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Grossratswahlen

Rebellen für Gerechtigkeit

Für eine Demo lässt Margrit Junker Burkhard die Hausarbeit liegen. Marco Prack fühlt sich zu AKW-Gegnern hingezogen.

Margrit Junker Burkhard
von Brigitte Jeckelmann
Ihre Wege haben sich schon einige Male gekreuzt. Zum Beispiel beim gemeinsamen Flyer verteilen für die SP im Vorfeld der letzten Grossratswahlen: Margrit Junker Burkhard, die bis vor vier Jahren noch Gemeinderätin in Lyss war und Marco Prack, derzeit Gemeinderat in Schüpfen. Sie stellt sich bereits für eine dritte Legislatur als Grossrätin zur Wahl, er möchte in der Kantonspolitik Neuland betreten. Marco Prack sagt, als Geschäftsführer des Fussballverbands Bern und Jura sei sein Entscheid, bei den Grossratswahlen anzutreten, bei seinem Arbeitgeber willkommen gewesen. Bei einer Wahl würde er sich als Politiker demzufolge für den Sport, insbesondere den Fussball, einsetzen. Das sei nötig, denn für die Masse an Kindern und Jugendlichen, die Fussball spielen möchten, gebe es im Kanton viel zu wenig Trainingsplätze. 
Politik habe ihn schon immer interessiert und besonders, seit er Gemeinderat ist. Es gebe ihm auch ein gutes Gefühl, etwas für die Allgemeinheit tun zu können, sagt Marco Prack. Margrit Junker Burkhard kann ihm nur beipflichten; sie hat die klassische, politische Ochsentour absolviert, wie sie es nennt: erst als Mitglied des Lysser Parlaments, dann als Gemeinderätin und später als Grossrätin. Sie sagt: «Je länger ich dabei bin, umso mehr bin ich fasziniert.» 
 
Interesse an Menschen
Ihr Werdegang könnte unterschiedlicher nicht sein. Doch was sie gemeinsam haben, ist das Interesse an Menschen und der Wille, für soziale Gerechtigkeit kämpfen zu wollen. Margrit Junker Burkhard ist auf einem kleinen Bauernhof mit Dachdeckergeschäft in der Gemeinde Rapperswil aufgewachsen. Nach einer kaufmännischen Ausbildung in der örtlichen Gemeindeverwaltung folgte eine Zusatzausbildung bei der Polizei und eine Stelle als Verwaltungsangestellte und Polizeihostesse in Lyss. Danach leitete sie mehrere Jahre das Sekretariat beim Sozialdienst in Münchenbuchsee. Nach der Kinderpause – sie und ihr Mann haben zwei erwachsene Söhne – stieg sie mit einem Pensum von 30 Prozent als Buchhalterin bei der Spitex wieder ins Berufsleben ein.  
Heute hat sie mehrere Mandate inne: Sie präsidiert den Verein Spitex Seeland, den Schulrat des Berufs- und Weiterbildungszentrums Lyss, die Kita Uhunäscht und die Schuldenberatung Bern. Zudem arbeitet sie im Auftrag der Schulen Lyss in einem Jugendprojekt mit. Die zahlreichen verschiedenen Gebiete sind typisch für sie: je unterschiedlicher, umso interessanter. 
 
«Sternsverruckt» an Demo
Politisiert hat sie die Nichtwahl der SP-Bundesratskandidatin Christiane Brunner im März 1993. Da war sie unter den hunderten wütenden Frauen, die vor dem Bundeshaus protestierten. Junker Burkhard erinnert sich daran, wie sie die Wahlen am Fernseher beim Wäschebügeln mitverfolgte: Kurzentschlossen steckte sie das Bügeleisen aus und machte sich mit einigen Freundinnen auf nach Bern, um zu demonstrieren. 
«Sternsverruckt» sei sie gewesen, sagt sie und lacht. Mit an der Demo war die Lysser SP-Grossrätin Margreth Schär. Diese packte die Gunst der Stunde und warb neben Junker Burkhard gleich noch fünf, sechs andere Frauen als Neumitglieder für die SP Lyss an. Sie alle landeten sogleich auf der Wahlliste für den grossen Gemeinderat. Im Januar des folgenden Jahres sassen Margrit Junker Burkhard und drei ihrer Demo-Kolleginnen im Lysser Stadtparlament. Wenn sie an diese Zeit zurückdenkt, kommen die Wut und Enttäuschung wieder hoch, die sie «auf die Strasse» getrieben hatten. 
Eine solche Ungerechtigkeit – das konnten sich die Frauen doch nicht bieten lassen. Und noch heute gehe es in der Politik für sie «ein bisschen besser, wenn ich hässig bin». Manche Voten im Grossen Rat könne sie nicht einfach unbeantwortet stehen lassen. Besonders dann nicht, «wenn es mich aufregt». In solchen Momenten braucht sie vor dem Mikrofon keinen Notizzettel. Die Worte sprudeln auch so hervor; kurz, aber heftig. «Dann ist mir wohler», sagt sie – und auch Marco Prack muss lachen. 
 
