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Radelfingen

Vom «schwarzen Mann» zum nationalen Denkmal

Seine Tochter Cécile heiratete den Radelfinger Pfarrer Albert von Rütte, dessen Familie dem Gut in Sutz-Lattrigen den Namen gegeben hat: Der in Murten geborene Schriftsteller Jeremias Gotthelf ist dem Seeland näher, als man denkt. Eine Spurensuche per E-Bike.

Jeremias Gotthelf als Denkmal in Murten, wo er 1797 zur Welt kam. Auf der «Schatzsuche» durch das Städtchen muss Familie Knapp hier dem Namen des «schwarzen Mannes» herausfinden. Bild: Beat Kuhn
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Beat Kuhn

Als er am 22. Oktober 1854 starb, war dies der «Berner Zeitung» nicht einmal eine Notiz wert. Und der freisinnige «Patriot» schrieb: «In Lützelflüh ist unser berüchtigter Volksschriftsteller Jeremias Gotthelf gestorben. Friede dem Unfrieden!» Bei manchen Zeitgenossen scheint der Dichter also ähnlich verhasst gewesen zu sein wie heute Max Frisch. Da war er der «böse schwarze Mann».

Zum Denkmal auf dem Sockel, auf dem er heute neben Gottfried Keller steht, mutierte Gotthelf erst später. Das dröge Image des vaterländischen Heimatdichters hat er erst erhalten, als seine Zeit so sehr vergessen war, dass sie zu einer «guten alten» Zeit verklärt werden konnte. Dabei wimmelt es in seinen Geschichten aus dem bäuerlichen Milieu nur so von menschlichen Schwächen.

 

Im Pfarrhaus geboren
In Lützelflüh im Emmental hat Gotthelf zwar gelebt und ist er gestorben. Geboren aber wurde er in Murten, wo die Tour darum beginnt. Wer kein E-Bike hat, mietet auf der Website rentabike.ch eins – telefonisch geht es nicht. Man könne auch erst vor Antritt der Tour reservieren, heisst es am Bahnhof Murten, man habe stets genug Zweiräder da.

Der konkrete Startpunkt ist die Deutsche Kirche an der Kirchgasse 20, deren Pfarrhaus das Geburtshaus Gotthelfs ist. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Französischen Kirche an der Rathausgasse 16. Bis 1803 wurde das Städtchen gemeinsam von Bern und Freiburg regiert, erst in jenem Jahr schlug es Napoleon ganz dem Kanton Freiburg zu.

Am 4. Oktober 1797, also wenige Monate vor der jahrelangen Besetzung der Schweiz durch die Franzosen, kam Gotthelf als Sohn von Pfarrer Sigmund Bitzius zur Welt. In Wirklichkeit hiess er nämlich Albert Bitzius. Jeremias Gotthelf war nur sein Pseudonym als Schriftsteller.

Bei der Rekognoszierung der Tour macht sich eine junge Frau am Sockel der schwarzen Metallstatue Gotthelfs zu schaffen, die vor der Kirche steht. Aber nicht um den Schriftsteller vom Sockel zu stossen, sondern um ihren zwei Kindern an diesem Posten bei der «Schatzsuche durch Murten» zu helfen. Hier lautet die Frage, ob der «schwarze Mann» da Jeremias Gotthelf, Karl der Kühne oder Martin Luther sei.

 

Aufbrausender «Feuergeist»
Eine Anekdote aus Gotthelfs ersten Lebensjahren besagt, dass eines Tages französische Soldaten ins Pfarrhaus eingedrungen seien, um zu plündern. Da hätten die Geschwister aus Angst geschrien. Der kleine Albert aber habe sich in seinem Bettchen aufgerichtet und drohend die Fäuste gegen die Soldaten geschüttelt. Die Geschichte passt zu Gotthelf, der von Zeitgenossen als aufbrausend beschrieben oder als «Feuergeist» charakterisiert wurde.

