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Windenergie

“Warum sollten wir in etwas investieren, das nicht rentiert?”

Vor zehn Jahren hat der Energieversorger SWG mit der Planung eines Windparks auf dem Grenchenberg begonnen. Und noch immer fehlt die Baubewilligung. SWG-Direktor Per Just ist überzeugt: Die Gegner können den Bau verzögern, aber nicht verhindern.

Blick auf den Grenchenberg: Von seinem Büro aus wird Per Just dereinst den Windenergieanlagen bei der Stromproduktion zusehen können. Wann die Türme stehen, ist aber auch nach zehn Jahren Planung noch offen. copyright: frank nordmann/bieler tagblatt

Interview: Parzival Meister

Per Just, wie froh sind Sie, dass Sie kein städtisches Amt, sondern eine Firma mit eigenen Finanzkompetenzen leiten?
Per Just: Wir sind ja eine Art Tochterfirma der Stadt.

Aber Sie müssen für ihr Windparkprojekt keine politischen Wege bestreiten.
In dieser Rechtsform gibt es uns seit 21 Jahren. Man hat das bewusst gewählt, um unabhängig von der Politik ein Geschäft betreiben zu können. Doch wir sind öffentlich-rechtliches Unternehmen im Besitz der Stadt, daher hat Grenchen sehr wohl Einflussmöglichkeiten via Verwaltungsrat.

Der geplante Windpark kostet 35 Millionen Franken. Für einen solchen Kredit bräuchten Sie als städtisches Amt die Zustimmung des Stimmvolkes. Würden Sie eine Urnenabstimmung gewinnen?
Das ist eine gute Frage (überlegt). Wir sehen uns ja mit dem Vorwurf konfrontiert, dass das Projekt nicht basisdemokratisch abgelaufen sei. Darauf antworte ich: Wir sind basisdemokratisch gestützt. Die Bürgergemeinde als Landbesitzerin hat an einer Gemeindeversammlung einen Grundsatzentscheid für den Windpark gefällt. Die Bürger stehen hinter dem Projekt. Zudem hat die Grenchner Politik das Projekt angestossen. Im Gemeinderat stehen alle Parteien dahinter, ausser der GLP.

Aber glauben Sie, auch das Stimmvolk würde dem zustimmen?
Das kann ich nicht beurteilen.

Pläne für Windparks lösen emotionale Diskussionen aus. Wir können das auf internationaler Ebene beobachten, wie auch im Lokalen. In Grenchen zum Beispiel löste das Projekt diesen Sommer, als der Regierungsrat die Beschwerden gegen den Windpark ablehnte, eine breite Diskussion in den Sozialen Medien aus. Die Bevölkerung scheint gespalten zu sein.
Meine Wahrnehmung ist, dass es eine laute Minderheit gibt, die sich hier manifestiert. Es ist immer einfacher, gegen etwas zu sein, als etwas zu befürworten. Wir haben zum Beispiel die Leute eingeladen, mit uns die Anlage auf dem Mont-Crosin zu besuchen. Aber es kamen nur Leute, die dem Projekt gegenüber positiv eingestellt sind, von der Gegnerschaft wollte niemand mitkommen. Dabei hätten wir dort den Gegenbeweis zu den Argumenten der Gegner liefern können. Zum Beispiel, dass der Lärm bei neuen Anlagen kaum ein Thema ist.

Lärm ist aber nur ein Argument. Den Gegnern ist der Landschaftsschutz wichtig. Deshalb die Frage, Per Just: Warum wollen Sie unsere schönen Jurahöhen verschandeln?
Verschandeln ist ein relativer Begriff. Wenn wir erneuerbare Energien produzieren wollen, können wir nicht nur auf Photovoltaik setzen. Wichtig erscheint mir, dass der Richtplan des Kantons fünf Standorte definiert hat, an denen Windparks gebaut werden können. Diese Konzentration verhindert, dass die Natur grossflächig beeinflusst wird.

Und wie lautet Ihre subjektive Meinung dazu: Verschandeln die Windräder die Landschaft?
Wenn man es nicht übertreibt und sich wie vorgesehen auf wenige Standorte konzentriert, stört mich das nicht.

Es stört Sie nicht. Aber es wertet die Landschaft auch nicht gerade auf.
Aufwerten nicht, aber es wertet sie auch nicht ab. Der Eingriff in die Landschaft ist minim. Blicken Sie mal auf den Chasseral. Diese Antenne dort ist für mein Empfinden ein massiv grösserer Eingriff in die Natur.

