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Portrait

Vom Seeland
 nach Neuseeland

Die Ipsacherin Edith Zeltwanger ist vor gut einem Vierteljahrhundert ans andere Ende der Welt ausgewandert. In Neuseeland 
hat sie eine eigene Sonnencrème entwickelt, Schweizer Fenster per Frachter importieren lassen und einen harten Lockdown erlebt.

Bild: Matthias Stadler

Matthias Stadler, Auckland

Für viele Schweizerinnen ist es eine Sehnsuchtsdestination: Neuseeland. Das Land der langen weissen Wolke – in der Sprache der Ureinwohner Aotearoa genannt – fasziniert Reisende seit Jahrzehnten. Manche so sehr, dass sie hier ein neues Leben beginnen. Auch gut 8000 Schweizer haben in Neuseeland Wurzeln geschlagen. Manche leben seit einigen Monaten im Inselstaat, manche seit vier Generationen.

Seit 23 Jahren nennt Edith Zeltwanger, geborene Uetz, Neuseeland ihr Zuhause. Die 50-Jährige wuchs in Ipsach auf und machte bei der Firma Gebr. Laubscher in Täuffelen ihre KV-Lehre. Als junge Frau besuchte sie Neuseeland mehrere Male. «Ich mochte das Land auf Anhieb. Die Freiheiten, und dass es viel weniger Leute hatte als in der Schweiz, waren und sind nach wie vor grosse Pluspunkte», sagt sie. 1996, als sie 27-jährig war, fasste sie den Entschluss, auszuwandern. Kurz darauf heiratete sie den deutschen Auswanderer Rainer Zeltwanger, der schon früher aus Heilbronn ans andere Ende der Welt gezogen war.

 

Probleme mit Sonnenbrand

Heute hat das Ehepaar zwei Söhne im Alter von 17 und 16 Jahren und ein grosses Anwesen in Massey, einem Vorort westlich von Auckland, der grössten Stadt des Landes. «Als wir das Land dazumal kauften, mussten wir 30 000 neue Pflanzen setzen. Das waren die Vorschriften, damit wir unsere Pläne umsetzen konnten, um das Areal in verschiedene Sektionen für Häuser aufzuteilen», erinnert sich Edith Zeltwanger.

Ihr Mann ist selbstständiger Automechaniker für deutsche Autos, sie kümmert sich um die Buchhaltung. Ihr Fokus liegt allerdings auf einer anderen Sparte. «Neuseeland hat eine starke UV-Belastung und die Bevölkerung entsprechend Probleme mit Sonnenbränden.» Nachdem sie «unzählige Geschichten über Sonnenbrände» gehört hatte, entschied sie sich zusammen mit einer Freundin, eine damals neuartige Sonnencrème zu entwickeln, die keine chemischen Stoffe beinhaltet und nur aus natürlichen Zutaten hergestellt wird. «Wir brauchten drei Jahre, bis wir nach x-Tests und auch Rückschlägen ein zufriedenstellendes Resultat hatten», führt Edith Zeltwanger aus. Seit vier Jahren verkauft sie das Produkt.

Das Geschäft läuft gut – trotz Covid-19, das auch die neuseeländische Geschäftswelt auf den Kopf stellte. «Wir hatten Glück», erklärt sie. «Das Coronavirus kam im März, also in unserem Spätsommer, nach Neuseeland.» Die Hauptsaison für Sonnencrèmes war also vorbei. «Wenn Covid-19 drei, vier Monate früher aufgetaucht wäre, hätten wir grössere Probleme gehabt.» So aber habe sie sich zusammen mit ihrer Partnerin auf die Weiterentwicklung des Produkts und um administrative Angelegenheiten kümmern können.

 

Immer genügend Toilettenpapier

Am 26. März ging Neuseeland in den Lockdown. Dieser war vergleichsweise hart. Knapp fünf Wochen galt die höchste Alarmstufe 4. Die Bevölkerung durfte nur noch für die nötigsten Beschaffungen wie Lebensmitteleinkäufe und Arztbesuche aus dem Haus. Erlaubt waren Spaziergänge in der Nachbarschaft. Ansonsten galt es, zuhause zu bleiben. Schulen, Restaurants und Cafés waren geschlossen. Der sonst notorische Verkehr auf Aucklands Strassen verschwand vom einen Tag auf den anderen, die Grenzen wurden dichtgemacht.

