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Persönliches aus dem Bundeshaus

Unseren Lohnschutz rührt keiner an!

Die Schweiz liegt mitten in Europa – und in der EU. Klar, brauchen wir darum exzellente Beziehungen zur EU.

Corrado Pardini, Nationalrat SP
  • Dossier

Und eine starke Europapolitik. Dazu gehört: Personen sollen sich frei bewegen können. Das ist eine grosse Errungenschaft für die Menschen und für die Schweiz. Ohne Personenfreizügigkeit, das müssen die Briten gerade lernen, ist auch alles andere nicht zu haben, auf dem unser Wohlstand baut.

Nur gibt es ein Problem: Schweizer Löhne sind die höchsten in Europa. Das ist gut für uns. Darum haben wir die Flankierenden Massnahmen (FlaM) erkämpft. Sie verhindern, dass profitgierige Unternehmer ausländische Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz zu Dumpinglöhnen arbeiten lassen. Dass sie uns also gegeneinander ausspielen. Wir kontrollieren das. In jeder fünften Kontrolle stossen wir auf Missbräuche und greifen ein. Darum sind die FlaM ein Erfolgsmodell. Lohndumping wird meist verhindert. Und dank der FlaM gibt es bessere Gesamtarbeitsverträge, mehr Normalarbeitsverträge und Mindestlöhne.

Das genau aber stört einige Konzerne, neoliberale Ideologen von SVP, FDP, GLP und die Banken und ihre Freunde in Brüssel. Sie möchten unseren Lohnschutz und die Kontrollen schon lange kippen. Wir haben das verhindert. Doch nun glauben die Lohnschutzfeinde, einen Trick gefunden zu haben. Sie wollen den Lohnschutz auf dem Umweg über den Rahmenvertrag mit der EU aushebeln.

Ein Rahmenvertrag ist nützlich, weil wir dann unsere Beziehungen leichter den Entwicklungen anpassen können. Manche Dinge aber gehören nicht in den Rahmenvertrag, weil sie allein uns in der Schweiz etwas angehen. Zum Beispiel die FlaM. Das hat nichts mit gewerkschaftlicher Sturheit oder mit Privilegien zu tun. Es ist ganz einfach: Wir haben nicht nur die höchsten Löhne, sondern auch die höchsten Preise, Mieten und Krankenkassenprämien. Fällt der Lohnschutz, entsteht ein riesiger Druck auf die Löhne. Wer bezahlt dann die Mieten? Den Arzt? Ohne Lohnschutz gibt es keinen Wohlstand und keinen sozialen Frieden. Das ist elementare Innenpolitik.

Also hatte der Bundesrat eine rote Linie gezogen: Über die FlaM diskutieren wir nicht. Weil er weiss, dass der Rahmenvertrag sonst vor dem Volk durchfällt. Das wäre wirklich schlimm für unsere Beziehungen. Warum sollten wir dieses Risiko eingehen?

Doch dann signalisierte FDP-Aussenminster Ignazio Cassis der EU, die FlaM stünden doch zur Disposition. Zweimal liess sich die EU nicht bitten. Jetzt sollen wir einen Vertrag akzeptieren, der verlangt, dass wir uns an die EU-Entsenderichtlinien anpassen. Dabei geht es keineswegs nur um «Details» (etwa die 8-Tage-Regel), wie Economiesuisse und ihr Sprachrohr Libero uns einreden wollen. Würden wir zustimmen, hätte künftig der Europäische Gerichtshof das letzte Wort, wenn es Streit um Lohn- oder Sozialdumping in der Schweiz gibt. No deal. Unser Modell geht anders: Bei uns werden die Löhne und Arbeitsbedingungen sozialpartnerschaftlich ausgehandelt.

Wer diesen schlechten Rahmenvertrag durchstiert, macht das Volk zu Feinden guter Beziehungen mit der EU. Der Bundesrat hat nicht unterschrieben. Vernünftig. Jetzt braucht es einen kühlen Kopf und tragfähige Mehrheiten für gute Lösungen. Jetzt braucht es verstärkte FlaM, zum Beispiel ein Verbot von Subunternehmerketten, wie es unsere Initiative im Kanton Bern vorsieht.

Wir wollen einen Rahmenvertrag. Wir wollen die Personenfreizügigkeit. Wir akzeptieren ein Schiedsgericht. Aber über unsere Löhne entscheiden wir allein. Früher oder später wird die EU das verstehen. Auch in der EU wogt der Streit zwischen neoliberalen Interessenvertretern und Vernünftigen. Die FlaM, das sagen unsere europäischen Gewerkschaftskollegen, könnten sogar ein Modell für Europa sein.

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