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Aus dem Grossen Rat

Welchen Hut ziehe ich heute an?

Selten erreichten mich im Vorfeld einer Debatte so viele Briefe wie bei der Diskussion um das Berufsbildungsgesetz, welches letzte Woche im Grossen Rat behandelt wurde.

Jan Gnägi, 
Grossrat BDP

Die meisten Artikel und Absätze waren nicht bestritten, aber ein Teil heizte die Debatte so richtig an. Zirka 30 Briefe von Gemeinden des Seelands fand ich auf meinem Küchentisch, als ich von den Ferien nach Hause kam. Gut, dass ich die Nachbarn um regelmässiges Leeren des Briefkastens gebeten hatte, andernfalls hätte der Pösteler womöglich die Post wieder mitnehmen müssen.

Gespannt öffnete ich die Briefe, um nachzusehen, was diese Gemeinden für Anliegen haben – nur um danach festzustellen, dass alle das exakt gleiche Schreiben enthielten. Es ging um die Frage, ob sich die Gemeinden künftig an den Kosten für das berufsvorbereitende 10. Schuljahr beteiligen müssen. Konkret hätte man die Löhne der Lehrer, die im 10. Schuljahr unterrichten, dem gleichen Kostenverteiler wie die Lehrerlöhne der Volksschule unterstellen wollen, was den Kanton finanziell entlasten würde. Die Gemeinden schrieben also alle Grossräte an und baten uns, diese neue Regelung abzulehnen. Nun, 30 Briefe mit dem gleichen Inhalt haben eigentlich auch nicht viel mehr Informationsgehalt als ein Brief mit dem konkreten Anliegen. Schnell wurde mir klar, dass es sich um eine koordinierte Aktion des Gemeindeverbandes handelte.

Die Gründe, warum ich mich nicht überzeugen liess, waren folgende: Erstens ist ein Grossrat nicht Delegierter einer Gemeinde, sondern Volksvertreter. Auch wenn viele Grossräte gleichzeitig in einem Gemeinderat sitzen oder als Gemeindepräsident amten – wer morgens zur Session nach Bern aufbricht, hat nicht diesen Hut, sondern den als Vertreter der Bevölkerung seines Wahlkreises aufzusetzen. Zweitens klammert die Argumentation des Gemeindeverbandes etwas Wichtiges aus: Wenn der neue Kostenverteiler so nicht durchkommt, muss unter Umständen anderswo bei der Berufsbildung gespart werden. Was, wenn plötzlich Berufsschulstandorte zur Diskussion stünden? Sicherlich, die neue Regelung ist nicht ideal und es ist auch keine Frage, dass eine Mehrbelastung der Gemeinden grundsätzlich nicht wünschenswert ist – aber zumindest für mich war in dieser Frage klar, was ich abstimmen würde, oder eben: welchen Hut ich aufsetzen würde. Allerdings schützte mich dieser von der Dusche im Parlament nicht: Mit 74 zu 73 Stimmen ging der neue Kostenverteiler den Bach ab – die Brieflawine zeigte offenbar ihre Wirkung.

kontext@bielertagblatt.ch

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