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Grenchen

Wanderfalken verhindern zwei Windräder

Der Windpark Grenchenberg darf realisiert werden, aber nur mit vier statt sechs Windrädern. Das hat das Bundesgericht gestern entschieden. Der Grund: Das schnellste Tier der Welt.

Gebaut werden dürften lediglich vier dieser sechs Windräder: Ob das auch wirklich zustande kommt, ist zurzeit unklar. Die Verantwortlichen müssen nun neu berechnen, ob sich das wirtschaftlich überhaupt lohnt. Visualisierung: zvg/Freie Landschaft Schweiz
Hannah Frei
 
Es ist ein Interessenskampf, der bereits seit Jahren tobt: Klimaschutz, Biodiversitätsschutz, Landschaftsschutz. Seit 2008 planen die Städtischen Werke Grenchen (SWG) einen Windpark auf dem Grenchenberg. Es folgten Einsprachen, vom Vogelschutz, vom Landschaftsschutz, von Privaten. Gestern fiel das matchentscheidende Urteil: Das Bundesgericht hiess die Beschwerde des Schweizer Vogelschutzes SVS/BirdLife Schweiz und des Vogelschutzverbands des Kantons Solothurn gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom September 2018 teilweise gut. Das bedeutet, dass von den sechs geplanten Windrädern nur vier realisiert werden dürfen.
 
Dreieinhalb Stunden lang haben die fünf Bundesrichter gestern Vormittag mit Zahlen um sich geworfen. Stromproduktion, Strombedarf, Vogelpopulationen, Anzahl Fledermäuse, Mortalitätsraten, Abstände. Und doch blieb Gerichtspräsident Lorenz Kneubühler am Ende nichts anderes übrig, als zu sagen: «Vieles ist unklar.» Und das sogar beim Wanderfalken, der letztlich den Ausschlag für das Urteil gab.
 
Knappes Ergebnis
Einig waren sich die Richter gestern keineswegs. Am Ende stand es drei zu zwei, Gerichtspräsident Kneubühler auf der Siegerseite. Deren Hauptargument: Zwei der sechs Windturbinen waren deutlich weniger als 1000 Meter von einer Brutstätte eines Wanderfalkenpaars geplant. Somit wäre das Risiko zu hoch, dass eines der Tiere mit der Turbine kollidiert. Der Mindestabstand wurde von der Vogelwarte Sempach auf 1000 Meter festgelegt.
 
Der Wanderfalke wird als verletzliche Art von nationaler Priorität behandelt. Schneller als er fliegt keiner. Bis zu 300 Kilometer pro Stunde schafft er. Wanderfalken gibt es zwar auf der ganzen Welt, gemäss Birdlife hat der Bestand im Nordjura zwischen 2007 und 2016 jedoch von 73 Paaren auf 38 Paare abgenommen. Diese starke Abnahme hat laut Kneubühler das Urteil beeinflusst.
 
Und was ist mit dem Klima? Das werde nicht ausser Acht gelassen, so Kneubühler. Die Energiestrategie 2050 sei ein wesentlicher Punkt bei der Beurteilung, konkret das Ziel, den CO2-Ausstoss zu senken und den Anteil der erneuerbaren Energien in der Schweiz auszubauen. Das sei von nationalem Interesse. Neue Windparks haben gemäss der Energieverordnung dann nationale Bedeutung, wenn sie jährlich mindestens 20 Gigawattstunden produzieren. Dies sei beim Windpark Grenchenberg auch mit nur vier Windrädern der Fall, so das Urteil des Bundesgerichts.
 
Zur Umsetzung des Projekts sind zahlreiche Schutzmassnahmen vorgesehen, etwa ein Vogelmonitoring, das aufzeigen soll, wie viele der Vögel pro Jahr auch tatsächlich in eine Turbine geraten. Dasselbe gilt für die zahlreichen Fledermausarten, die auf dem Grenchenberg leben. Dem hat auch das Bundesgericht eine besondere Bedeutung zugeordnet. Denn geht es um den Einfluss von Windturbinen auf Vogelbestände, und im konkreten Fall auf Wanderfalken, gebe es praktisch keine wissenschaftliche Grundlage.
 
Genau dies kritisierten die beiden Richter, die sich gegen die Beschwerde einsetzten. So sagte Bundesrichter Thomas Müller: «Beim Thema Wanderfalken wird sehr oft der Konjunktiv verwendet.» Für ihn zu oft. Das reiche nicht aus, um den Artenschutz über den Klimaschutz zu stellen.
 
Scheidegger ist verärgert
Doch so einfach ist das mit der Energiewende nicht, wie die gestrige Verhandlung zeigte. Das Urteil ist bereits rechtskräftig. Wirklich zufrieden ist jedoch keine der Parteien, am wenigsten der Grenchner Stadtpräsident und SWG-Verwaltungsratsmitglied François Scheidegger: «Ich bin verärgert.» Den Entscheid könne er nicht wirklich nachvollziehen. «Es darf einfach nicht sein, dass ein Vogelpaar höher gewichtet wird als zwei Windturbinen.»
 
Etwas optimistischer reagierte Christa Glauser, Stellvertretende Geschäftsführerin von Birdlife Schweiz, auf das Urteil. Es sei zwar klar, dass Birdlife nicht ganz zufrieden damit sei. «Aber glücklicherweise sind diejenigen Turbinen eliminiert worden, die den grössten Schaden angerichtet hätten», sagt Glauser.
 
Auch bei den Vertretern des Landschaftsschutzes hinterliess das Urteil gemischte Gefühle, so Elias Meier, Präsident Freie Landschaft Schweiz: «Zum einen sind wir sehr enttäuscht, dass das Bundesgericht Windräder in einer Juraschutzzone erlaubt. Das tut weh. Andererseits sieht es nun für das Projekt Grenchenberg viel schlechter aus.» Und das erhöht die Chancen, dass das Projekt doch noch beerdigt wird.
 
Nun muss das Baugesuch überarbeitet werden. Und die SWG muss neu berechnen. Ob der Windpark auch mit vier Turbinen wirtschaftlich ist, kann François Scheidegger noch nicht sagen. Immerhin: Mit dem Bundesgerichtsurteil wurde der Richtplan genehmigt. Dieser müsste also nicht erneut angepasst werden. Ob und wie es mit dem Projekt Windpark weitergeht, werde sich in den nächsten Wochen zeigen, so Scheidegger.

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