Sie sind hier

Abo

Aegerten

Unterwegs mit dem mobilen Impfteam

Seit gestern wird im Seeland gegen Corona geimpft. In den Altersheimen erledigt dies ein mobiles Impfteam, das jeweils vor Ort eine temporäre Praxis einrichtet. Den Anfang machte das Alters- und Pflegheim Villa Verena in Aegerten.

Assistenzarzt Samuel Bürki setzt nicht nur die Spritze an, sondern leistet auch viel Aufklärungsarbeit. Hannah Frei
Hannah Frei
 
«Kann ich daran nicht sterben?» fragt Rosmarie Rohrer den Assistenzarzt Samuel Bürki, der in einem blauen Schutzanzug und mit Schutzbrille und Maske vor ihr steht. «In der Medizin kann man keine Versprechungen machen. Aber ich impfe Sie mit ganz gutem Gewissen. Und wenn ich mich selbst schon impfen lassen könnte, würde ich das tun», sagt Bürki. Rohrers Skepsis legt sich. Sie habe die Impfung zuerst nicht machen wollen, aber da sich nun praktisch alle im Heim impfen lassen, würde sie auch mitziehen.
 
«Nehmen Sie Aspirin? Xarelto? Oder haben Sie Allergien?», fragt Bürki. Rohrer verneint. «Sind Sie einverstanden damit, dass wir Sie nun impfen?» «Jaja, machen wir das jetzt», erwidert Rohrer. Sie krempelt den Ärmel ihres Pullovers nach oben, Bürki holt die Spritze. Sie ist bereits «geladen». Nebenan nimmt die Medizinstudentin Svenja Schürpf Rohrers Code auf, den sie nach der Registrierung für die Impfung erhalten hat. «Vielleicht kann ich ja dank der Impfung noch ein bisschen länger leben», sagt Rohrer. Sie scheint also doch überzeugt. Bürki desinfiziert, sticht ein, drückt die kleine Menge Impfstoff aus dem Spritzenzylinder, zieht die Spritze wieder raus und drückt ein Pflaster auf die Stelle. «Vergessen Sie nicht, dass Sie sich weiterhin an die Hygienemassnahmen halten müssen», sagt Bürki. Das weiss Rohrer. Sie habe ohnehin immer saubere Hände. «Merci Herr Doktor», sagt Rohrer und geht. 15 Minuten muss sie zur Beobachtung noch im Aufenthaltsraum bleiben. Danach ist das Ganze bereits vorbei – zumindest fürs Erste. Denn in drei bis vier Wochen folgt die zweite Impfung.
 
Rohrer lebt in der Wohngemeinschaft für Senioren Villa Verena in Aegerten. Es ist die erste Institution im Seeland, in der Coronaimpfungen durchgeführt wurden. Zehn der elf Bewohnerinnen und Bewohner wurden gestern mit dem Impfstoff von Pfizer und Biontech gegen das Coronavirus geimpft. Bei der elften Person handle es sich um eine 97-jährige Frau, sagt Heimleiterin Amanda Staudenmann. Sie könne gut nachvollziehen, dass man in diesem Alter keine Impfung mehr möchte. Auch die Angestellten konnten sich gestern impfen lassen, von den 19 haben sich zehn dafür entschieden, erklärt Staudenmann. Diskussionen habe es aber sowohl bei den Bewohnerinnen als auch bei den Pflegern gegeben.
 
Skepsis und Hoffnung
In den letzten Wochen habe man im Heim viel über die Impfung diskutiert, sagt Staudenmann. Man habe Medienberichte gelesen, Nachrichten geschaut und sich darüber ausgetauscht. «Wir wollten, dass die Bewohnerinnen und Bewohner so gut wie möglich informiert sind.» Für die einen sei von Anfang an klar gewesen, dass sie sich impfen lassen. Bei den anderen habe sich Skepsis geregt. Bei einer Bewohnerin, die an Parkinson leidet, habe man noch Rücksprache mit der zuständigen Neurologin gehalten. Als auch sie die Impfung empfohlen habe, sei die Skepsis der Frau verschwunden. Einige hätten befürchtet, dass sich der Impfstoff nicht mit Medikamenten vertragen würde, die sie einnehmen. Aber in diesen Fällen wurde die Hausärztin hinzugezogen, die schliesslich Entwarnung geben konnte.
 
