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Erlach

Sie haben bald ausgedealt

In Erlach geht eine Ära zu Ende: Nach vielen Jahrzehnten übergibt die Familie Bessard ihre Drogerie einer Nachfolgerin. Der Inhaber erzählt, wie sich die Drogerie im Wandel der Zeit geändert hat – und weshalb Drogisten auch Drogendealer sind.

Copyright: Barbara Héritier / Bieler Tagblatt

Lotti Teuscher

Ein leichter Duft nach Kräutern empfängt die Kundschaft, es scheint, als hätte er die Mauern des historischen Hauses in Erlach durchdrungen. Alte Standgefässe, eine antike Waage aus Messing und Setzkästen erinnern an vergangene Jahrzehnte. Seit 80 Jahren wird die Drogerie Bessard in Erlach von der gleichnamigen Familie geführt.

Neben der Drogerie gibt es im Stedtli ein Lebensmittelgeschäft, eine Käserei, eine Metzgerei und zwei Bäckereien – in keiner anderen Seeländer Gemeinde gleicher Grösse existieren so viele Geschäfte. Dass die Läden erhalten blieben, ist den Touristen zu verdanken, die während der wärmeren Jahreszeiten Erlach zu Tausenden besuchen. Davon profitiert auch die Drogerie Bessard: Hat sich jemand einen Sonnenbrand geholt? Ist ein Kind von Entenflöhen gebissen worden? Sind die Mücken wieder einmal besonders lästig? Ab in die Drogerie. Einmal im Stedtli, kaufen viele Touristen auch in anderen Geschäften ein.

Kurz: Egal ob Bäckerei, Metzgerei, Drogerie oder Käserei: Jedes Geschäft profitiert von den Kunden der anderen. Schliesst eines dieser Geschäfte, werden die Kunden auch für die verbleibenden Geschäfte weniger. Deshalb machte die näher rückende Pensionierung der Drogerie-Besitzer Walter und Marianne Bessard die Eingeborenen nervös. Wird es einen Nachfolger geben oder schliesst die Drogerie? Walter Bessard hat lange gesucht – und eine Nachfolgerin gefunden: Drogistin Rosette Wyss übernimmt im nächsten Jahr as Geschäft.

 

Was sind Drogen?

Zurück zu den Bessards. Erst hat Vater Rudolf 40 Jahre lang in Erlach Drogen verkauft, danach folgte ihm sein Sohn während ebenfalls 40 Jahren als Drogenhändler. Drogendealer? Richtig, Drogenhändler. Einst wurden geschnittene und getrocknete Heilkräuter als Drogen bezeichnet. Daher auch der Name dieser Fachgeschäfte: Drogerie. Beide Erlacher Drogisten haben das Geschäft nach dem Motto geführt: «Man muss Menschen mögen.»

Innerhalb der letzten Jahrzehnte hat sich vieles geändert – zugeschnitten auf die Bedürfnisse der jeweiligen Bevölkerung. Denn auch Drogerien spiegeln die Veränderungen der Gesellschaft. Rudolf Bessard mischte nicht nur Hustenmittel selber, sondern auch Medikamente für Tiere. Etwa, wenn die Maul- und Klauenseuche ausbrach. Er war ein Drogist seiner Ära – oder mit den Worten des mittlerweile Verstorbenen: «Ein Drogist ist ein Generalist. Ein Apotheker eher ein akademischer Schubladenzieher.»

 

Wegweisender Entscheid

Dies änderte sich, als Hustensirup industriell hergestellt und Tiermedizin direkt von den Tierärzten abgegeben wurde. Oder Bodenwichse nicht mehr gefragt war, weil Holzböden Teppichen wichen. Drogisten mussten immer wieder Alternativen suchen, viele setzten ab den 40er-Jahren zusätzlich auf Kosmetika und Körperpflegemittel. Rudolf Bessard behagte dies nicht: «Für das Dekorative habe ich wenig Flair», konstatierte er.

