Sie sind hier

Abo

Tierschutz

Schweizer kaufen wegen Corona mehr Hunde aus dem Ausland

Fachleute schlagen Alarm: Während des Lockdowns ist der Import von Strassenhunden aus dem Ausland explodiert. Doch viele Neubesitzer sind mit solchen Hunden überfordert.

Tierpflegerin Cornelia Mosimann unternimmt mit Lia Spaziergänge im Schnee. Die Hündin stammt aus Spanien und wartet im Tierheim Rosel auf neue Besitzer. Matthias Käser

von Brigitte Jeckelmann
Der Lockdown im Frühling hat in der Schweiz einen Hundeboom ausgelöst. Zahlreiche Schweizerinnen und Schweizer hatten im Homeoffice auf einmal viel Zeit und schafften sich einen Vierbeiner an. Doch in der Phase danach tauchten die Probleme auf. Denn die Tiere hatten sich an die dauernde Anwesenheit ihrer Besitzer gewöhnt und rebellierten dagegen, plötzlich wieder alleine sein zu müssen.
Hundetrainerin Erika Howald von der Hundeschule Berghof in Rüti sagt, sie erhalte täglich Anrufe von verzweifelten Hundebesitzern. Die häufigsten Probleme: Hunde, die das ganze Haus zusammenbellen, ständig winseln oder in Zerstörungswut verfallen und Möbel zerbeissen. Auffallend viele Anrufer seien erst kürzlich Hundebesitzer geworden, hätten also wenig bis keine Erfahrung mit Hunden. Hinzu kommt: «Viele von ihnen haben sich via Internet einen Hund von einer Tierschutzorganisation aus dem Ausland gekauft.» Wie Erika Howald sagt, ist das problematisch: «Solche Hunde haben meistens eine schwierige Vorgeschichte und brauchen deshalb eine erfahrene Hand.»
Die Zahlen der Plattform Tierstatistik der Identitas AG belegen, dass sich im vergangenen Jahr tatsächlich mehr Schweizerinnen und Schweizer einen Hund aus dem Ausland geholt haben: Zwischen Ende Mai und Ende November gab es rund 18 800 Importe. Dies entspricht 18 Prozent mehr als im Vorjahr.


Kein Gedanke an die Zeit danach
Erika Howald ärgert sich über jene Käufer, die sich keine Gedanken über die Zeit nach dem Lockdown gemacht haben. Bellen Hunde tagsüber dauert es nicht lange, bis Nachbarn reklamieren. Und dann? «Dann kommen tatsächlich manche auf die Idee, sich noch einen zweiten Hund anzuschaffen», sagt Erika Howald. Das Desaster ist perfekt. Denn der zweite Hund übernehme oft die Unarten des ersten.
Um Fehlverhalten zu korrigieren brauche es Zeit, Geduld und Wissen. Das Wissen können sich Halter in Kursen aneignen. Zudem können sie den Hund während der Arbeit in die Obhut eines Horts geben. Doch das kann schnell mal teuer werden. Nicht alle wollen ihr Geld in einen Hund investieren. Als Folge davon befürchtet Erika Howald, dass viele ihre Hunde wieder loswerden wollen und sie ins Tierheim bringen.
Diese Befürchtung teilt Tamara Jung, Geschäftsführerin des Tierheims Rosel in Brügg. Auch sie stellt seit dem letzten Frühling eine vermehrte Nachfrage nach Hunden und Katzen fest. Doch viele, die einen Hund wollen, bekommen von Tamara Jung und ihrem Team eine Absage: «Bei näherem Befragen merken wir, dass den Leuten oft nicht bewusst ist, was es bedeutet, einen Hund zu halten.»