In der SVP-Hochburg
Als Prack und seine Frau von Basel nach Schüpfen zogen, begann sein politischer Werdegang als Mitglied der Schulkommission. Gleichzeitig war er an der Gründung der damaligen Ortspartei Schüpfen plus beteiligt. Und das in der SVP-Hochburg Schüpfen. Nach gut zehn Jahren fiel die Ortspartei auseinander, dafür entstand die örtliche BDP. Prack wandte sich der SP zu – für ihn ein logischer Schritt – und wurde in den Gemeinderat gewählt, wo er derzeit das fusionierte Ressort Jugend, Kultur und Soziales betreut. 
Prack ist in Angola, im Südwesten Afrikas aufgewachsen und kam erst im Alter von 13 Jahren in die Schweiz. Die Familie musste flüchten, weil damals im Land der Bürgerkrieg ausgebrochen war. Kein Wunder, begleitet ihn das Interesse für Kultur und Politik von Kindsbeinen an, wie auch das Flair für Sprachen: In seinem Elternhaus wurde Deutsch, Französisch und Portugiesisch gesprochen, so wuchs er dreisprachig auf. Später bestand er die Matura in Basel auf Italienisch, während der Ausbildung an der Hotelfachschule in Lausanne kamen Spanisch und Englisch hinzu. 
Als Geschäftsführer des Fussballverbands kommt ihm seine Sprachgewandtheit zugute; «es hilft mir, Menschen aus anderen Kulturen zu verstehen», sagt er. Prack hatte sich als Hotelier auf Spitalhotellerie spezialisiert. Er arbeitete zehn Jahre im Unispital Basel, bevor er ins Inselspital Bern wechselte und dort die Patientengastronomie aufbaute. Dieser Job war der Grund für den Umzug in den Kanton Bern. Mit Mitte 40 vollzog er einen beruflichen Richtungswechsel, bewarb sich als Geschäftsführer beim Fussballverband Bern und Jura – und bekam die Stelle. Prack: «Für mich ein Volltreffer, denn was gibt es Schöneres, als wenn das Hobby zum Beruf wird.» 
Fussball war stets ein wichtiger Bestandteil seines Lebens. Früher als aktiver Spieler und Trainer im Amateurbereich. Heute als Mitglied bei der Seniorenklasse beim FC Schüpfen. Ein Basler beim Fussballverband Bern und Jura – die Frage, für welchen Club sein Herz schlägt, muss gestellt werden. Heute bekennt er sich klar zu YB – «obwohl ich den FC Basel nie ganz aus den Augen verloren habe». Kürzlich ist der Vater zweier erwachsener Söhne zum Grossvater geworden. 
Politisch sensibilisiert wurde er schon früh: Durch zahlreiche Aufenthalte in Brasilien, dem Land, in dem sein Vater 30 Jahre lang gelebt hatte und aus dem seine Frau stammt, wird er immer wieder mit der dort herrschenden politischen Ungerechtigkeit konfrontiert. Deshalb sei es ihm wichtig, in der Schweiz politisch aktiv zu sein, um Einfluss nehmen zu können. 
 
Klares Bekenntnis zur SP
Für Margrit Junker Burkhard stellte sich die Frage, welcher Partei sie sich anschliessen wollte, nie: SP, und sonst gar nichts. Und dies, obschon sie in einem bürgerlichen Elternhaus aufwuchs, der Vater war Mitglied der Bauern- und Gewerbepartei, die Vorläuferin der SVP. Politisch aktiv sei aber praktisch niemand aus der Familie. Sie erinnert sich jedoch an ihren älteren Bruder, der «fast links vom Bänkli fällt». Als er darauf bestand, den Militärdienst ohne Waffe zu absolvieren, reagierte die Familie damals mit Unverständnis. Junker Burkhards Haltung war immer klar sozial, sagt sie.
Marco Prack stammt aus einer eher liberalen Familie, die noch das Leben in Kolonien kannte. Im Vordergrund stand stets das Unternehmertum. Instinktiv hegte er aber bereits als Schüler Sympathien für die Gegenseite; AKW-Demos, das autonome Jugendzentrum in Basel wirkten auf ihn anziehend. Rückblickend sagt er: «Ich war eigentlich schon immer eher links gerichtet.» Die Mitte-Rechts-Politik sagte ihm nie zu, Prack bezeichnet sie als Egoistenpolitik. «Das Altruistische lag mir immer näher.»
Beiden gibt die Entwicklung im Sozial- und Gesundheitswesen zu denken: Wegen Zeit- und Spardruck geht die Menschlichkeit zusehends verloren. Junker Burkhard konnte dies als zuständige Gemeinderätin beim Sozialdienst Lyss hautnah mitverfolgen. Prack macht dieselbe Erfahrung als Vorstandsmitglied des regionalen Sozialdienstes Schüpfen. Wie auch in der Pflege sei die Fluktuation bei den Sozialdiensten hoch. Vollzeit arbeite praktisch niemand, die Belastung für die Mitarbeitenden steige laufend. Dies sind denn auch für beide Schwerpunktthemen. Doch wo den Hebel ansetzen? Für Prack und Junker Burkhard ist klar: Es steht in der Verantwortung der Politik, sowohl im Gesundheits- wie auch dem Sozialwesen möglichst optimale Rahmenbedingungen für die Mitarbeitenden zu schaffen. 
Margrit Junker Burkhard hat als Grossrätin erlebt: Mit viel Engagement kann man etwas bewegen. «Aber man muss sich vernetzen und für eine Sache kräftig weibeln.» Als besonders gelungenes Beispiel nennt sie die Abstimmung zum revidierten Sozialhilfegesetz im Kanton Bern Mitte Mai 2019, das eine massive Kürzung der Gelder zur Folge gehabt hätte. Doch dank dem Zusammenschluss der Mitte-Links-Parteien wurde es abgelehnt. Während sich Junker Burkhard an diesen Erfolg erinnert, kommt das Feuer von damals wieder hoch. 
Das ist es, was sie liebt: Für eine Sache brennen und für sie kämpfen. Und so sieht das auch Marco Prack.
Stichwörter: Wahlen, SP, Gemeinderat

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