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Grosses Moos

Wenn der Salat kopflos wird

Wegen der Hitze blüht der Salat, statt einen Kopf zu bilden. Die Kartoffeln treiben aus, die Knollen wachsen kaum: Den Gemüsebauern drohen grosse Einbussen. Dennoch gibt es in den Geschäften alles. Warum?

Die Gemüseernte im Grossen Moos wird dieses Jahr geringer ausfallen. Copyright: Mattias Käser / Bieler Tagblatt

von Lotti Teuscher

Noch nie seit Messbeginn war der Juni weltweit so heiss wie in diesem Jahr. Die Temperaturen lagen um etwa ein halbes Grad auf der Südhalbkugel über dem Durchschnitt, auf der Nordhalbkugel sogar um anderthalb Grad über dem Mittel der Jahre 1979 bis 2000. Im Juli wurden in der Schweiz mehrere Hitzerekorde gebrochen, und auch der August bleibt trotz Gewittern heiss. Dies hat Folgen für die Kulturen im Grossen Moos. «Während der Trockenheit im Juli kam das Wachstum der Kartoffeln zu Stillstand», sagt der Seeländer Gemüsebauer Daniel Brand. Um den 1. August herum gab es Gewitter, doch statt dass die Knollen wuchsen, blühten die Kartoffelstauden erneut und trieben aus. Brand rechnet mit Verlusten von 50 Prozent.

 

Brokkoli leidet unter Hitze

Dies bestätigt Matthias Zurflüh von Swissofel, dem Dachverband der Gemüsebauer und -verarbeiter. Normalerweise wachsen pro Are 600 bis 800 Kilo Kartoffeln, dieses Jahr werden es, je nach Region, 50 bis 30 Prozent weniger sein. Zum Vergleich: Der Rekordhitzesommer 2003 bewirkte, dass der Ertrag um zehn Prozent sank. Die Hitze setzt auch dem Brokkoli zu. Laut Zurflüh wird in der Ostschweiz Brokkoli von einigermassen guter Qualität geerntet. Im Seeland dagegen ist die Qualität hitzebedingt deutlich schlechter als während normalen Jahren.

 

Salat wächst nicht mehr

Am stärksten betroffen ist jedoch der Salat. Frisch gepflanzter Eisbergsalat zum Beispiel bildet keine Köpfe mehr, sondern beginnt direkt zu blühen. Auch Kopfsalat und Chinakohl bilden nur noch lose Köpfe. «Die Hitze, gepaart mit Trockenheit, ist ein grosses Problem», sagt Brand.

Mit Salat und Brokkoli kann sich die Schweiz während normalen Jahren wochenlang selbst versorgen. Diesen Sommer hingegen müssen hohe Kontingente bewilligt werden, damit die Kundschaft im Supermarkt das gewohnte Angebot vorfindet. Selbst wenn es jetzt während längerer Zeit regnen würde, ändert dies nichts mehr am Salatmangel. «Auf abgeernteten Getreidefeldern pflanzen die Bauern normalerweise Salat an», sagt Zurflüh; Salat, der bis Mitte oder Ende Oktober geerntet wird. Dieses Jahr war es sinnlos, Herbstsalat zu pflanzen, weil die Böden zu trocken sind.

 

Bohnen werden knapp

Auch Bohnen sind während des Hitzesommers kaum gewachsen, und zwar nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa. Wegen der Knappheit verzichtet der Bund darauf, auf Importbohnen Abgaben zu erheben. Kurz: «Das Problem wird noch eine Weile andauern, weil eine grosse Menge fehlt», sagt Zurflüh.

Trotz der schlechten und teilweise ausfallenden Ernte fehlt es in den Supermärkten an nichts. Von diversen Salaten über Bohnen bis hin zu perfekt gewachsenem Brokkoli ist alles vorhanden. Denn die Detailhändler planen vorausschauend und sind informiert, wann welches Gemüse in welcher Menge aus dem Ausland importiert werden darf.

Anders ist dies beim Gemüse, das die Migros unter dem Label «Aus der Region, für die Region» verkauft. Denn dieses Gemüse muss aus einer definierten Region kommen und darf nicht durch andere Schweizer Produkte und schon gar nicht durch Importgemüse ersetzt werden.