Sie haben gesagt, wir können nicht nur auf Sonnenenergie setzen. Wie wichtig ist der Ausbau der Windenergie in der Schweiz?
Energiewirtschaftlich gesehen sehr wichtig. Sehen sie, bei der Energiestrategie wurde im Grunde eine sehr oberflächliche Diskussion geführt, da immer von einem Jahresschnitt gesprochen wurde. Doch Photovoltaik liefert vor allem im Sommer Energie. Die Wasserkraft weiter auszubauen, ist schwierig. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Lücke im Herbst und im Winter schliessen. Die Energiestrategie 2050 will uns weg von den fossilen Energieträgern bringen. Wärmepumpen werden propagiert. Aber die brauchen Strom. Und geheizt wird eben genau in der Jahreszeit, in der Photovoltaik kaum Strom liefert. Das Windaufkommen ist im Herbst und Winter am stärksten. Wir brauchen für jede Jahreszeit den richtigen alternativen Energieträger. Deshalb ist Windenergie so wichtig.

Die Stimme der Gegnerschaft ist Elias Meier, der Präsident von Pro Grenchen. Ich habe ihn gefragt, mit welchen Fragen er Sie in einem Interview konfrontieren würde. Und das ist seine erste: «Die Windverhältnisse auf dem Grenchenberg sind im internationalen Vergleich schwach. Mit der Höhe nimmt die Winddichte ab und damit auch der Stromertrag. Die von der SWG angegebenen Windverhältnisse von 6,5 bis 7,5 m/s sind bisher nur Behauptungen: Warum wird das Windmessgutachten nicht offengelegt?»
Warum sollten wir seit zehn Jahren ein Projekt ausarbeiten, wenn die Zahlen nicht stimmen würden. Die Kennzahlen, die Elias Meier nennt, sind der Jahresschnitt. Die Messungen sind von Tag zu Tag unterschiedlich. Das ist ein riesiger Datensalat. Um damit zu berechnen, wie viel Energie wir auf dem Berg erzeugen können, mussten wir die Windturbinenhersteller konsultieren. Diese Auswertungen müssen Spezialisten machen, wir haben die Erfahrung dafür nicht.

Aber warum publizieren Sie die Daten nicht?
Wichtig sind die genannten Durchschnittswerte. Was soll der Mehrwert des gesamten Datensalats sein?

Sie könnten den Windparkgegnern den Wind aus den Segeln nehmen.
Diese Daten würden nur Verwirrung stiften und falsche Behauptungen auslösen. Wir haben uns ja nicht einfach auf irgendwelche Daten verlassen, sondern viele spezifische Messungen vornehmen lassen, manche Standorte dadurch verworfen. Die Gegnerschaft unterstellt uns hier, wir würden betrügen. Aber wieso sollten wir das tun? Warum sollten wir uns in den eigenen Fuss schiessen? Warum sollten wir in etwas investieren, das nicht rentiert? Wir wollen doch kein Verlustgeschäft.

Reden wir also über die Rentabilität. Nach wie vielen Jahren soll das 35-Millionen-Projekt amortisiert sein?
Wir haben eine zugesicherte KEV (Kostendeckende Einspeisevergütung) von 15,5 Rappen pro Kilowattstunde Strom über 20 Jahre. Wir erwarten eine Stromproduktion von 32 Gigawattstunden pro Jahr, was jährliche Einnahmen von 5 Millionen Franken bedeutet.

Nach sieben Jahren wären Sie also in der Gewinnzone. Aber wir haben noch nicht über den Unterhalt gesprochen.
Die betriebswirtschaftliche Lebensdauer dieser Anlagen beträgt 20 Jahre. Grössere Ersatzinvestitionen und Reparaturen können nach zirka 10 Jahren anfallen. Das alles ist einberechnet.

Sie haben Ersatzinvestitionen angesprochen und damit kommen wir zur zweiten Frage von Elias Meier: «Windturbinen bestehen aus Verbundstoffen. Die Bauteile – hunderte Tonnen – bestehen aus verbundenem Plastik und Metallen, also kostbaren Ressourcen. Verbundstoffe sind nach Verbrauch Sondermüll. Deren Recycling benötigt sehr hohen Energieeinsatz, paradox bei einer Produktionsanlage von erneuerbaren Energie. In Deutschland weiss kaum einer, wohin mit den rund 2000 Windturbinen, die nächstes Jahr abgebaut werden sollen. Keine Müllverbrennungsanlage nimmt diese an. Wohin geht die SWG mit den – sagen wir – 1000 Tonnen Sondermüll pro Windkraftanlage?»
Es gibt keinen Grund, von Sondermüll zu reden. Schon gar nicht von 1000 Tonnen. In einer Windkraftanlage  sind zirka 55 Tonnen Kunst- und Verbundstoffe verbaut.

