ich aber sagen:Vielleicht wäre es gut gewesen, wenigstens noch einen Tag pro Woche im Beruf zu arbeiten. Aber es ist gut so, wie es ist.

Sie könnten doch jederzeit wieder einsteigen?
Mit all den Ämtern liegt das nicht drin. Welchen Aufwand das neue Amt beim SBLV mit sich bringt, weiss ich noch nicht. Aber wenn ich etwas mache, dann richtig. Da kann man nicht einfach unvorbereitet an die Sitzungen gehen.

Christine Bühler vertrat die Meinung, die Frauen sollten die Bäuerinnenausbildung machen, damit sie sehen, worum es auf dem Betrieb geht.
Nun, wenn eine Frau gut ausgebildet ist, heisst es noch lange nicht, dass sie auch eine gute Bäuerin ist. Persönlich hatte ich nie Schwierigkeiten, weil ich die Ausbildung nicht habe. Je nach Hintergrund macht das sicher Sinn, auch, um sich dann ausweisen zu können, Lohn beziehen. Klar:Wenn eine junge Frau einen Betrieb übernehmen möchte, braucht sie die bäuerlichen Fachschulen. Ohne Ausbildung kann man nicht einfach ein KMU führen, ausserdem erhält sie sonst auch keine Direktzahlungen. Auch um Lehrtöchter auszubilden ist ein Diplom nötig. Viele Frauen machen die Ausbildung zudem, weil sie jünger sind als ihr Mann, damit die Direktzahlungen nach seiner Pensionierung weiterlaufen. Aber bei uns ist das kein Thema, unser Altersunterschied beträgt nur 14 Tage.  

Sie haben klassisch in einen Mehrgenerationenbetrieb eingeheiratet. Wie gingen sie mit der Nähe zu den Schwiegereltern um?
Wir verstehen uns gut und haben einander akzeptiert, aber es war nicht immer einfach. Ich war halt nicht die klassische Bauerntochter. Aber dass ich entschied, zuhause zu bleiben und für meine Kinder da zu sein, haben sie sehr geschätzt, wie sie mir heute noch versichern.

Ist Bäuerin ein Beruf mit Zukunft?
Ich glaube, der Beruf ist je länger, desto gefragter. Ich höre von vielen Jungen, dass sie gern bauern. Wir haben auch viele Vorteile:Wir sind Selbstversorger, können Kindern viel Raum und Zeit schenken.

Aber es ist auch harte Arbeit, und ohne Direktzahlungen könnte der Beruf nicht fortbestehen.
Das ist so. Aber wieso können wir ohne Direktzahlungen heute nicht überleben?Weil wir unsere Produkte nicht zu ihrem wirklichen Wert verkaufen können.

Viele würden gern mehr zahlen, wenn es wirklich dem Bauern zukäme und nicht in erster Linie den Detailhändlern.
Das sieht bloss eine Minderheit so. Sonst hätten wir nicht diesen Einkaufstourismus über die Grenze.

In der Coronazeit stieg der Wert von einheimischen Produkten.
Ja. Aber es ist schade, dass es Corona braucht, um zu zeigen, dass wir notwendig sind, und dass die Leute merkten, dass man beim Bauern einkaufen kann. Viele schätzen uns, aber ebenso vielen ist es schlicht egal, woher die Lebensmittel kommen und ob sie gerade Saison haben. Ich mache ihnen keinen Vorwurf, denn viele haben es schlicht nie gelernt. Doch man könnte sich im Internet informieren, Kurse besuchen.

Aktuell – auch dank Corona – boomt das Kochen und Selbermachen aber wieder.
Das stimmt. Besonders bei den Jungen ist ein Umdenken im Gang. Leider sind an den Schulen Hauswirtschaftskurse gestrichen worden. Dabei wäre das wichtig. Schon im Kindergarten könnte man ein Gartenbeet pflegen. Der Berner Landfrauenverband bietet ein Hauswirtschaftsjahr als Zwischenjahr an, das wird rege besucht und ist eine gute Sache.  

Kann denn der junge Bauer von heute noch erwarten, dass ihm seine Partnerin den ganzen Haushalt schmeisst, so wie Sie das tun?
Für viele Junge ist es heute selbstverständlich, die Arbeit zu teilen. Das ist eine Frage der Organisation, wie übrigens auch beim Ferienmachen. Ich kenne viele Bäuerinnen, die nebenbei noch arbeiten, weil es sonst schlicht nicht reicht. Unser Ältester ist zwar kein Bauer, aber er und seine Frau teilen sich den Haushalt, obwohl er konservativ aufgewachsen ist. Und auch Dani, der hier als Nachfolger vorgesehen gewesen wäre und der letztes Jahr freiwillig aus dem Leben schied, hat mir mal gesagt, seine zukünftige Frau dürfe sehr wohl auch arbeiten gehen.  

Sie gehen bewundernswert offen mit diesem tragischen Verlust um.
Ja, das gehört einfach zu uns. Es nützt nichts, wenn wir uns damit in ein Schneckenloch verkriechen. Dani war in einer Zweitausbildung, und es war klar, dass eine Betriebsübernahme die nächsten zehn Jahre sicher noch kein Thema ist. Aber vielleicht ist ihm damit trotzdem alles über den Kopf gewachsen.

