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Ausgewandert

Viel Platz oder nahe beisammen?

In unserer neuen Kolumne schreiben Seeländerinnen und Seeländer, die ins Ausland ausgewandert sind. In dieser Folge zieht Janine Tollot einen Vergleich zwischen der Schweiz und ihrer Wahlheimat Kanada.

Symbolbild: Keystone
  • Dossier

Kanada ist der zweitgrösste Staat der Erde und liegt zwischen dem Pazifik im Westen und dem Atlantik im Osten. Pro Quadratkilometer gibt es nur rund vier Einwohner. Dieses Land ist unvorstellbar gross und schön und vielschichtig. Ich habe es als Lastwagenfahrerin oft bis nach Vancouver ganz im Westen durchquert, und dafür eine Woche gebraucht – Nachtfahrten miteingeschlossen. Und die Leute dort reden noch immer Englisch! Allein die Provinz Ontario ist riesig. Bis zur nächsten, westlich gelegenen Provinz sind es ungefähr 24 Stunden Autofahrt.

Ich glaube, ich werde mich nie richtig an diese Dimensionen gewöhnen können, da ich in der klitzekleinen Schweiz aufgewachsen bin. Da kommt man zu Fuss, mit dem Velo, Bus, Zug, Tram und Seilbahn so ziemlich überall hin. Will man schnell bei einem Freund vorbeischauen – kein Problem.

In Kanada wird das schon etwas schwieriger. Ich habe Freunde, die leben ein bis zwei Stunden entfernt, und wenn ich denen vorjammere, wie weit das ist, lachen die mich aus. Deswegen bin ich hierher gekommen – weil es mir in der Schweiz zu eng wurde, weil ich die Weite liebe. Aber an manchen Tagen ist es mir doch etwas zu viel. In der Gegend, in der ich wohne, gibt es keine öffentlichen Verkehrsmittel. Da hast du entweder ein Auto, ein Velo, oder wenn du Amish bist, eine Pferdekutsche. Wenn nicht, dann bleibst du, wo du bist.

Zwar vermisse ich die Enge in der Schweiz nicht (und auch das schlechte Wetter nicht), jedoch die öffentlichen Verkehrsmittel. Zum Vergleich: In der Schweiz leben 201 Einwohner pro Quadratkilometer! Und nur ein paar Stunden Fahrt bringen einem in andere Länder mit anderen Sprachen. Selbst wenn ich unseren südlichen Nachbarn – die USA – besuche, sprechen die Leute noch immer Englisch.

Auch das ist etwas, das ich vermisse, wenn ich an die Schweiz denke: die Sprachen, die Vielfältigkeit, die Abwechslung… Andererseits denke ich, dass all die verschiedenen Kulturen, Sprachen, Religionen und Weltansichten auf solch kleinem Raum zu mehr Konflikten führen. In Europa und den darumliegenden Staaten ist die Lage ja seit Jahren nicht mehr so stabil. Darüber brauchen wir uns in Kanada nicht allzu viele Sorgen zu machen.

Zwar werden auch die kanadischen Soldaten in den Krieg geschickt und gegen Terroranschlägen sind wir auch nicht immun, aber dass jemand versuchen wollte, ein solch riesiges Land zu invadieren, da sind die Chance wohl eher klein.

Wenn man auswandert, dann steht man doch immer irgendwie mit einem Bein noch zu Hause und mit dem anderen weit fort. Ich lernte erst richtig schätzen, was an der Heimat schön ist, nachdem ich ein paar Jahre lang in Übersee gelebt habe.

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