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Sie verschicken Lego in die ganze Welt

Kindheitserinnerungen, eigene Kreationen und ein Lager mit 140 000 Teilen: Die Lysser Stephan Bosshard und Andreas Stettler haben einen eigenen Lego-Versandhandel aufgebaut.

Gut sortiertes Angebot: Stephan Bosshard (links) und Andreas Stettler in ihrem Lego-Büro 
in Lyss.
 Bild: Christian Pfander

Während andere morgens zur Arbeit fahren, spaziert Stephan Bosshard ins Büro, um Lego-Steine zu sortieren. Von Lyss aus verkauft er die Teile in die ganze Welt. Heute beschäftigt er sich unter anderem mit der Lego-Nummer 33909: quadratische Plättchen, die auf der Oberseite nur zwei statt wie üblich vier Noppen haben. Bosshard ordnet sie nach Farbe und gibt dann jeweils die exakte Anzahl in die Datenbank ein.

Die günstigste Variante ist die braune. Bosshard bietet sie für 20 Rappen pro Stück an. Am teuersten sind der weisse und der gelbe Typ, sie gibts für 40 Rappen. So wächst das Sortiment von Bosshard und seinem Geschäftspartner Andreas Stettler Tag für Tag. Inzwischen umfasst es über 12 000 verschiedene Lego-Steine, -Figuren und -Sets. Insgesamt liegen 140 000 Teile in den kleinen Schubladen.

Bosshard und Stettler bieten diese unter dem Namen Brixboss feil, in einem Onlineshop auf der Internetplattform Bricklink. Dort können Lego-Fans alle jemals produzierten Teile und Sets finden und die Preise aller Verkäufer weltweit vergleichen. Sie suchen auf Bricklink nach Ersatz für verlorene Teile, nach vergriffenen Lego-Sets oder nach seltenen Figuren für die eigene Sammlung. Andere bestellen gleich 300 identische, sandfarbene Steine, um eine «Star Wars»-Filmszene auf dem Wüstenplaneten Tatooine nachzubauen.

 

Ein nie da gewesener Boom

Was nach einer absoluten Nische tönt, erlebt derzeit einen ungesehenen Boom: Lego hat den Umsatz in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Im ersten Corona-jahr 2020 hat das Unternehmen Produkte für über 6 Milliarden Franken verkauft, 2021 war es gemäss ersten Meldungen nochmals mehr.

Noch Anfang der 00er-Jahre war Lego nahezu pleite. Doch dann begann die Renaissance der Lego-Steine. Unter anderem auch dank der Idee, bekannte Filmcharaktere als Lego-Figuren herzustellen. Mit der Kombination von Lego und «Star Wars», Harry Potter oder Marvel hat der Spielzeughersteller die Herzen vieler Kinder und Erwachsener (zurück)erobert.

Seit einigen Jahren verkauft Lego zudem eine Reihe von Sets in eleganten schwarzen Schachteln mit dem Hinweis «18+». Nicht, dass diese nicht jugendfrei oder für Zehnjährige zu schwierig zu bauen wären. Aber mit dem Marketingkniff will Lego Erwachsenen sagen, dass sie sich nicht schämen müssen, Lego für sich selbst zu kaufen.

 

Kann von Lego nicht leben

«Ich bin Hausmann und verkaufe daneben Lego-Steine», sagt der 55-jährige Stephan Bosshard ganz ohne Hemmungen. Seine Frau arbeitet vier Tage pro Woche, der frühere Architekt schaut zur elfjährigen Tochter – und eben zu seinem Lego-Schatz. Seit die Legos im Büro in Lyss untergebracht seien und nicht mehr zu Hause Platz wegnähmen, habe auch seine Frau kein Problem mit seinem Hobby.

Hobby? «Vom Handel mit Lego-Steinen kann ich nicht leben. Aber es zahlt die Miete», sagt Bosshard. Wenn er aus den Tausenden von Schublädchen einzelne Teile zusammensucht und für vielleicht 20 oder 30 Franken nach Australien verschickt, dann ist das mehr Freude als Arbeit. Fast 2000 Bestellungen hat er bereits erhalten. Allein in der Schweiz zählt die Lego-Plattform Bricklink 115 Shops, wobei Bosshard und Stettler zu den zehn grössten Anbietern gehören.

Andreas Stettler arbeitet 80 Prozent als Informatiker. Seinen Arbeitsplatz hat er gleich in den Räumlichkeiten in Lyss eingerichtet, so kann er Bosshard zur Hand gehen, wenn gerade viele Bestellungen eingehen. Derzeit baut der 48-Jährige an einer Robocop-Figur. Das ist kein offizielles Lego-Set. Die Anleitung hat er von einem anderen Lego-Fan im Internet gekauft, die Teile sucht er im eigenen Lager zusammen – und kauft nötigenfalls noch bei anderen Bricklink-Shops ein.

Bosshard hingegen hat anderes zu tun, als Modelle zu bauen. In einer Ecke stapeln sich Kartons: Über 100 000 Lego-Steine aus Stettlers Sammlung warten darauf, katalogisiert und ins Sortiment aufgenommen zu werden. «Aus den Steinen, die zu zerkratzt sind, wollen wir einen echten Tisch bauen», sagt Bosshard.

