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Coronavirus

Von Krisenmodus bis Hoffnungsschimmer

Die neuste Coronamassnahme sorgt in der Region für Wirbel: Die einen sehen das Zertifikat als diskriminierendes Instrument gegenüber ihren Gästen, andere erhoffen sich mehr Planungssicherheit.

Andrea Eigenheer hält nichts vom Zertifikat. Matthias Käser
von Carmen Stalder und Sarah Schaub
 
Ab Montag wird in der Schweiz die Zertifikatspflicht auf private und öffentliche Veranstaltungen in Innenräumen sowie auf alle Kultur- und Freizeiteinrichtungen ausgeweitet. Dies betrifft Restaurants, Bars, Theater, Kinos und Konzertveranstalter ebenso wie Museen, Bibliotheken, Zoos, Fitnesscenter und Hallenbäder. Die neuste Coronamassnahme hat dazu geführt, dass am Mittwoch über 3000 Menschen protestierend durch die Innenstadt von Bern gezogen sind. Auch in Biel und dem Seeland gehen die Meinungen auseinander.
 
«Ich habe Mühe damit, die Menschen in zwei Lager zu klassifizieren», sagt Andrea Eigenheer. In Safnern betreibt sie das «Burger Kafi», gemäss eigener Aussage ein offenes Haus für alle. Die Geschäftsführerin kritisiert, dass man aktuell mit dem Argument der Gesundheit alles verlangen könne – in diesem Fall sogar, Besuchende eines Lokals zu diskriminieren. Das oberste Ziel ihres Lokals sei es, die Gemeinschaft zu fördern und nicht die Spaltung in der Gesellschaft voranzutreiben. «Deshalb wird die Zertifikatskontrolle nicht oberste Priorität haben. Umso mehr, da dafür oft keine Zeit übrig bleibt», sagt sie. Auf mögliche Bussen bei einer inkonsequenten Umsetzung angesprochen, erwidert sie resigniert: «Egal wie ich mich verhalte – verlieren tue ich so oder so.»
 
Auch Patrick Bernardi, Besitzer des Fitnesscenters «Lifestyle» in Grenchen, ist traurig und enttäuscht. «Wir fühlen uns vom Bund im Stich gelassen. Es trifft schon wieder unsere Branche und es wird richtig schwer, zu überleben», sagt er. Laut Bernardi wollen 30 bis 35 Prozent seiner Mitglieder nicht mehr trainieren kommen, weil sie sich nicht impfen lassen wollen. Doch mit oder ohne Zertifikat – bei ihm sind weiterhin alle Menschen herzlich willkommen, wie es auf einer Tafel im Eingangsbereich heisst. «Ich stütze mich auf Artikel 27 der Bundesverfassung, den der Wirtschaftsfreiheit. Wir werden niemanden ausschliessen, egal, welcher Hautfarbe oder Religion er angehört, oder ob er geimpft oder ungeimpft ist», so Bernardi.
 
Kritik und Verweigerung
 
Eine ähnliche Haltung liesse sich bei Beat Cattaruzza vermuten: Dessen Veranstaltungsstätte Dispo in Nidau ist auf der Website Animap aufgeführt. Dort aufgelistete Firmen garantieren dafür, allen Menschen freien Zugang zu gewähren und darauf zu verzichten, den Vorweis von Gesundheitsdokumenten zu verlangen. Er habe sich bereits während der ersten Welle dort registriert, sagt Cattaruzza, und versichert, dass er sich nicht gegen das Gesetz stellen wolle. Für seine politische Karriere wäre dies wohl nicht eben förderlich: Der Grünliberale kandidiert aktuell für das Nidauer Stadtpräsidium. Mit seiner Meinung zum Covid-Zertifikat hält er indes nicht zurück: Dieses sei unverhältnismässig streng und gehe Richtung Diskriminierung.
 