Sie können aber nicht abstreiten, dass die Entsorgung der abgebauten Windanlagen – das zeigt der Blick nach Deutschland – ein Problem darstellt.
Aber das ist kein neues Problem. Eine Anlage besteht zum grössten Teil aus Stahl. Und Stahl ist kein Sondermüll. Dann haben wir das Gehäuse, das aus Kunststoff besteht. Das Rotorblatt besteht aus Verbundstoffen. Aber das sind alles Materialien, wie sie zum Beispiel für Schiffe verwendet werden, von denen es Millionen auf dieser Welt gibt. Deshalb sage ich: Das ist kein neues Problem.

Die Trennung der Schichten der Verbundstoffe ist extrem aufwändig, der Abbau somit teuer.
Da gebe ich Ihnen Recht. Aber das ist eine Frage der Budgetierung. Wir haben diese Kosten einkalkuliert und der Bürgergemeinde die Garantie gegeben, dass wir den Rückbau tragen. Was mich wütend macht, ist der Ausdruck Sondermüll. Es entsteht kein Sondermüll. Die Gegnerschaft setzt hier Schlagwörter in den Raum, die schlicht nicht stimmen.

Kommen wir zur dritten Frage von Elias Meier, die den Landschaftsschutz betrifft: «Die Juraschutzzone wurde 1942 gegründet und verbietet jegliche Bauten, die Landschaft und Natur beeinträchtigen. Kein Ferienhaus ist erlaubt, jegliche Bauvorhaben werden streng geprüft, exponierte Standorte strikte untersagt. Weshalb plant die SWG darin 160 Meter hohe, drehende Windturbinen?»
Weil stehende Windturbinen keinen Sinn machen. Wir müssen sie dort hinstellen, wo die besten Windverhältnisse herrschen. Und damit sind wir wieder beim Punkt, den wir bereits diskutiert haben: Der Kanton hat seinen Richtplan so angepasst, dass eine Konzentration an den fünf Standorten stattfindet, wo die besten Windverhältnisse herrschen. Und da gehört der Grenchenberg dazu.

Im Juli hatte der Solothurner Regierungsrat eine Beschwerde der Vogelschützer abgewiesen, die sich um das wohl der Vögel und Fledermäuse drehen. In seiner Begründung schrieb der Regierungsrat, dass das Ja zur Energiestrategie 2050 bei der Gesamtbeurteilung von Bedeutung war. Wie wichtig war das Ja des Stimmvolkes für Ihr Projekt?
Es gibt bei diesen Projekten immer eine Güterabwägung. Konkret: Landschaftsschutz versus erneuerbare Energien. Ich denke, durch das Ja erhält die Produktion von erneuerbaren Energien mehr Gewicht. Hätte das Stimmvolk Nein gesagt, würde der Landschaftsschutz möglicherweise mehr Gewicht erhalten.

Vor zehn Jahren haben Sie enthusiastisch die Planung für die Anlage aufgenommen. Hätten Sie damals damit gerechnet, dass sie zum heutigen Zeitpunkt noch immer hängige Beschwerden auf dem Tisch haben?
Ich habe damit gerechnet, dass es Zeit in Anspruch nimmt. Ich dachte, wir können zirka 2015 mit dem Bau beginnen.

Wo harzt es?
Die kantonale Richtplananpassung nahm viel Zeit in Anspruch. 2011 war die Basis mit dem Nutzungsplan da, doch dann begann für uns eine grosse Arbeit. Die Umweltverträglichkeitsprüfung nahm viel Zeit in Anspruch. Wir mussten die richtigen Standorte eruieren. Seit 2013 nun laufen die Bewilligungsverfahren.

Haben Sie Angst, dass die Anlagen gar nie gebaut werden können?
Nein. Die Frage ist nicht ob sie gebaut werden, sondern wann. Der Richtplan, der den Bau solcher Anlagen vorsieht, ist durch alle Instanzen durch. Die Gegner können das Projekt also nur noch verzögern – und das machen sie gut.

