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Tierwelt

Taktieren, tarnen, täuschen

Die Raupen des Dunklen Moorbläulings verwenden eine pfiffige List, um zu überleben. Doch das Insekt ist bedroht. Jetzt sucht der Kanton im Seeland Freiwillige für eine Erfolgskontrolle.

Schmetterlingsspezialist Christoph Forrer auf einer Feuchtwiese beim Von-Rütte-Gut in Sutz-Lattringen. Bild: Yann Staffelbach
  • Dossier

Sarah Zurbuchen

Diese Geschichte handelt von Strategie, Wagemut, Täuschung, Tarnung und Schmarotzertum. Protagonist ist der Dunkle Moorbläuling. Der Bestand des Schmetterlings ist in den letzten Jahrzehnten so stark zurückgegangen, dass er als bedroht gilt, wie der Bieler Schmetterlingsspezialist Christoph Forrer sagt. Im Seeland soll ein Förderprojekt dafür sorgen, dass der Tagfalter sich hier wieder heimisch fühlt. Doch die Ansprüche des Dunklen Moorbläulings sind komplex. Das versteht man erst, wenn man einen Blick auf seine ausgeklügelte Fortpflanzungstaktik wirft.

Die Methode der Brutpflege des Dunklen Moorbläulings ist an Raffinesse kaum zu überbieten. Der Falter legt seine Eier im Juli und August ausschliesslich in die Blüten einer Pflanzenart, dem Grossen Wiesenknopf. Die rote, ovale Blüte ist Futterpflanze und gleichzeitig Versteck für den Nachwuchs. Der Moorbläuling schläft, balzt und paart sich darauf. Nach acht Tagen schlüpfen die gelblich-weissen Raupen und fressen sich durch den Wiesenknopf. Zwei bis drei Wochen später sind sie rot wie die Pflanzenblüte und gut getarnt.

Jetzt ist es an der Zeit für den nächsten Schachzug: Die Raupe kriecht aus ihrem Versteck und lässt sich wagemutig zu Boden fallen. Hier versteckt sie sich wieder und wartet. Sie scheidet dabei einen Lockduft aus. Auf diesen Duft reagiert die Rotgelbe Knotenameise, denn die Ausdünstung lässt sie meinen, es handle sich um ihre eigene Brut. «Die Raupen imitieren die Ameisenlarven», sagt Christoph Forrer. Da der vermeintliche Nachwuchs gerettet werden muss, bringt die Ameise die Raupe nun in das unterirdische Nest.

Lebensgefährlich

Das ganze Unternehmen ist für die Raupe nicht ohne Risiko, wie Forrer sagt: «Trifft eine Ameise einer anderen Art auf sie, wird sie gehäutet.» Doch das Risiko scheint sich zu lohnen. Im Bau der Ameisen hat sie ausgesorgt, denn dort findet sie einen gedeckten Tisch. Sie frisst bis zu 600 Ameisenlarven, gut geschützt im warmen und trockenen Bau, gepflegt und bewacht von den getäuschten Adoptiveltern.

Im Gegenzug schmiert die Raupe den Ameisen wortwörtlich Honig um den Mund, indem sie ihnen ein zuckerhaltiges Sekret hinterlässt. Im Frühsommer verpuppt sich die inzwischen dicke und grosse Raupe, der Schmetterling schlüpft. Jetzt heisst es, rasch das Weite suchen, denn inzwischen ist der Betrug aufgeflogen und die Ameisen betrachten das Insekt als Beute. Zügig braucht es nun auch Paarung und Eiablage, denn nach sieben bis zehn Tagen geht das Schmetterlingsleben bereits zu Ende.

Der Lebenszyklus des Dunklen Moorbläulings hat ihm auch den Namen «Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling» eingebracht.

Drei Orte im Seeland

Laut Christoph Forrer gab es bis vor ein paar Jahren nur noch kleine Restpopulationen des Dunklen Moorbläulings. Seine Verwandten, die Grossen Moorbläulinge, gelten gar als ausgestorben. Im Seeland gab es gerade noch drei Orte, an denen die Schmetterlinge vorkamen: am Hagneckkanal, in Ziegelried bei Schüpfen sowie auf der St. Petersinsel. Grund für diesen starken Rückgang sind einerseits die immer seltener vorkommenden Riedflächen und Feuchtwiesen, auf denen der Grosse Wiesenknopf wächst. Vor 150 Jahren – bevor die Landschaft vielerorts drainiert und entwässert wurde – waren Feuchtgebiete noch weit verbreitet.

Ein anderer wichtiger Grund: Diese Flächen wurden vor der Mechanisierung der Landwirtschaft von Hand, also gestaffelt, gemäht. So gab es immer genügend Rückzugsflächen für Ameisen und Schmetterlinge, um deren Zusammenleben und die Entwicklung der Raupen nicht zu beeinträchtigen. «Mit den modernen Maschinen wird heute an einem Tag hektarweise Land gemäht», so Forrer. Geschehe dies in der Zeitspanne zwischen Mitte Juni und Ende August, werde einer ganzen Generation von Dunklen Moorbläulingen die Lebensgrundlage entzogen und die Wiesenköpfe könnten nicht absamen.

Verträge mit Bauern

Seit einigen Jahren gibt es im Kanton Bern Bemühungen, den Moorbläuling wieder in unserer Landschaft anzusiedeln. Im Auftrag des Kantons hat Christoph Forrer deshalb geeignete Flächen in Täuffelen, Mörigen, Lüscherz, Hagneck, Grossaffoltern, Wengimoos, Merzligen und Sutz ausgesucht. Es sind Orte, die sich als Lebensraum für die drei Akteure Tagfalter, Ameise und Pflanze eignen. Mit den betreffenden Landwirten oder Pächterinnen wurde vertraglich vereinbart, dass zehn Prozent der Wiesen stehengelassen werden und die restlichen Flächen zwischen Juni und Ende August nicht gemäht werden. Ausserdem wird diesen Herbst mit gezielten Pflanzungen versucht, die Bestände des Grossen Wiesenknopfs zu vergrössern. «Die Bauern haben positiv auf unsere Anliegen reagiert», sagt Forrer. Rund 80 Prozent würden sich an den Massnahmen beteiligen. Im Gegenzug erhalten sie eine Entschädigung.

Schmetterlinge suchen

Die Abteilung Naturförderung des Kantons Bern möchte nun eine Erfolgskontrolle mit freiwilligen Personen auf den Seeländer Vertragsflächen durchführen (siehe Infobox). «Es gibt naturverbundene Menschen, die so etwas gerne machen», ist Forrer überzeugt. Nach einer Einführung haben die Freiwilligen die Aufgabe, im Juli 2022 drei Mal bei der ihnen zugeteilten Fläche vorbeizugehen und nach dem Schmetterling Ausschau zu halten. «So erhalten wir Informationen dazu, ob und wie eine Ausbreitung stattfindet, und wo es allenfalls noch stockt.»

Das raffinierte Zusammenspiel zwischen Pflanze, Raupe und Ameise dürfte also noch nicht so bald zu Ende sein.

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