Halter sind überfordert
Wie Erika Howald ist Tamara Jung über den Trend besorgt, Hunde übers Internet aus dem Ausland zu importieren. Viele Portale im Netz seien unseriös. Was der Halter dann vor die Haustür geliefert bekommt, habe sehr oft rein gar nichts zu tun mit dem herzigen Bild und der rührenden Geschichte auf den Internetseiten von Tierschutzorganisationen, aber auch von Hundezüchtern, meist aus Süd- oder Osteuropa. Menschen ohne ausreichende Erfahrung seien mit diesen Hunden überfordert.
Das Tierheim Rosel beherbergt immer mehr solche Hunde. Ein Beispiel ist die elfjährige Hündin Lia, ein Schäfermischling. Sie wartet seit anderthalb Jahren im Heim auf ein neues Zuhause. Eine Rettungsorganisation brachte Lia von Spanien in die Schweiz und vermittelte sie an einen Käufer. Dieser kam mit ihren Macken – sie jagt gerne Jogger und Hühner – nicht zurecht und gab sie im Tierheim ab. «Dabei ist sie ganz lieb», sagt Tamara Jung. Ein rüstiges Rentnerpaar mit viel Zeit und Geduld wäre für Lia ideal, sagt sie und hofft, dass sich doch noch geeignete Besitzer für die Hündin finden.
Wie eine Wundertüte
Die Hundetrainerin Tanja Sägesser betreut in ihrer Hundeschule «Pfotenhilfe» in Täuffelen-Gerolfingen zahlreiche Kundinnen und Kunden mit Problemhunden wie Lia. Sie kann verstehen, dass sich Menschen in den Gedanken verlieben, «einen bedürftigen Hund aus dem Ausland zu retten». Sie rät auch nicht prinzipiell davon ab, sich ein solches Tier anzuschaffen. «Aber wenn man sich dafür entscheidet, muss man die Erwartungen an den Hund herunterschrauben.» Denn ein Tier mit ungewisser Vorgeschichte sei wie eine Wundertüte. Man müsse dazu bereit sein, Zeit und Geduld in die Beziehung zu stecken.

Doch warum erfordert der Umgang mit Strassenhunden so viel Fingerspitzengefühl? Helen Sandmeier vom Schweizer Tierschutz STS gibt zu bedenken, dass Hunde, die längere Zeit herrenlos als Streuner gelebt haben, «sich meist nur schwer an ein neues, weniger freies Leben gewöhnen können». Verhaltensprobleme, unverarbeitete Traumata und Ängste seien nicht selten. Oft seien die Hunde in der ungewohnten Umgebung ängstlich und gestresst, weil sie in ihrem Leben als Strassenhunde schlechte Erfahrungen mit Menschen machen mussten.
Der coronabedingte Hundeboom bereitet auch dem Schweizer Tierschutz Sorgen. Beim Import von Hunden aus dem Auslandtierschutz mahnt die Organisation zu grösster Vorsicht. Europaweit wie auch in der Schweiz gibt es massenweise Tierschutz-, Tierhilfe-, Tierrettungs- oder Tiervermittlungsorganisationen. Doch ein professioneller Internetauftritt sei nicht automatisch mit professioneller Tierschutzarbeit gleichzusetzen, heisst es im Report «Hundeimportland Schweiz» des STS. Was vor Ort tatsächlich mit den Tieren ablaufe, werde daraus vielfach nicht ersichtlich. In der Vergangenheit häuften sich denn auch Meldungen, wonach genau solche Organisationen lukrativen Hundehandel betrieben, heisst es weiter.
Auf einer Checkliste hat der Schweizer Tierschutz Merkmale zusammengestellt, die helfen, seriöse Organisationen zu erkennen (siehe Infobox). Die Autorinnen kommen im Report zum Schluss: Man tut einem Hund nicht unbedingt einen Gefallen, wenn man ihn aus seinem gewohnten Leben reisst in der Absicht, ihn zu retten.


Tierschutz vor Ort fördern
Dem pflichtet der deutsche Hundespezialist Martin Rütter bei. Er ist bekannt aus der Fernsehserie «Der Hundeprofi». Wenn man einen Hund aus dem Ausland in die Stadt nehme, könne es nur klappen, wenn dieser Menschen, Strassenverkehr, Lärm und Trubel gewöhnt sei. Verfrachte man ein Tier aus der spanischen Pampa in eine Etagenwohnung, sei das Fiasko programmiert. Rütter: «Ich würde auch keinen Neandertaler nach New York schicken.» Er ist überzeugt: «Probleme sollte man immer vor Ort lösen.»
Das ist die Strategie der Susy-Utzinger-Stiftung, die seit über 20 Jahren weltweit aktiv ist. Die Stiftung führt unter anderem Kastrationsaktionen durch und betreibt Aufklärungsarbeit, um das Leid der Tiere nachhaltig zu mindern. Zudem unterstützt und betreibt sie Tierheime und Tierspitäler. Im südrumänischen Galati zum Beispiel hat die Stiftung ein grosses Tierheim gebaut. Dort leben über 400 Waisenhunde und mehr als 100 herrenlose Katzen. Mit einer Patenschaft hat man die Möglichkeit, einem solchen Tier zu helfen. Die Stiftung veranstaltet jedes Jahr eine Reise für die Paten, damit sie ihren Schützling kennenlernen können.


Weitere Infos:

www.pfoten-service.ch
www.hundeschuleberghof.ch
www.tierschutzbiel.ch
www.martinruetter.com/webinar

 

Stichwörter: Hunde, Tierschutz, Rüti

Nachrichten zu Seeland »