Weiter geht die Geschäftsführerin des Farel Bistro in Biel, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will: «Wir werden keine Covid-Zertifikate kontrollieren», kündet sie an. Man sei nicht die Polizei und nicht damit einverstanden, diese Aufgabe zu übernehmen. Die möglichen Bussen – Wirtinnen und Wirte müssen bis zu 10'000 Franken berappen, wenn sie die Zertifikate ihrer Gäste nicht kontrollieren – schrecken die Farel-Chefin nicht ab. «Wir haben eher Angst vor der Schliessung, wenn die nicht geimpften Menschen nicht mehr kommen.» Wenig überraschend, findet sich das «Farel» auch auf besagter Website. Ebenso wie Dutzende weitere Betriebe in Biel und im Seeland, darunter viele Praxen von alternativen Therapeutinnen und Therapeuten.
 
Maske ist nicht mehr nötig
 
Dann gibt es auch jene Personen, die das Covid-Zertifikat nicht als Schreckgespenst sehen. Dazu gehört etwa Edna Epelbaum, Präsidentin des Schweizerischen Kinoverbandes und Geschäftsführerin von Cinevital in Biel. «Alle anderen Massnahmen werden wegfallen. Man kann einen Film wieder ohne Maske geniessen und muss kein Contact-Tracing-Formular mehr ausfüllen. Ausserdem können wir die Säle wieder mit der vollen Kapazität ausfüllen», sagt sie.
 
«Es ist verdammt mühsam, im Sommer ständig mit der Maske herumzulaufen», findet Hans-Ruedi Winiger, Vize-Präsident von Gastro Seeland und Betreiber der Café-Bar Tiffany’s. «Das Problem wird sein: Wie kontrollieren wir die ganze Sache?» Er befürchtet höhere Ausgaben, weil für die Kontrolle der Zertifikate mehr Personal benötigt wird. Beim Personal sieht er jedoch keine Probleme, da 80 bis 90 Prozent der Gastronomieangestellten im Seeland geimpft seien.
 
Anthony Gaube, Kellner im «Rotonde», sieht der ganzen Sache etwas skeptisch entgegen. Der Vorteil des Zertifikats liege darin, dass er und seine Mitarbeitenden nicht mehr hinter den Kunden herlaufen müssten, um sie daran zu erinnern, die Maske zu tragen, sobald sie vom Tisch aufstehen. Gleichzeitig sei schwer abzuschätzen, wie viele Gäste dem Lokal künftig fernbleiben. «Wir haben Angst vor Kundenbeschwerden», so Gaube.
 
Mehr Planungssicherheit
 
Marynelle Debétaz, Direktorin und künstlerische Leiterin des Theaters Nebia, äussert Bedenken bezüglich den künftig nicht mehr kostenlosen Tests. «Wir möchten, dass das Theater auch für Menschen zugänglich ist, die nicht geimpft sind, ohne dass sie für einen Test bezahlen müssen.» Es gehe ihr darum, keine Gesellschaft zu haben, in der die Kultur nur für bestimmte Menschen zugänglich sei. Der Pass sei jedoch diesbezüglich von Vorteil, dass er dabei helfe, die Veranstaltungsorte zu füllen, vor allem die kleineren wie das Nebia poche.
 
Oliver von Allmen, Tourismusdirektor der Region Biel-Seeland, versteht die Bedenken, sieht in der Zertifikatsausweitung aber auch neue Möglichkeiten und Spielraum. Laut ihm sind Geschäftstourismus und Kongresse enorm wichtig für Biel. Immer im Juni finde ein grosser Medizinkongress mit 400 Leuten aus aller Welt statt, die drei bis vier Nächte bleiben. Dieser Anlass sei nun schon zum zweiten Mal verschoben worden, was sehr schade sei. «Es ist eine grosse Unsicherheit. Die Leute müssen planen, da wird viel Geld investiert. Die wissen nicht: Wer kann kommen und wer nicht? Wie muss ich das organisieren? Wie siehts mit dem Mindestabstand aus? Das Impfzertifikat gibt Planungssicherheit.»

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