Das Label feiert dieses Jahr seinen zehnten Geburtstag, angesichts der teilweise schlechten Ernte kann die Migros Aare trotz des Jubiläums nicht aus dem Vollen schöpfen. Zwar fehle im Moment kein Gemüse im Sortiment, sagt Mediensprecherin Andrea Bauer: «Aber es kann sein, dass der Salat des Labels um 11 Uhr verkauft ist und ab 14 Uhr der Brokkoli fehlt.»

 

Viel Arbeit, hohe Verluste

Angesichts der Ausfälle, die die Landwirtschaft bei gewissen Gemüsen hat, erstaunt diese Aussage. Woher kommt zum Beispiel der Salat aus der Region? Mehrere Anfragen bei Gemüseverarbeitern, die Convenience-Produkte herstellen, werden nicht beantwortet. Nur einer ist bereit, Auskunft zu geben, wenn auch anonym: «Aus Konkurrenzgründen», wie der Mann sagt. Offenbar beäugen sich die Konkurrenten angesichts der Knappheit gewisser Gemüse mit Argusaugen.

«Liefern können wir im Moment noch alles», sagt der Gemüsehändler - allerdings nur dank Importen, die teilweise mit hohen Abgaben belegt sind. Probleme bereitet dem Gemüseverarbeiter dagegen die Qualität: «Der Eisbergsalat zum Beispiel leidet unter Innenbrand. Für die Hersteller von Halbfertigprodukten bedeutet dies mehr Arbeit und eine schlechtere Ausbeute.» Schlechte Qualität weisen sämtliche Salate vom Chinakohl bis hin zum Nüssler auf. Denn nicht nur in der Schweiz ist dieser Sommer zu viel heiss, sondern auch im Ausland.

 

2003: Milliarden verloren

Der Gemüsehändler ist sich bewusst, dass das Label «Aus der Region, für die Region» das zehnjährige Jubiläum feiert: «Wir bemühen uns deshalb, die Migros Aare zu beliefern.»

Was erklärt, weshalb alle Seeländer Gemüse, wenn auch in geringeren Mengen, auch unter diesem Label vorhanden sind. Offen bleibt hingegen, welche Verluste die Landwirtschaft durch den Hitzesommer erleidet. Im Jahr 2003 schätzte der Schweizer Bauernverband den Verlust auf 500 Millionen Franken. Europaweit betrugen die Verluste gut zwölf Milliarden Franken. Doch abgerechnet wird, wie die Bauern immer wieder betonen, erst Ende der Saison.

 

 

Zuckerrüben: Preiszerfall

Die Urform der Zuckerrüben wächst im mediterranen Raum, die Pflanzen überstehen deshalb auch längere Dürreperioden. «Ab Temperaturen von 35 Grad stellen sie jedoch das Wachstum ein», sagt Samuel Jenni von der Schweizerischen Fachstelle für Zuckerrübenbau in Aarberg. Er rechnet deshalb für dieses Jahr mit weniger Ertrag.

Um welche Menge die Ernte schlechter ausfallen werde, könne er allerdings nicht sagen, erklärt Jenni.

Denn Zuckerrüben haben bis zwei Meter lange Wurzeln. Je nachdem, wo das Feld liegt und wann die Rüben gepflanzt wurden, können sie sich auch während längerer Trockenheit mit Wasser versorgen.

Mehr Sorgen als die schlechter ausfallende Ernte, bereitet Peter Imhof, Leiter Rübenmanagement bei der Schweiz Zucker AG, der Preiszerfall: «Es ist himmeltraurig. Seit dem Jahr 2013 sind die Zuckerpreise komplett eingebrochen.»

Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen haben Hersteller aus Deutschland eine hohe Kartellstrafe bekommen. Nun versuchen sie, diesen Betrag durch neue Märkte wett zu machen.

Zudem fällt im Jahr 2017 die Zuckermarktverordnung: Diese hat den Ländern bisher vorgeschrieben, wie viel Zucker sie produzieren dürfen. Zudem werden zu diesem Zeitpunkt auch die Exportbeschränkungen aufgehoben. Auch dies führt dazu, dass grosse Zuckerproduzenten bereits heute neue Märkte suchen. Da es keinen Zoll auf Zuckerimporten gibt, wird die Schweiz laut Imhof preislich kaum mehr mithalten können.

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