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Wasser

Steigt der Wasserverbrauch, ist die Qualität zweitrangig

Der regenarme April treibt den Wasserverbrauch in die Höhe. Deshalb hat die Seeländische Wasserversorgung das Grundwasserwerk Worben wieder geöffnet– trotz zu hohen Chlorothalonil-Werten.

SWG-Geschäftsführer Roman Wiget hätte die Worbener Fassung erst nach der Installation der Filtrieranlage öffnen wollen. Mattia Coda
Hannah Frei
 
Der April ist trocken. «Aussergewöhnlich trocken», sagt Daniel Weber, Landwirt und Präsident der Landwirtschaftlichen Organisation Seeland. Besonders im Obst- und Gemüseanbau habe man deshalb in den vergangenen Wochen viel bewässern müssen. Grundsätzlich sei es normal, dass besonders pflegeintensive Kulturen wie Erdbeeren oder Salate zusätzliches Wasser brauchen – aber nicht schon im April, sondern in den heissen Sommermonaten. Weber, der in Gerolfingen Obstanbau betreibt, musste in den vergangenen Tagen auch selbst «notfallmässig» wässern. Das Wasser dafür bezieht er direkt aus dem Bielersee. Weiter westlich Richtung Hagneckkanal würden Bauernbetriebe jedoch vermehrt Wasser aus den Kanälen oder Grundwasser nehmen.
 
Um die Versorgung zu gewährleisten, hat die Seeländische Wasserversorgung (SWG) vor einer Woche das Grundwasserwerk Worben wieder geöffnet. Dies, obwohl sie es im Herbst wegen der zu hohen Chlorothalonil-Belastung schliessen musste. SWG-Geschäftsführer Roman Wiget vermutet, dass dadurch das abgegebene Trinkwasser geringfügig mehr Abbauprodukte des Fungizids Chlorothalonil enthält. Die Messungen stehen jedoch noch aus. Und die Sache ist kompliziert.
 
Hochsommerliche Werte
Seit zirka zehn Tagen hat der Wasserkonsum im Seeland aufgrund der Trockenheit hochsommerliche Dimensionen angenommen. Und zwar sowohl in der Landwirtschaft als auch in den privaten Gärten. Dies habe zu Verbrauchsspitzen geführt, die bis zu 50 Prozent höher waren als normalerweise im April, so Wiget. Die SWG musste rasch handeln und kam zum Schluss: «Zurzeit gilt beim Wasser: Menge vor Qualität.»
 
Bis vor einer Woche waren lediglich drei Grundwasserfassungen in Gimmiz in Betrieb – auch solche, die den gesetzlichen Höchstwert für den Chlorothalonil-Metaboliten überschreiten. Drei andere Fassungen, zwei davon in Gimmiz, sind seit Herbst zu. Die Öffnung des Werks in Worben sei aufgrund der grossen Nachfrage erforderlich geworden, so Wiget. Denn die Öffnung einer weiteren Fassung in Gimmiz hätte die Lieferkapazität insgesamt nicht erhöht.
 
Wiget jedoch hätte sich gewünscht, dass der Wasserbedarf bis zur Erstellung der geplanten Filteranlage mit dem Werk in Gimmiz gedeckt werden kann. Das habe man auch im Herbst gehofft, als man die restlichen Grundwasserwerke mit zu hoher Belastung vom Netz genommen hat. Man setzte alles auf die am wenigsten belasteten Fassungen in Gimmiz. Doch die Zeit und das Wetter machten der SWG einen Strich durch die Rechnung: Die Metabolit-Werte in den Grundwasserfassungen haben sich verschlechtert. Wiget erklärt: Da der Wasserstand der Aare im Hagneckkanal seit Anfang Jahr aussergewöhnlich tief gewesen ist, wurde nur sehr wenig neues Grundwasser gebildet.
 
Welche Auswirkungen der trockene April auf die weitere Entwicklung der Wasserqualität haben wird, kann Wiget noch nicht sagen. Zum einen wird der Boden nicht ausgewaschen, weil der Regen fehlt. Es gelangen also weniger Schadstoffe ins Grundwasser. Zum anderen wird durch den fehlenden Regen jedoch das Grundwasser weniger verdünnt.
 
Welcher der beiden gegenläufigen Prozesse überwiegt und ob die Chlorothalonil-Rückstände kurzfristig steigen oder sinken werden, ist ungewiss, so Wiget. Fest steht aber: «Solange es so trocken ist, bleiben die Pestizidrückstände im Boden gespeichert und ihre Auswaschung ins Grundwasser wird verzögert.»
 