Aktuell ist vor Bundesgericht eine Beschwerde von Pro Grenchen hängig. Dort geht es darum, ob die Organisation überhaupt einspracheberechtigt ist. Zudem hat der Vogelschutzverband seine abgewiesene Beschwerde vors Verwaltungsgericht weitergezogen. Wann glauben Sie, werden die Turbinen in Betrieb genommen?
Wenn alles gut läuft, können wir in zwei Jahren den Investitionsentscheid fällen. Der Bau dauert zirka ein Jahr. Ich hoffe also, dass die Anlagen ab 2020 Strom liefern.

Der Bieler Energieversorger ESB plant unweit von Ihren Anlagen, auf dem Gemeindegebiet von Court, ebenfalls einen Windpark zu errichten. Die öffentliche Auflage des Projektes ist für diesen Herbst geplant. Der ESB liegt also etwa zwei bis drei Jahre hinter ihrem Zeitplan. Glauben Sie, dass ihr Bewilligungskampf auch dem ESB-Projekt den Weg ebnet?
Unsere Projekte profitieren aus ökonomischer Sicht voneinander, da wir Synergien nutzen können.  Wir planen zum Beispiel eine gemeinsame Stromwegführung. Somit werden Kosten beim Leitungsbau gespart. Ob das Projekt aber schneller vorangeht, wenn wir unsere Baubewilligung bekommen, kann ich nicht abschätzen. Ich weiss nicht, wie der Kanton Bern da tickt.

Aktuell haben wir in der Schweiz 37 Windenergieanlagen, die in diesem Jahr gemäss Hochrechnungen 128 Gigawattstunden Strom erzeugen werden. Bis ins Jahr 2050 sollen gemäss der Energiestrategie rund 4300 Gigawattstunden Strom mit Windkraft produziert werden. Dazu müssten 700 bis 1000 neue Anlagen entstehen. Glauben Sie, dass dieses Ziel erreicht werden kann?
Wenn das Bewilligungsverfahren nicht angepasst wird, erreichen wir das nicht.

Sie wollen das Einspracherecht einschränken?
Auf keinen Fall, man darf doch keine Bürgerrechte einschränken. Aber es braucht Fristen für die Einsprachebehandlungen, der Prozess muss schlanker werden. Wir haben nun zwei Jahre auf die Antwort des Kantons gewartet und das darf nicht so weitergehen. Sie dürfen mich nicht falsch verstehen: Ich habe Verständnis für unsere Wartefrist. Wir sind die ersten mit einem solchen Projekt und der Kanton hat inhaltlich einen super Job gemacht. Es fehlen halt die Erfahrung und das Wissen. Künftig aber müssen solch lange Wartezeiten verhindert werden.

Sie werden dann zwar im Ruhestand sein: Aber was glauben Sie, wird die SWG im Jahr 2050 für einen Strommix anbieten?
Wir reden hier von einer langen Zeitdauer und somit von einem grossen technischen Wandel, der uns bevorsteht. Heute wird die Kernkraft zwar verteufelt, aber es ist durchaus möglich, dass die heutige Atomenergie durch Kernfusionsenergie oder neue Arten von Reaktoren ersetzt wird. Man spricht schon lange über diese Technologien, vielleicht kommt bald der Durchbruch. Und wenn das kommt, sieht die Energiewelt wieder ganz anders aus.

Glauben Sie auch an die Zukunft von Atomkrafwerken?
Nein, nicht in dieser Form wie sie heute bei uns existiert. Es werden aber neue Arten von Reaktoren entwickelt, leider nicht bei uns, aber zum Beispiel in China. Vielleicht ergibt sich von dieser Seite einen Durchbruch. Bei uns wird dieser Aspekt völlig ausgeblendet. Und das ist falsch.

Aber glauben Sie daran, dass wir unseren Stromverbrauch senken können, wie dies die Energiestrategie vorsieht?
Nein. Den Stromverbrauch werden wir im besten Fall stabilisieren. Wenn künftig die Leute grossteils mit Elektrofahrzeugen rumfahren und mehrheitlich mit elektrisch betriebenen Wärmepumpen heizen, ist eine Senkung nicht vorstellbar. Ich glaube aber daran, dass wir den Verbrauch von fossilen Brennstoffen reduzieren und den CO2-Ausstoss senken werden.
 

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