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Jurakonflikt

Warum Bernjurassier Bürgerwehren gebildet haben

Wer von Terrorismus spricht, denkt an Islamisten. Doch auch im Kanton Bern verübten Separatisten zahlreiche Anschläge. Ein junger Mann starb dabei. Andere Anschläge führten dazu, dass ein Schweizer von Diktator Franco Asyl erhielt.

Anschlag auf die Justitia vom Gerechtigkeitsbrunnen in der Berner Altstadt 1986. Verantwortlich war die Separatistengruppe Belier. Keystone
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Lotti Teuscher

Es geschah während der 60er- Jahre, als kaum ein Berner sein Auto im Gebiet des heutigen Kanton Jura stehen liess. Der Schlachtruf «Jura libre» war überall präsent. Auf Häuser, öffentliche Gebäude, Strassen und Felsen geschmiert – und er war sehr, sehr ernst gemeint. Wagen mit Berner Nummer wurden zerkratzt oder verbeult, Wut und Hass auf die Berner Obrigkeit waren gross – so gross, dass im Kanton Bern terroristische Anschläge verübt wurden.

Einer der bekanntesten Terroristen war der Jurassier Jean L.* Über ihn wurde der Film «Le Terroriste Susse» gedreht (Autor war Christian Iseli). Anfang der 60er- Jahre gründete Jean L. die Vereinigung «Front Libération Jurassien» (FLJ). Deren Aktionen waren so martialisch wie der Name und folgten dem Motto des Separatisten: «L’angoisse que l’on ressent lorsqu’on ne sait pas où s’effectuera le prochain attentat: telle est la base de l’action.»

Anfangs demolierten der 1929 geborene Hotelier und seine Gruppe Strassenschilder. Später zündeten sie Bauernhöfe an und verübten Sprengstoffanschläge. Um sich zu schützen, organisierten die verängstigten Bewohner im Berner Jura Bürgerwehren. Jean L. wurde geschnappt. 1966 wurde er zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.

Asylant mit rotem Pass

Dies könnte das Ende der Geschichte sein, doch mit der Einweisung ins Gefängnis begann sie erst richtig. 1967 brach der Jurassier aus dem Gefängnis aus und flüchtete nach Spanien. Die Schweiz liess den Gewalttäter mittels internationalem Haftbefehl suchen – doch sie hatte die Rechnung ohne Franco gemacht. Der spanische Diktator sympathisierte mit dem Terroristen aus dem Jura. Franco lehnte das Auslieferungsbegehren der Schweizer Behörde ab und gewährte Jean L. politisches Asyl. Der Jurassier wurde damit zum ersten und bisher letzten Asylanten mit rotem Pass.

20 Jahre später, seine Taten waren verjährt, kehrte Jean L. für eine Stippvisite nach Delsberg zurück; das «Fest des jurassischen Volkes» bot ihm eine Plattform. Wie sich zeigte, hatte der nunmehr 57-Jährige nicht wirklich aus seiner Vergangenheit gelernt: «Ich bereue nichts», erklärte er während eines Gesprächs mit Filmemacher Iseli. Er zog in Erwägung, wieder von vorne anzufangen, falls sich der Jura erneut in einer Situation wie während der 60er-Jahre befinden sollte. Seine spanische Ehefrau entgegnete ihm bestimmt: «Mit mir nicht!»

Der Bombenattentäter

Ein Separatist, der Jean L. in nichts nachstand, war der Metzgerlehrling Alain G.* Am 7. Januar 1993 setzte sich dessen Nidauer Lehrmeister ins Auto und fuhr zum Haus von G.s Eltern auf dem Plateau de Diesse. Denn der Lehrling war nicht zur Arbeit erschienen, der Lehrmeister machte sich Sorgen. Etwas später klingelten zwei Polizisten mit ernsten Gesichtern an der Haustür der Eltern. Sie überbrachten eine furchtbare Nachricht: Alain G. war tot.

Laut Staatsanwaltschaft hatte Alain G. gemeinsam mit Komplizen einen Sprengstoffanschlag auf das Berner Rathaus geplant. Etwas, das die Angehörigen bis heute bezweifeln: «Wir haben nie erfahren, ob er wirklich den Plan hatte, einen Anschlag auf das Rathaus zu verüben», sagt der ältere Bruder. Gewiss scheint, dass der Anschlag bereits einen Tag früher geplant war – den Termin verschlief Alain G. jedoch. Am nächsten Tag stellte er das Auto am Nydeggstalden in der Berner Altstadt ab. Es war 3 Uhr morgens, Alain G. schaltete das Radio ein. Kämpfte er gegen den Schlaf? War er unkonzentriert? War ihm langweilig? In der Folge gab es eine fürchterliche Explosion: Das Radio war mit dem Zünder der Bombe im Auto verbunden. Alain G. war auf der Stelle tot.

Der misslungene Anschlag führte zu grosser Empörung. Die Bundesanwaltschaft verhaftete in der Folge mehrere Separatisten. Sie teilte mit, eine ganze Serie von Attacken aufgedeckt und in mehreren Erdverstecken im Jura Zünder und Sprengstoff gefunden zu haben.

Auch das Schwarzbuch «Gewalttätigkeit und Missachtung demokratischer Regeln in der Auseinandersetzung um den Kt. Jura/Berner Jura» listet eine lange Reihe schwerer Delikte auf, die von Separatisten verübt wurden. So wurde in einer Fabrik in Delsberg Sprengstoff gestohlen. Auf dem Mont Soleil wurde ein Sommerhaus in die Luft gejagt. Ein weiterer Sprengstoffanschlag traf die Sägerei des Zentralpräsidenten der Antiseparatisten.

Jurassische Attentate

Bei einem FLJ-Brandanschlag gegen die historische Holzbrücke von Büren, wurde diese vollständig zerstört. Des Weiteren wurden Anschläge auf das Lokal der kantonalen Steuerverwaltung in Delsberg verübt sowie auf das Zeughaus von Glovelier, auf das Hôtel du Cerf in Saignelégier und die Kegelbahn des Restaurants Le Régional in Le Bémont. Dies sind nur ein paar Beispiele, die Liste ist bei weitem nicht vollständig.

Für viele der Aktionen hatten laut dem Schwarzbuch die Béliers (Separatisten) die Verantwortung übernommen. Manche Aktionen hatten ein gerichtliches Nachspiel auf Kantons- oder Bundesebene. Etliche Täter wurden nie entlarvt.

Schock und Neubeginn

Während Alain G.s Eltern ihren Sohn betrauerten, mussten sie gleichzeitig Diffamierungen ertragen. Die Wut über den geplanten Anschlag schien grenzenlos. Und dennoch geschah etwas Positives: Schockiert vom Anschlag, suchten die Parteien endlich wieder den Dialog. Manche sagen, dass es der Tod von Alain G. möglich gemacht hat, dass der Berner Jura 2013 über die Kantonszugehörigkeit abstimmen konnte.

*Name wurden geändert, da die Delikte verjährt sind.
 

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