Schlechtere Werte in Gimmiz
Die Metabolit-Werte haben sich an den verschiedenen Standorten seit der Schliessung unterschiedlich entwickelt. Im Gimmiz hat er sich verschlechtert. Dies hängt laut Wiget damit zusammen, dass die Pumpenleistung stark erhöht und dadurch mehr Wasser aus landwirtschaftlichem Gebiet angezogen wurde. Dazu kommt die fehlende Grundwasserneubildung wegen der Trockenheit. Erfreulich seien hingegen die Messwerte aus dem Grundwasserwerk Worben. Seit der Schliessung ist der Metabolit-Wert gesunken. Über dessen Ursache kann Wiget nur spekulieren.
 
Die Resultate seien jedoch mit Vorsicht zu geniessen, da die Werte je nach Labor etwas anders ausfallen würden. Schliessslich liegt die Konzentration der Chlorothalonil-Metaboliten im Nanobereich und ist damit sehr gering, was dementsprechend schwierig zu messen ist.
 
Keine akute Gefährdung
Zum Hintergrund: Das Bundesamt für Landwirtschaft hat Pflanzenschutzmittel mit Chlorothalonil per 1. Januar dieses Jahres verboten. Grund dafür ist, dass das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen den Stoff als «wahrscheinlich krebserregend» einstuft. Doch die Kantonale Wirtschafts-, Energie- und Umweltdirektion hält fest, dass das Berner Trinkwasser trotz der Überschreitung des Höchstwerts «für den Konsumenten keine akute Gesundheitsgefährdung» mit sich bringt.
 
Nun liegt es an den Wasserversorgern, die Wasserqualität zu gewährleisten und bei überschrittenen Höchstwerten Vorkehrungen zu treffen. So auch in Worben. Eigentlich hätte die Grundwasserfassung erst wieder in Betrieb genommen werden sollen, nachdem die geplante Filtrieranlage mittels Umkehrosmose bewilligt und installiert worden wäre. Am 26. Mai hätten die Abgeordneten an einer Versammlung über den dafür notwendigen Kredit von 1.7 Millionen Franken bestimmen sollen. Diese wurde jedoch wegen der Coronakrise auf unbestimmte Zeit verschoben. Wiget geht jedoch davon aus, dass man die Abstimmung etwa einen Monat später nachholen wird.
 
Hoffnung: Bargen
Neben der Filteranlage bleibt jedoch noch eine weitere Hoffnung, das Chlorothalonil-Problem im Seeland zu entschärfen: Ein neues Grundwasserreservat, in dem das Wasser weniger belastet ist und ein neuer Brunnen gebaut werden könnte. Auf ein solches hofft die SWG nun in Bargen bei der Schärpeterschanze zu stossen. Dort fanden bereits Test-Bohrungen statt. Zur Überprüfung der Qualität wurden schon Wasserproben entnommen. Von der Menge her sehe es gut aus, so Wiget. Die Qualität hingegen weniger. Ein Testresultat liegt bereits vor: Das Grundwasser sei etwa gleich stark belastet wie bei der saubersten Fassung in Gimmiz. Mit etwa 0,2 Mikrogramm pro Liter ist der Höchstwert von 0,1 ebenfalls überschritten. Nun wartet Wiget auf das zweite Resultat. Es sollte in den nächsten Tagen bekannt werden. «Aber die Hoffnung ist nicht allzu gross», sagt er. Man geht davon aus, dass das Grundwasser überall im Seeland belastet ist. Wird es in Bargen nichts, gebe es kaum noch Hoffnung auf weitere Grundwasserreserven im Seeland. «Wir haben das ganze Seeland abgeklappert», sagt Wiget.
 
Bei den Landwirten sorgte die Trockenheit hingegen bisher kaum für Aufruhr: Daniel Weber betont, dass die meisten Bauernbetriebe im Seeland gut mit der frühen Trockenheit umgehen können, besonders diejenigen, die ohnehin mit Bewässerungsanlagen ausgestattet sind. «Es ist nicht existenzbedrohend», sagt er. Zudem seien trockene Jahre immer besser als nasse, da man das Wasser leichter hinzufügen als abpumpen könne. Und die Trockenheit habe einen positiven Nebeneffekt: Es müsse weniger Fungizid eingesetzt werden, da ohnehin kaum Pilze gedeihen.

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