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Sri Lanka

Reise zu den Menschen

Menschen sind es, die Martina Zürcher und ihren Mann Dylan Wickrama beim Reisen am meisten interessieren. In Sri Lanka haben sie eine Motorradreise geleitet.

Wilde Elefanten gehören in Sri Lanka meist zu den harmloseren Verkehrsteilnehmer. Bild: zvg
  • Dossier

Martina Zürcher

Der Mann liegt auf einem Spitalbett in einem grossen, hallenähnlichen Zimmer im Generalspital von Colombo, Sri Lanka. Er lächelt matt, als Dylan an sein Bett tritt. Mit Vorhängen und halbhohen Trennwänden sind die vielleicht 100 Betten voneinander getrennt. Fast jeder der Patienten hat Besuch, dementsprechend laut ist es. Dylan stellt sich dem Mann vor, den er bis anhin nur vom Hörensagen kennt, dessen Schicksal sich aber in der Zeit, als wir das Heimatland von Dylan gemeinsam mit einer Motorradreisegruppe besuchten, tragisch veränderte. Es war vor wenigen Tagen gewesen, als der Mechaniker Imthias, der mit unserer Reisegruppe unterwegs war, davon erzählte, dass sein Arbeitskollege bei einem Motorradunfall sein rechtes Bein verloren habe. «Unterhalb des Knies mussten sie das Bein amputieren. Er war auf dem Töff unterwegs, als er von einem Auto überfahren wurde. Er weine nur noch, sagen sie», hatte er damals schockiert berichtet.

 

Keine Arbeit, kein Geld

Beim Besuch erfahren wir, dass nebst der Amputation auch der Oberschenkel und die Hüfte gebrochen sind. Er muss unsägliche Schmerzen haben, obendrauf Existenzängste. Er arbeitete als freischaffender Motorradmechaniker; wenn es Reisende wie wir zu begleiten gab, hatte er Arbeit, sonst nicht. Ob er nach der Genesung seinen Job immer noch ausüben kann, weiss niemand. Er hat Frau und Kind und ab sofort kein Einkommen mehr. Die Versicherung des Unfallverursachers wird vielleicht bezahlen. Sehr wahrscheinlich aber nicht. Eine eigene Krankenversicherung hat er, so wie die meisten Menschen aus Sri Lanka, nicht.

Der Spitalaufenthalt wäre in Sri Lanka eigentlich gratis. In Realität heisst dies aber: Wer den Ärzten nichts bezahlt, wird mehr oder weniger am Leben erhalten. Wer bezahlt, wird etwas besser behandelt. Psychologische Betreuung oder einfach nur eine Physiotherapie gibt es aber so oder so nicht. Und sobald es dir gut genug geht, wirst du aus dem Spital ent- und deinem Schicksal überlassen. Auch wenn du zuerst noch lernen musst, ohne deinen rechten Fuss zu leben.

 

Wie die Einheimischen

Einen Tag bevor wir vom Unfall erfuhren, hatten wir gemeinsam mit der Reisegruppe entschieden, etwas zurückzugeben. Wir selbst hatten eine wunderschöne Reise erlebt, ohne viel Geld auszugeben, da wir meist abseits der touristischen Routen unterwegs waren und die Gruppe, genauso wie wir, Spass daran hatte, immer in den kleinsten Restaurants einen Stopp einzulegen und wie die Einheimischen täglich zweimal Reis und Curry zu essen. Wir besuchten eine Teefabrik da, wo sonst keine Touristen hinkommen und einen Tempel im Dschungel, der erst kürzlich wiederentdeckt wurde, anstatt in der Lipton Teemanufaktur oder beim Unesco Weltkulturerbe Sigiria vorbeizuschauen. Dort wird von Ausländern für lokale Verhältnisse die astronomische Summe von 35 Dollar verlangt.

Für Dylan, der als Einheimischer die Gruppe geführt hatte, ein Grund, vorzuschlagen, das Geld stattdessen für einen humanitären Zweck einzusetzen. Denn es geht uns nicht darum, möglichst wenig Geld auszugeben. Nein, es ist durchaus sinnvoll, als Reisender in einem Entwicklungsland nicht immer die billigste Variante zu wählen, aber man sollte sich bewusst sein, ob man das Geld der Regierung, einer internationalen Hotelkette oder doch lieber einem Familienbetrieb zukommen lässt. Und so schlug Dylan der Gruppe vor, wir könnten das nicht ausgegebene Geld stattdessen für einen guten Zweck einsetzen. Als wir dann vom Schicksal des Motorradmechanikers hörten, war der Fall für alle klar.

Zuerst war die Rede davon, Umschulungskosten zu übernehmen, dann von einer Beinprothese. Beim Besuch im Spital merkte Dylan aber, dass es vorerst einmal darum geht, Zeit zu haben um den Schock zu verdauen und die Möglichkeit, die Wunden heilen zu lassen, ohne sich zusätzlich um Geld sorgen zu müssen. Der Besuch im Spital am letzten Tag unserer Sri Lanka Reise war ein Besuch bei einem Mann, der mit 31 Jahren unverschuldet vor einer riesigen Herausforderung steht. Dank der Offenherzigkeit unserer Reisegruppe war es möglich, ihm zumindest finanziell ein klein wenig zu entlasten.

Wir hatten auf dieser Reise so vieles geschenkt bekommen, sei es eine Kokosnuss oder ein frisches Hemd mitten im Dschungel, eine Segnung durch einen buddhistischen Mönch in einem kleinen Tempel, ein Teller Milchreis an einem tamilischen Fest, unzählige Lächeln überall wo wir ankamen. Jetzt war es an uns, etwas zurückzugeben, denn Reisen bedeutet für uns mehr als Neues zu entdecken. Reisen heisst, sich auf Menschen und deren Geschichten einzulassen und wo man kann, auch mal etwas zu verändern.

Info: Wer mit den beiden verreisen möchte, findet mehr Infos unter www.ride2xplore.com.

 

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