1805 zog Sigmund Bitzius mit seiner Familie nach Utzenstorf im Emmental um, das wie Murten nahe beim Seeland liegt. Dort verbrachte Gotthelf seine Jugend. Ab 1812 besuchte er das Gymnasium in Bern, 1817 begann er Theologie zu studieren. Nach einem Studienaufenthalt im deutschen Göttingen kehrte er 1822 nach Utzenstorf zurück, wo er Vikar bei seinem Vater wurde. Als dieser 1824 starb, wurde Gotthelf Pfarrverweser in Herzogenbuchsee und 1829 Pfarrgehilfe an der Heiliggeistkirche in Bern.

1831 wechselte er als Vikar nach Lützelflüh, wo er ein Jahr später zum Pfarrer gewählt wurde. Ab 1836 schrieb er nebenher seine Romane. Einige davon wurden vom Verlag Jent und Gassmann herausgebracht. Dessen Mitgründer Franz Joseph Amatus Gassmann hat auch das «Bieler Tagblatt» ins Leben gerufen.

 

Bezug zur Familie von Rütte
Von Murten radelt man zunächst via Ins nach Erlach. Ab dort folgt man dem Veloweg am Bielersee. Über Vinelz, Lüscherz und die Mündung des Hagneckkanals mit dem sehenswerten neuen Wasserkraftwerk gelangt man an Täuffelen, Gerolfingen, Mörigen und Lattrigen vorbei nach Sutz.

Dort macht man beim Von-Rütte-Gut Halt. Nachdem man die Villa bestaunt hat, kann man im frisch sanierten Park am See gut die Radlerbeine lockern und «e chli sii». Seine heutige Form verdankt das Anwesen, das ein beliebter Durchführungsort für Veranstaltungen aller Art ist, dem Architekten Friedrich von Rütte. Er, ein Sohn des Sutzer Pfarrers David Sigmund von Rütte, erwarb das Gut 1870, gestaltete es um und nutzte es mit seiner Familie als Sommerresidenz.

Einer seiner Brüder, Albert von Rütte, wurde wie der Vater Pfarrer und kam 1868 nach Radelfingen. 1855 hatte er Cécile Bitzius, die eine der zwei Töchter Gotthelfs, geheiratet, die wie ihr Vater phantasie- und temperamentvoll war. Die Familie von Rütte ist via Tochter also auch ein Bezugspunkt zu Gotthelf.

 

Wurzeln des heutige Konflikts
Darum führt der Weg nun auch noch nach Radelfingen, wo Cécile und Albert von Rütte im Pfarrhaus wohnten. Via Ipsach, Bellmund, Jens, Kappelen und Aarberg gelangt man dorthin. Cécile und ihr Mann waren die ersten Nachlassverwalter Gotthelfs. Sie hütete den Nachlass mit Ehrfurcht, bedauerte aber kritische und anklagende Töne des Vaters, fand, das gehöre sich nicht für einen Geistlichen.

Diese Haltung lässt erahnen, welche Art Texte jener Teil des Nachlasses enthält, den die Familie von Rütte bis heute unter Verschluss hält. Dabei wäre die Uni Bern sehr daran interessiert, weil man dort an der Erarbeitung einer historisch-kritischen Gesamtausgabe von Gotthelfs Werken ist. Über diesen Konflikt sinnierend, fährt man via Niederried, Kallnach, Fräschels und Kerzers zurück nach Murten, wo man das E-Bike am Bahnhof wieder abgibt.

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Tipps zur Tour

  • Distanz: 66 Kilometer.
  • Höhenmeter: Weitgehend eben, bis auf Anstiege bei Ins, Ipsach und Niederried.
  • Ausrüstung: E-Bikes können bei rentabike.ch online gemietet werden. In Empfang genommen und abgegeben werden sie am Bahnhof Murten. Start und Ziel müssen bei der Reservation angegeben werden.
  • Einkehren: Nach Belieben, in den Dörfern auf der Strecke stehen ausreichend Gaststätten zur Verfügung.
  • ÖV: Anreise nach und Heimreise von Murten mit dem Zug. bk

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