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Kerzers

Sie kämpfen für ein Stück Geschichte

Die alte Fussgängerbrücke am Bahnhof Kerzers hat eigentlich längst ausgedient. Doch Beat Winterberger und Pio Brönnimann vom Verein Passerelle Kerzers setzen sich für deren Erhalt ein. Nun wurde sie für 1,35 Millionen Franken restauriert.

Die Sanierung der Passerelle am Bahnhof Kerzers war für Beat Winterberger (links) und Pio Brönnimann vom Verein Passerelle Kerzers eine Herzensangelegenheit. Peter Samuel Jaggi

Hannah Frei


Der Bahnhof Kerzers hat so seine Eigenheiten: Die eine Hälfte ist im Besitz der SBB, für die andere ist die BLS zuständig. Getrennt werden die beiden Gleisarme durch eine Parkanlage mit fünf über 80 Jahre alten Kastanienbäumen. Und dann wäre da noch das historische Ensemble von Bahnhofgebäude, Güterschuppen, dem alten Stellwerk und der Passerelle, also der Fussgängerbrücke. Die historischen Konstrukte gehören einfach dazu, seit über 100 Jahren – auch wenn sowohl das Stellwerk als auch die Passerelle seit 15 Jahren keine eigentliche Funktion mehr haben und nur noch aus Interesse begehen werden. Es scheint, als hätte lediglich jemand vergessen, die alte Bahnhofinfrastruktur nach der Erneuerung abzureissen. Doch dahinter steckt viel mehr, viel Einsatz, viel Herzblut.


Zwei Vereine, ein Ziel
Dass die Relikte des alten Bahnbetriebes in Kerzers noch stehen, ist unter anderem Beat Winterberger zu verdanken. Er ist Vize-Präsident des Vereins Passerelle Kerzers und Präsident des Vereins Stellwerk Kerzers. Gleich zwei Vereine wurden ins Leben gerufen, um die historisch wertvollen Konstrukte zu erhalten. Denn während das Stellwerk der Gemeinde Kerzers gehört, ist die Passerelle zurzeit im Besitz der SBB.


Für Winterberger waren die letzten Tage wie Weihnachten und Geburtstag zugleich: Die alte Passerelle, die seit März in Rohrbach und Oensingen saniert wurde, ist Stück für Stück wieder zurück an ihren alten Platz am Bahnhof Kerzers gebracht worden. Heute steht sie bereits wieder, nur die Beleuchtung, eine der Treppen, die Geländer und der Feinschliff fehlen noch. Mit Stolz schaut Winterberger auf die Passerelle und sagt: «Für mich ist dies ein Moment, in dem klar wird, dass sich das Kämpfen gelohnt hat.»
Es ist das Ergebnis jahrzehntelanger Überzeugungsarbeit von Beat Winterberger und den anderen Vereinsmitgliedern. Damals reichte Winterberger bei der SBB ein Gesuch ein, um die Passerelle vor dem Abriss zu bewahren. «Von den alten Bahnkonstruktionen verschwand eine nach der anderen. Was nicht mehr gebraucht wurde, liess man abreissen», sagt er. Für ihn, den unheilbaren Nostalgiker, wie er sich nennt, ehemaliger SBB-Mitarbeiter, der sich mit der Bedienung des alten Stellwerks bestens auskennt, war dies unverständlich.


Auch für die Passerelle in Kerzers sah es zu Beginn schlecht aus. Die SBB lehnte Winterbergers Gesuch ab. Doch er gab nicht auf, holte sich Hilfe beim Denkmalschutz. So kam Winterberger mit Carmen Reolon in Kontakt, die damals beim kantonalen Denkmalschutz arbeitete und heute den Verein Passerelle Kerzers präsidiert. Sie begutachtete das Stahlkonstrukt genau und stellte fest, dass es sich hierbei um etwas Schützenswertes, um etwas historisch Bedeutendes handelt, besonders in Kombination mit dem Stellwerk, dem alten Bahnhofgebäude und dem Schopf daneben. Zusammen bilden sie ein in der Schweiz einzigartiges eisenbahnhistorisches Konstrukt. «Sie hat den Wert erkannt und die SBB daran gehindert, die Passerelle abzureissen», sagt Winterberger. Nun ist die Passerelle in Inventaren des Bundes sowie des Kantons Freiburg als Kulturprojekt aufgelistet und gemäss dem Zonennutzungsplan der Gemeinde Kerzers geschützt.


