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Schüpfen

Sie bringen Walt Disney in die Kirche

Anfangs wollten sie nur tanzen – bis eine von ihnen in der Umkleidekabine ein Lied zu trällern begann. Nun stehen sie seit über 15 Jahren als Petticoat auf der Bühne. Am Samstag singen sie in Schüpfen – ganz anders, als man sie kennt.

Normalerweise gehören die bunten Röcke zu ihrer Show dazu, am Samstag in der Kirche gibt es jedoch keine Show.  zvg/Andrea Rufener
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Hannah Frei
 
Sie träumten von den ganz grossen Bühnen, an mutigen Tagen sogar von solchen im Ausland, von Veranstaltungen, an denen ihre Vorbilder performten, diejenigen, die ihre Songs schrieben: Christina Aguilera, Abba, The Chainsmokers. Dann wurden sie älter – und sie begannen, anders zu träumen. «Zurzeit ist unser Hauptziel, nach der Pandemie wieder regelmässig auftreten zu können und unser Niveau zu halten», sagt Leandra Oertig. Sie tanzt und singt, gemeinsam mit ihrer Schwester Irina Oertig sowie Linda Stettler und Nadia Ramseier. Lara Arn und Roman Jeckelmann machen die Showgruppe komplett. Sie singt nicht, sondern tanzt, dafür umso besser. Er hingegen tanzt nur, wenn ihn die fünf Frauen dazu auffordern, am liebsten begleitet er sie jedoch mit Perkussion. Alle um die 30 Jahre alt, alle aus der Region rund um Schüpfen – ausser Roman Jeckelmann, der kommt aus Düdingen. Sie nennen sich «Showgruppe Petticoat», also wie der Unterrock, der in den 50er-Jahren gerne getragen wurde. Am Samstag treten sie in der Kirche Schüpfen auf – aber ganz anders, als man sie kennt.
 
In der Kirche ohne farbige Röcke
Kein Verstärker, keine Mikrofone, kein Tanz, keine farbigen Röcke: Am Samstag wird es keine Show im eigentlichen Sinne geben, sondern ein Konzert. Die Stimmen werden im Zentrum stehen. Normalerweise werden die Petticoats für ihre unterhaltenden Shows gebucht, für Firmenevents, Hochzeiten oder Geburtstage. Ab und an gibt es aber auch Veranstaltungen, an denen sich alles nur um ihren Auftritt dreht, so auch am Samstag. «Es ist ein unglaubliches Gefühl, wenn die Leute extra für uns irgendwohin kommen. Das überwältigt mich jedes Mal», sagt Nadia Ramseier. «Die eigenen Auftritte sind für uns deshalb meist sehr emotional», ergänzt Linda Stettler. An Firmenevents hingegen werde nicht auf sie gewartet. Das mache es manchmal schwierig, das Publikum abzuholen. Dann gilt es für die Gruppe, zu unterhalten, auch wenn das manchmal eher im Hintergrund passiert.
 
Seit über 15 Jahren machen die Petticoats gemeinsam Musik. Gefunden haben sie sich dank der Tanzlehrerin Erika Nussbaumer. Einst, als sie noch Mädchen waren, tanzten vier von ihnen bei ihr. Nussbaumer unterrichtete klassischen Tanz, Ballett und Jazztanz. Es war Linda Stettler, die in der Umkleidekabine anfing, vor sich hin zu trällern. Da wurde Nussbaumer hellhörig. «Ich dachte mir: Mamma Mia, daraus muss man doch etwas machen.» Sie war beeindruckt. So sehr, dass sie kurz darauf ein Musical für ihre Tanzschülerinnen geschrieben hat. Von da an hiess es also nicht mehr nur tanzen, sondern dazu auch singen, unterhalten, sich in allen Facetten präsentieren. Das funktionierte. Bald folgte der erste Talentwettbewerb, 2006, am Seeländischen Musiktag in Seedorf. Sie gewannen und gingen daraus als Gruppe hervor, die mit den Jahren immer besser wurde, immer erwachsener. «Heute sind wir auf einem professionellen Niveau, auch wenn wir das lediglich nebenberuflich machen», sagt Leandra Oertig.
 
Nussbaumer wurde von der Tanzlehrerin zur Managerin. Sie übernimmt alles, was rund um die Auftritte ansteht, das Booking, die Organisation, aber auch die mentale Unterstützung. Unterdessen ist aus der Gruppe auch ein Verein geworden.
 
Roman Jeckelmann kam erst 2015 dazu und löste damit seinen Perkussionisten-Vorgänger ab. «Ich mag es, meine Gefühle mit Musik auszudrücken», so der Hahn im Korb.
 
Von Walt Disney inspiriert
Diesen Samstag dreht sich also alles um die Stimmen. Das Thema des Abends: Filmmusik. Schuld daran ist unter anderem Walt Disney. Die Petticoats lieben die Songs aus den weltbekannten Filmen, etwa aus Lion King. Für den Auftritt am Samstag wagen sie sich – A capella – sogar an Bohemian Rhapsody von Queen. Ein herausforderndes Stück. Besonders, wenn die Stimmen von keinem Instrument gestützt werden. Doch das brauchen die Petticoats auch nicht. Wenn sie vierstimmig singen, bleibt da kaum mehr Raum für anderes. Ihr Gesang erinnert an Musical, lebt von viel Bruststimme, klingt bei jeder ein wenig anders. Klassisch wird es bei ihnen aber selten.
 
Gesangsunterricht nehmen sie einzeln. Anfangs hatten sie zusätzlich Gesangscoaches oder Choreografinnen für die ganze Gruppe, je nach Projekt. «Das hat uns wirklich weitergebracht. Wir konnten von jedem und jeder etwas Neues lernen», sagt Ramseier. «Es ist wie beim Spitzensport: Wenn man nicht stetig an der Stimme arbeitet, nimmt die Qualität ab, die Töne werden weniger rein, das Stimmvolumen schwindet.» Wenn die sechs zusammenkommen, sollte jede und jeder seinen Part bereits können, den Text, die Bewegungsabläufe. Das klappe auch – meistens.
 
Die Petticoats arbeiten hauptsächlich mit bereits bestehenden Arrangements und schneiden sie auf sich zu. «Wir sind keine Songwriterinnen», sagt Stettler. Sie bringen lieber Songs, die das Publikum schon kennt, bei denen es mitsingen kann. «Es gibt so viele tolle Lieder, weshalb sollen wir diese nicht nutzen?», ergänzt Ramseier.
 
Ihr Hauptberuf werde die Musik aber wohl nicht werden, sagt Ramseier. Weshalb nicht? Davon geträumt haben sie schon länger nicht mehr. Zurzeit sei es nicht realistisch, sagt Stettler. Gagen erhält die Showgruppe zwar – am Samstag in der Kirche wird es eine Kollekte geben –, aber dieser Batzen landet in der Vereinskasse und wird erst ausgegeben, sobald etwas Neues für die Auftritte gebraucht wird. Oder ab und an für einen gemeinsamen Ausflug. Würde es finanziell anders aussehen, wären die Träume der sechs vielleicht wieder so gross wie am Anfang ihres gemeinsamen Weges. Aber zuerst steht nun das Konzert in der Kirche an, ihr eigenes Konzert, an dem sich das Publikum einzig und alleine für ihre Musik interessiert.
 
Info: Petticoat, Samstag, 19.30 Uhr, in der Kirche Schüpfen, Dorfstrasse 13,Schüpfen, Zutritt nur mit Zertifikat; www.petticoat.ch

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