Obwohl das Lager voll ist, kauft sich Bosshard ab und zu ein neues Lego-Set, das ihm gefällt. Nach einer Lego-freien Phase in seiner Jugend erwachte sein Interesse wieder, als sein erstes Kind ins Lego-Alter kam. «Damals kamen die schönen Erinnerungen an meine eigenen Sets auf.» Dieses Nostalgiegefühl spielt offenbar bei vielen Lego-Käufern eine Rolle: Die meisten seiner Kundinnen und Kunden seien über 50 Jahre alt, sagt Bosshard.

 

Die Hassliebe zum Hersteller

Wie viele andere Lego-Fans haben Bosshard und Stettler zum Hersteller selbst eine Hassliebe. Denn die Firma Lego versteht es, die Begeisterung für ihre Produkte in Gewinn umzumünzen. «Sie schrauben die Preise hoch und bringen wahnsinnig viele Sets raus», beklagt Bosshard.

Und Stettler findet, dass die Modelle schlechter geworden sind. Er kauft deshalb viel gebrauchte Lego – und wäscht sie in einem Netz bei 40 Grad in der Geschirrspülmaschine, um sie wieder glänzen zu lassen.

Obwohl es inzwischen diverse andere Hersteller von identischen Steinen gibt, blieben die beiden Lego treu. «Sobald ich ­beginnen würde, die Steine von Lego und anderen Anbietern zu mischen, hätte ich ein Problem», sagt Bosshard. Denn die meisten Sammler wollen nur Steine mit dem kleinen Lego-Logo auf jeder Noppe.

Die Markentreue hat auch ­einen finanziellen Hintergrund: Nicht wenige Lego-Sets steigen im Preis, sobald sie nicht mehr hergestellt werden – vor allem, wenn sie Figuren oder Teile enthalten, die in anderen Modellen nicht vorkommen. Für gut erhaltene Ritterburgen und Piratenschiffe aus den 80er- und 90er-Jahren mit Anleitung und Originalkarton werden heute teilweise mehrere Hundert Franken bezahlt, für ungeöffnete Kartons gar vierstellige Beträge. Auch Bosshard und Stettler haben einen «Tresor»: Drei Schränke mit ungeöffneten Lego-Kartons. Sie spekulieren darauf, diese in einigen Jahren deutlich über dem heutigen Marktwert verkaufen zu können.

Doch das Hauptgeschäft bleiben die akkurat sortierten Einzelteile. Und nein, Profis lagern ihre Steine nicht nach Farbe geordnet, sondern primär nach Form. Die Teile der Nummer 33909 kommen nach der Zählung also alle ins gleiche Schublädchen.

 

Zehn Fakten über die kleinen Steine

Das dänische Unternehmen Lego wurde 1932 gegründet und stellte zuerst Holzspielzeug her. 1958 wurde der Lego-Stein erfunden. Der Konzern befindet sich bis heute in Familienbesitz und ist der wertvollste Spielzeughersteller der Welt.

Die Lego-Steine werden in Dänemark, Ungarn, Tschechien, Mexiko und China hergestellt. Bis in die Nullerjahre betrieb Lego Fabriken in Baar ZG, Willisau LU und Steinhausen ZG.

Die Patente auf den klassischen Lego-Steinen sind abgelaufen. So dürfen – deutlich günstigere – Konkurrenten wie Bluebrixx oder Cobi heute ganz legal Klemmbausteinsets aus den exakt gleichen Steinen verkaufen. Die Lego-typischen Minifiguren sind hingegen weiterhin geschützt.

Die grössten Lego-Sets sind die Weltkarte mit 11 695 Teilen, die Titanic mit 9090 und das Kolosseum mit 9036 Teilen. Auf Platz vier folgt der Star Wars Millennium Falcon mit 7541 Teilen, der gleichzeitig den höchsten je angesetzten Neupreis hat: 849 Franken.

Der in den meisten Lego-Sets vorkommende Stein ist die Platte mit zwei Noppen. Gemäss Brick­link ist sie in 6462 Modellen enthalten und wurde bisher in 63 verschiedenen Farben produziert.

In der Lego-Szene sind die Abkürzungen AFOL und MOC geläufig. Sie stehen für «adult fan of Lego», also erwachsener Lego-Fan, und «my own creation», also für selbst entworfene Modelle.

Die Plattform Bricklink wurde von einem Sammler gegründet, damit Lego-Fans ihrer Steine inventarisieren und mit diesen handeln können. Vor zwei Jahre kaufte Lego die Plattform.

Auf Bricklink kann der aktuelle Marktpreis jedes Lego-Steins und -Sets eingesehen werden. Lego nur zu Investitionszwecken zu kaufen, ist riskant: Sowohl das künftige Angebot von Lego wie auch die Entwicklung der Nachfrage ist kaum vorhersehbar.

Bis heute gibt es weltweit zehn Lego-Länder, fünf weitere Lego-Freizeitparks sind in Planung. Zur Schweiz am nächsten gelegen ist jenes im bayrischen Günzburg. In Binningen bei Basel steht das private Lego-Museum Lebrickgo. Die Swiss Lego Users Group veranstaltet zudem jährliche Ausstellungen.

Inzwischen sind Besprechungen von Lego-Sets zu einem eigenen Genre auf Youtube geworden. Im deutschsprachigen Raum besonders bekannt ist der Held der Steine, ein Frankfurter Klemmbaustein-Händler, der wortreich neue Lego-Sets für ihre Lieblosigkeit und ihren Preis kritisiert. sul

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