1948 entschied die Gesundheitsdirektion des Kantons Bern, dass Drogerien eine breite Palette an Medikamenten verkaufen dürfen, etwa Schmerzmittel. Dank der Medikamente wurde das Drogeriesortiment stark erweitert. Zusätzlich setzte Rudolf Bessard auf ein Geheimrezept, das unter anderen die Soldaten begeisterte, die in Erlach stationiert waren. Ein exotisches Rezept, das er von einem italienischen Internierten, der zum Freund wurde, erhalten hatte – Curry aus 18 verschiedenen Gewürzen! Armeeköche kauften das in der Drogerie gemörserte Gewürz pfundweise.

 

Eigener Kräutergarten

Im Jahr 1981 übergab Rudolf Bessard das Geschäft seinem Sohn. Nachdem Walter Bessard die Verantwortung für die Drogerie übernommen hatte, stellte er fest, dass die Qualität der Heilkräuter der Grossisten fragwürdig war: Manche Kräuter waren stark mit Pestiziden belastet – statt zu heilen, waren die Kräuter ein Gesundheitsrisiko.

Etwas, das Walter Bessard nicht akzeptieren wollte. Während vier Jahren legte er hinter der Drogerie einen grossen Heilpflanzengarten an. Als Erstes hat er Minze gepflanzt; 300 einheimische und exotische Pflanzen sind hinzugekommen. Raritäten hat der Drogist von botanischen Gärten erhalten; darunter gar eine Zimtpflanze. Für jede Art hat er das passende Biotop geschaffen: e in kleines Hochmoor, Teiche, Trockenstandorte – eine grosse Arbeit.

Inzwischen werden Heilpflanzen besser kontrolliert; den Garten bräuchte es eigentlich nicht mehr. Dennoch will Walter Bessard den Garten, eine Rarität in der Schweiz, weiterhin pflegen. Um ihn zu bewahren, überlegt er, dieses Lebenswerk in eine Stiftung zu überführen.

 

«Ein Rieseneinschnitt»

Walter Bessard wollte seinen Kunden mehr bieten, als ein Drogist, mit Überzeugung absolvierte eine Ausbildung zum Homöopathen. Das stellt sich die Frage: Setzt er auf Alternativmedizin? Bessard korrigiert er umgehend: «Nein, nicht Alternativ-, sondern Komplementär-Medizin.»

Immer im Geschäft stand auch Marianne Bessard. Obwohl sie fünf Kinder grossgezogen hat, sei sie nie die klassische Hausfrau gewesen: «Je selbstständiger die Kinder wurden, desto öfter war ich im Geschäft.»

Während ihrer 40 Jahre haben Walter und Marianne Bessard viele Freundschaften mit Kunden geschlossen. Mit Leuten aus Erlach, den umliegenden Dörfern, Schiffbesitzern, Zeltlern. Was wenig erstaunlich ist: Der Drogist war immer zur Stelle, wenn jemand etwas brauchte. Etwa, als einer Hochzeitsgesellschaft am Bielersee um Mitternacht die Kerzen ausgingen.

Wie schwer fällt der Abschied von der Drogerie? «Es wird ein Rieseneinschnitt sein», sagt Marianne Bessard. «Wir sind gottenfroh, haben wie eine Nachfolgerin gefunden», erklärt Walter Bessard. Langweilig wird dem Paar nicht werden. Der Drogist will weiterhin Gesundheitsberatungen anbieten. Zudem freut sich das Drogistenpaar darauf, mehr Zeit für die bald sieben Grosskinder zu haben – und ihre grosse Zitronenplantage in Spanien.

 

Zum Schluss ein Apéro

Rosette Wyss wird ab dem 18. Januar die Erlacher Drogerie weiterführen. Sie hat sieben Jahre lang die Drogerie in Ins geleitet und ebenfalls eine Nachfolgerin gefunden. Die Familie Bessard lädt am 31. Dezember, zwischen 11 und 15 Uhr zu einem Abschiedsapéro mit der Erlacher Band Musique Simili ein.

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