Die Betriebsnachfolge ist derzeit also unklar?
Im Moment schon. Aber wir sind überzeugt, dass sich eine Möglichkeit ergeben wird.

2018 kandidierten Sie für die BDP für den Grossen Rat. Werden Sie das erneut tun, um sich mehr Gehör zu verschaffen?
Heute ist es wohl so, dass man in einer Partei besser gehört wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich erneut für den Grossen Rat kandidieren werde.

Was möchten Sie agrarpolitisch erreichen?
Da gibt es viele Aspekte.Die Aufklärung der Bevölkerung über verbreitete Falschinformationen am Beispiel der Trinkwasserinitiative etwa. Trotz der Vorreiterrolle der Schweiz in Sachen Pflanzenschutz und Umwelt müssen wir diese Mittel sicher noch genauer einsetzen und prüfen. Aber auch der Biolandbau würde bei einer Annahme stark eingeschränkt, da auch dieser bewilligte Pflanzenschutzmittel nicht mehr einsetzen könnte. Die Alpwirtschaft wäre nicht so drastisch betroffen. Aber bei uns im Mittelland, wo ein Grossteil der Lebensmittel produziert wird, wird es nie ganz ohne Spritzmittel gehen. Denn ich glaube nicht, dass jemand freiwillig den Bauern beim Jäten helfen würde. Ausserdem dürften wie in allen anderen auch in Bio-Betrieben kaum mehr betreibsfremde Futtermittel eingesetzt werden. Am stärksten betroffen wäre die Schweine- und Geflügelhaltung. Weiter wünsche ich mir, dass unsere Lebensmittel mehr wertgeschätzt werden. Oft wird alles runtergemacht. Auch bei uns hiess es, wir würden eine Tierfabrik betreiben. Aber bei den hohen Auflagen und dem Tierwohl, das bei uns höher als die Mindestanforderungen sind, haben es unsere Tiere gut.

Was gibt Ihnen Ihr Hobby, das Trachtentanzen?
Das bedeutet und hilft mir sehr viel. Ich schätze die Gemeinschaft, das ist wie eine grosse Familie. Ich liebe die Fröhlichkeit, die Tradition unseres Landes. Es ist toll, wenn ich an einem Heimatabend einen Tanz schauen darf, den ich mit der Gruppe eingeübt habe.  

Erstellen Sie selber Choreografien oder muss man alles tanzen, wie man es schon vor 100 Jahren getanzt hat?
Es gibt viele Choreografen, die auch neue Tänze schreiben. Einmal im Jahr findet ein schweizerischer Tanzleiterkurs statt. Da lernen wir neue wie auch alte Tänze. Änderungen an der Choreografie sind nicht gestattet. Heute ist auch das Tanzen digital geworden. Dass wir die Tänze per Video einstudieren können, ist hilfreich.

Ist das Hobby vom Aussterben bedroht oder ist Nachwuchs in Sicht?
Das läuft nicht überall gleich gut. Wir in Schüpfen, wo auch mein Mann und unsere Tochter dabei sind, haben das Glück, Nachwuchs zu haben. Andere haben es verpasst, die 12, 14-Jährigen in die Reihe der Grossen aufzunehmen. In diesem Alter wären die Jungen nämlich motiviert. Ohne Nachwuchs werden die Vereine keine Zukunft haben. Im Rahmen der Jugendförderung erteilen wir Kulturlektionen an den Schulen. Wir zeigen Tänzli, erklären unsere Trachten, machen Rhythmikaufgaben. Da hören uns die Kinder «veiechli» gespannt zu.

Wieviele Trachten besitzen Sie?
Eine Berner, eine Gotthelf-, eine Münger-, eine Ausgangs- und eine Landfrauentracht.

Wann ziehen sie das nächste Mal eine an?
Sobald wir wieder an ein Tanzfest können.

 

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Zur Person
-Doris Marti ist 51 Jahre alt und mit dem Lysser Landwirt Markus Marti verheiratet. Auf dem Dreihubel betreibt dieser mit Ueli Spring einen Gemeinschaftsstall mit rund 70 Kühen.
- Sie ist Mutter von Michael (25), Andrina (20) und dem letztes Jahr verstorbenen Daniel (22).
- Die gelernte Gärtnerin/Floristin ist seit der Geburt ihrer Kinder Bäuerin und Familienfrau.
- Im April wurde sie in den Vorstand des Schweizer Bäuerinnen- und Landfrauenverbands gewählt. Seit 2014 präsidiert sie die Seeländer Bäuerinnenvereinigung und seit 2015 ist im Vorstand des Verbands bernischer Landfrauenvereine.
- Ihr grösstes Hobby ist das Trachtentanzen. Sie amtet als Tanzleiterin der Trachtengruppe Schüpfen, als Seeländische Tanzleiterin und als Co-Präsidentin der kantonalen - Tanzkommission. National und kantonal engagiert sie sich für die Jugendförderung.
- Sie spielt sehr gern Theater, mag Handarbeiten (z.B. das Trachtenschneidern), reisen und Gartenarbeit.

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