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Dotzigen

Schleppen, keuchen, nachfassen

600 Schüler aus Gemeinden, die an der Alten Aare liegen, besuchen dieser Tage das renaturierte Auengebiet. Während eines halben Tages erleben sie die Natur mit allen Sinnen.

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von Lotti Teuscher


Regula Schild legt einem Bub ein Biberfell auf den Rücken, die Kinder staunen. So gross ist der Biber? Ein Biberschädel wandert durch 20 Kinderhände, Fingerspitzen berühren vorsichtig die langen, gelblichen Nagezähne. Dann fragt Schild die Kinder nach dem zweiten Namen des Biberschwanzes. Stille, Achselzucken. Sie gibt einen Tipp: Dieser Name werde auch für ein Küchenhilfsmittel verwendet. «Teller?» «Messer?» «Kelle!» ruft ein Mädchen.

600 Schülerinnen und Schüler aus Aarberg, Safnern, Dotzigen und anderen Dörfern entlang der Alten Aare besuchen dieser Tage den renaturierten Fluss. Organisiert hat den Anlass der Wasserbauverband Alte Aare in Zusammenarbeit mit Firmen, die am Projekt mitarbeiten. Die Kinder erfahren, dass Hochwasserschutz heute nicht mehr bedeutet, entlang der Gewässer Mauern zu ziehen. Sondern, dass dem Fluss ehemalige Überflutungsgebiete zurückgegeben werden, was gleichzeitig vielen Tieren und Pflanzen einen neuen Lebensraum ermöglicht. Das Mammutprojekt begann im Jahr 2014 und wird voraussichtlich 2019 beendet sein (das BT berichtete mehrmals).


Ein Kraftakt

Regula Schild von der Sigmaplan AG ist verantwortlich für die Umweltbegleitung. Bislang seien die Arbeiten optimal und unfallfrei verlaufen; weder Budget noch Zeit wurden überschritten. Ehemalige Flussläufe wurden wieder freigelegt, Totholz eingebaut und dort, wo früher starker Bewuchs dominierte, gibt es nun Teiche und Tümpel, Feuchtwiesen und Auenwälder.

«Nun warten wir ab», sagt Schild, «und beobachten, welche Fische, Amphibien und Pflanzen sich hier ansiedeln.» Eingegriffen in die Natur werde einzig noch, wenn die Entwicklung nicht wie erhofft verlaufe.Die Dritt- und Viertklässler schleppen inzwischen Äste zum Ufer der Alten Aare, mit anzupacken ist Teil der sechs halben Tage, die Schüler der 4. bis 9. Klasse gruppenweise im Naturschutzgebiet verbringen. Ein Bub muss immer wieder stehen bleiben, nachfassen und verschnaufen, denn die Äste sind drei Mal so lang wie er und fast ebenso schwer. Hilfe schlägt der Zehnjährige dennoch aus. Aus den Ästen werden Buhnen (eine Art Damm) oder Faschinen geflochten, Astbündel die an Pfählen befestigt das Wasser verwirbeln und Fischen Schutz vor Feinden bieten.


Der Litterer

Über einen anderen «Feind» stolpern die Kinder beinahe: Ein junger Mann sitzt neben dem Abfall, den er achtlos am Ufer verstreut hat. Die Buben und Mädchen bleiben stehen, stutzen, dann stellen sie den Mann zur Rede, ermuntert von den erwachsenen Begleitern. Der Sünder druckst herum, behauptet, er habe nicht gewusst, dass Plastik schlecht abbaubar sei und überhaupt: «Das machen doch alle.»

Die Kinder lassen nicht locker, der Mann sammelt schliesslich, Entschuldigungen murmelnd, seinen Abfall ein. Fünf Jungs stehen ihm mit verschränkten Armen gegenüber. Sie starren ihn mit strengen und scharfen Blicken an – so nicht, sagen ihre Mienen. Ein Bub flüstert der Journalistin ins Ohr: «Däm heimers aber gä.» Was die Kinder nicht wissen: Der Litterer ist ein Schauspieler.
Anpacken, das Verhalten in der Natur lernen, die Natur erleben, riechen und Wissensvermittlung: Der Anlass weckt alle Sinne der Kinder, gelangweilte Mienen sind nirgends zu entdecken.

Eine Gruppe steht am Rande eines neu geschaffenen Kiesufers, darin Haufen aus totem Holz, das einer Vielzahl Insekten Lebensraum bietet. Eine Instruktorin zeigt auf ein Symbol auf einem Blatt: «Was bedeutet es?» Viele Hände schnellen in die Höhe, ein Mädchen ruft: «Naturschutzgebiet!» Und warum braucht es Naturschutzgebiete? «Weil Tiere und Pflanzen geschützt werden müssen.» Die Schüler und Schüler haben ihre Hausaufgaben gemacht.


Auengebiet en miniature

Ein paar hundert Meter weiter buddeln Kinder in vier überdimensionierten Sandkästen, gefüllt mit Lehm. Zweige stellen Bäume dar, bemalte Holzklötze Häuser – die Kästen stellen das Gebiet der Alten Aare en miniature dar. Als die Schüler kurz nach 9 Uhr morgens eintrafen, wurden schmale Kanäle in den Lehmbecken mit Wasser geflutet, dieses trat im engen Bett über die Ufer und spülte die Holzhäuschen weg. Aufgabe der Schüler ist es nun, den Flusslauf zu verbreitern, weitere Flussläufe zu bilden und ein neues Überlaufbecken zu schaffen. Höhepunkt des Morgens wird sein, wenn die Becken erneut geflutet werden und die Kinder sehen, ob ihr Bauwerk eine Überschwemmung verhindert.

Doch im Moment steht erneut das Biberfell im Mittelpunkt. Ein paar Mädchen streichen mit den Fingern über das Fell («so flauschig und fein»), betasten die Krallen an den Pfoten und die nackte Kelle. «Oh», ruft eines der Mädchen, «das fühlt sich an wie Schlangenhaut.» Ekel ist ihr keiner anzumerken. Die Schülerinnen und Schüler haben verstanden, dass Natur nichts Ekliges ist. Sondern etwas Interessantes, das sie entdecken dürfen.

Stichwörter: Alte Aare, Renaturierung

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