«Fake-Nieten» angebracht
Heute, 20 Jahre später, arbeiten die SBB und der Verein Passerelle Kerzers eng zusammen. So auch bei der nun fast abgeschlossenen Sanierung. Nach dem Sandstrahlen wurde ersichtlich, dass grobe Schäden am Stahlkonstrukt bestehen. Einige Teile wurden ersetzt, die Basis hingegen blieb erhalten, zumindest teilweise. Denn bei dieser Passerelle handelt es sich um eine vollständig genietete Konstruktion. Laut Bruno Melo, Projektleiter Multiprojekte SBB Infrastruktur, kann diese heute nicht mehr hergestellt werden. Um die ursprünglichen Form trotzdem beizubehalten, seien sogenannte «Fake-Nieten» angebracht worden. Also solche, die von vorne wie echte Nieten aussehen, auf der Rückseite jedoch mit einer Mutter versehen sind. Auch bei der Länge der Passerellentreppen musste ein wenig geschummelt werden: Gemäss neuem Gesetz dürfen die Fahrleitungen nicht mehr an Brücken abgespannt werden. Deshalb wurde das Bauwerk um einen Meter erhöht und die Treppen entsprechend verlängert.
Die Sanierung brachte aber auch noch andere Dinge ans Licht: die Herkunft der Passerelle. Erst beim Feinsandstrahlen wurde ersichtlich, dass die Stahlträger aus Differdingen in Luxemburg stammen. Und zwar von einem Stahlwerk, das heute noch existiert und in dem auch die Doppel-T-Träger des neuen World Trade Center in New York angefertigt wurden.


Ein neuer Anstrich der rostigen Konstruktion in Anthrazit durfte natürlich auch nicht fehlen. Dadurch sieht man nun erst auf den zweiten Blick, dass die Passerelle schon um die 110 Jahre auf dem Buckel hat. «Wer sie vor der Restaurierung kannte, würde heute denken, dass sie neu ist», sagt Beat Winterberger. Trotzdem ist er rundum zufrieden. Auch die beiden Nachteinsätze, die er beim Einbau der Passerelle miterlebt hat, mögen seine Freude darüber nicht mindern. «Ich hatte einen richtigen Adrenalinschub.»


Passerelle hob sich
Grundsätzlich sei bei den Arbeiten alles gut verlaufen, von den fünf geplanten Nachteinsätzen konnte sogar einer gestrichen werden, sagt Winterberger. Doch gestern Morgen, als die meisten Teile bereits zusammengesetzt und eingebaut waren, hat sich die Passerelle vom nördlichen Wiederlager abgehoben. Die Aussensttützen waren zehn Zentimeter zu kurz. Nicht, weil die Arbeiter sich bei der Restaurierung nicht an den Plan gehalten hätten, sondern weil es ihre Vorgänger vor 110 Jahren mit den Massen wohl nicht so genau genommen haben. Glücklicherweise wurden die Stützen neu mit modernen Gewindestangen befestigt, wodurch die Wiederlager nachträglich auf die richtige Höhe gebracht werden konnten.


Die Kosten für die Restaurierung belaufen sich auf rund 1,35 Millionen Franken und werden durch eine Leistungsvereinbarung zwischen Bund und der SBB gedeckt. Bald aber wird der Verein Passerelle für den Unterhalt aufkommen müssen. Nach der Totalinstandsetzung der Fussgängerbrücke Ende Jahr wird diese von der SBB an den Verein übergeben. Dafür musste der Verein laut Winterberger nachweisen, dass ihm 200000 Franken auf einem Sperrkonto zur Verfügung stehen. Bund und Kanton trugen jeweils 40000 Franken bei. Dazu kamen Gelder von Privatpersonen und Kulturförderungsorganisationen. Der Restbetrag sei letztlich nochmals vom Kanton ausgeglichen worden, sagt er. Für die Öffentlichkeit zugänglich wird die Passerelle jedoch wohl erst nächsten Frühling.

Stichwörter: Paserelle, Bahnhof, Bahn, Geschichte

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