«Uns ging es im Lockdown sehr gut. Wir konnten endlich Sachen erledigen, die wir schon lange aufgeschoben hatten. Und den Jungs gaben wir immer genügend Aufgaben zu tun, damit es ihnen auch nicht langweilig werden konnte», erzählt Edith Zeltwanger lachend. «Uns hätte es nichts ausgemacht, wenn der Lockdown um ein paar Wochen verlängert worden wäre.» Gut schweizerisch waren die Zeltwangers auf aussergewöhnliche Zeiten vorbereitet. Hamsterkäufe mussten sie – anders als viele Neuseeländer – keine machen. «Wir hatten immer genügend Mehl und Toilettenpapier.»

Mittlerweile sind die Schutzmassnahmen komplett heruntergefahren worden. Restaurants bedienen wieder unlimitiert Kunden, der Verkehr um Auckland ist fast schon wieder so zähflüssig wie zu Vor-Covid-Zeiten, und auch Sportveranstaltungen werden wieder durchgeführt. So pilgern jedes Wochenende Zehntausende in die Sportstadien, um ihre Lieblings-Rugbymannschaft anzufeuern. Möglich ist dies, weil das Land ab Ende Mai bis Mitte Juni keine Neuinfizierten mehr verzeichnete, das Land war coronafrei. Zwar sind momentan wieder rund 20 Fälle bekannt. Diese sind aber von heimkehrenden Neuseeländern importiert, die Infizierten wurden zumeist direkt nach der Ankunft im Land in eine zweiwöchige Quarantäne geschickt.

Dies ist denn auch die grosse Ausnahme zu den Lockerungen: Die Grenze bleibt für normalsterbliche Nicht-Neuseeländer zu. Touristen müssen draussen bleiben, einzig zurückkehrende Einheimische, Ausländerinnen mit einer Niederlassungsbewilligung und ausgewählte Spezialisten dürfen einreisen. Jede Eingereiste muss sich nach Ankunft in eine vom Staat bezahlte und kontrollierte Unterkunft begeben und dort 14 Tage in Isolation leben.

 

«I love it»

Die geschlossenen Grenzen wirken sich auch direkt auf Edith Zeltwanger aus. Eigentlich wollte ihre in Ipsach lebende Mutter sie wie sonst jedes Jahr in Neuseeland besuchen. Doch das geht heuer nicht. Und wann Edith Zeltwanger das nächste Mal in die Schweiz reisen wird, ist wegen Covid-19 unklar. In normalen Zeiten fliegt sie etwa alle fünf Jahre in die Schweiz, um ihre Verwandten und Freunde im Seeland zu besuchen. «I love it», sagt sie über ihre alte Heimat. Sie ist am Bielersee aufgewachsen und sei deshalb ein «Water-Baby», wie sie es in breitem Berndeutsch ausdrückt, das immer wieder mit englischen Ausdrücken ergänzt wird.

Vor knapp zehn Jahren verbrachte die Familie ein Jahr in Ipsach, um den Kindern Schweizerdeutsch einzutrichtern. «Wir hatten von anderen Auslandschweizern gehört, wie schwierig es ist, dass die Kinder fliessend Schweizerdeutsch sprechen.» Ihre Bilanz: Jay, der jüngere der beiden Knaben, spricht fliessend Berndeutsch. Lee hingegen tut sich schwer, da er «nicht so sprachbegabt ist», wie es seine Mutter ausdrückt.

Die Schweiz ist im Hause Zeltwanger also nach wie vor ein wichtiger Bezugspunkt. «Ich koche Schweizer Gerichte, habe auch ein Fondue-Caquelon und einen Racletteofen hier. Und wenn ich in die Schweiz fliege, gehe ich als erstes in den Coop und kaufe mir eine Packung Zweifelchips. Natürlich Paprika.» An den Wänden im Haus hängen zudem diverse Bilder des Bieler Malers Gianni Vasari. Vor dem Haus grüssen eine Eule und ein Hund, die aus Bieler Holz geschnitzt wurden. Und auch die Fenster sind eigens aus der Schweiz importiert. Dies, weil die neuseeländischen Fenster notorisch luftdurchlässig sind. «Als wir das Haus bauten, haben wir gleich einen ganzen Container voller Fenster hierhin schiffen lassen.»

Trotz der vielen Schweizer Bezugspunkte: Edith Zeltwanger gefällt es in Neuseeland: «Die Leute sind zwar nicht so zuverlässig wie in der Schweiz. Doch sie sind offen und freundlich. Und das Land ist wunderschön.» Die Sehnsuchtsdestination Neuseeland fasziniert sie auch nach knapp einem Vierteljahrhundert hier nach wie vor.

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