Um auf jeden Fall genügend Impfstoff für alle Impfwilligen im Heim zu haben, habe man die Anzahl Impfdosen für die erste Phase auf 25 aufgerundet, sagt Staudenmann. Daher wurden nebst dem Personal und den Bewohnenden auch fünf Externe geimpft, unter ihnen die Heimärztin Jacqueline Revaz Frey.
 
Während des Impfprozederes ist Amanda Staudenmann voller Adrenalin. Und doch spürt man bei ihr eine grosse Erleichterung. «Für uns ist die Impfung wie ein Sechser im Lotto», sagt sie. Sie gebe wieder neue Hoffnung auf Besserung. Denn für die Bewohnerinnen und Bewohner sei es nicht leicht, keine Ausflüge mehr machen zu können und in vielen Bereichen eingeschränkt zu sein. Es sei zwar klar, dass sich dies auch nach der zweiten Impfung in etwa 28 Tagen nicht sofort ändern werde. Die Hygienemassnahmen müssen schliesslich weiterhin gelten, besonders auch, weil sich ja nicht alle im Haus impfen lassen. «Trotzdem können wir für diejenigen, die geimpft werden, dann endlich ein wenig ausatmen», sagt Staudenmann.
 
Seit Beginn der Pandemie sei kein Tag vergangen, an dem sie sich nicht mit der Sorge auseinandersetzte, dass einer der Bewohner oder Angestellten erkranken könnte. Zudem frage sie sich seither jeden Morgen, ob vielleicht wieder jemand der Angestellten in Quarantäne muss und ob Ersatz benötig wird. «Seit Februar leben wir hier alle in grosser Unsicherheit», sagt die Heimleiterin. Durch die Impfung werde dieser Druck nun ein wenig gelockert, in einem ersten Schritt zumindest als Zeichen der Hoffnung.
 
Alba bestimmt Abfolge
Weshalb die Villa Verena als erste Institution ausgewählt wurde, weiss Staudenmann nicht. Womöglich liege es an der Grösse des Heims. Diese ermögliche es, sich genügend Zeit zu nehmen und von den Erfahrungen später in den grösseren Heimen profitieren zu können. Wann in welcher Institution geimpft wird, entscheide das Alters- und Behindertenamts des Kantons, sagt Michael Stettler, Direktor des ambulanten Gesundheitszentrums Medin in Biel. Er verantwortet das Impfzentrum in Biel, in dem auch die mobilen Impfteams koordiniert werden.
 
Im Einsatz war gestern ein Dreierteam bestehend aus Assistenzarzt Samuel Bürki, Medizinstudentin Svenja Schürpf und einem Vertreter des Kantons, der für die Datenübermittlung und -koordination zuständig ist. «Der erste Impftag ist gut angelaufen», sagt Stettler. Organisatorisch sei jedoch besonders die mobile Impfstation eine Herausforderung. Die kleine, mobile Arztpraxis muss jeweils aufgebaut und die Computer mit dem Equipment vor Ort verbunden werden. Es gebe viele offene Fragen, die erst bei der Anwendung geklärt werden konnten, beispielsweise bei der Übermittlung der Daten und relevanten Vorerkrankungen der Bewohner.
 
Nach dem ersten Tag werde es eine ausführliche Bilanz geben, um allenfalls die Abläufe noch anzupassen. «Wir müssen wohl noch einiges lernen», sagt Stettler. Er lobt jedoch die Arbeit des Teams, das gestern zum ersten Mal zusammengearbeitet hat.
 
Heute geht das Team in ein etwas grösseres Heim. Stettler hat keine Bedenken, dass das Impfteam die Anzahl Impfungen bewältigen wird. «Wir sind froh, können wir diese Woche Erfahrungen sammeln, sodass wir dann für die grösseren Heime vorbereitet sind», so der Direktor. Ob dort dann mehreren Teams eingesetzt werden oder ob man das Team aufstocken und die Abläufe optimieren werde, sei noch unklar.
 
Auch der Impfstart im Medin am Bieler Bahnhof sei gut verlaufen, sagt Stettler. Es habe alles reibungslos funktioniert – abgesehen vom Fiebermesser. Der musste kurzerhand ausgetausch werden. «Aber ich finde, wenn dass unser grösstes Problem ist, läuft alles gut.»

Nachrichten zu Seeland »