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Titelgeschichte

Wenn der Traum von der grossen Liebe zum Albtraum wird

Sie reden von unsterblicher Liebe und umgarnen ihre Opfer mit schönen Worten, dabei wollen sie nur Geld: Heiratsschwindler der Neuzeit treiben ihr Unwesen im Internet. Eine Seeländerin erzählt ihre Geschichte.

Das Bedürfnis nach Liebe und Zuwendung macht Menschen anfällig auf Schwindler im Internet. Symbolbild: Matthias Käser

Brigitte Jeckelmann

Sie hatte einen Freund gesucht auf der Datingplattform von Facebook. Nur einen Kollegen, einen guten Kumpel. Einen Menschen zu haben, für den sie wichtig ist, das war ihr Wunsch. Vorerst einmal. Falls sich mehr daraus ergibt, mit der Zeit, nicht sofort, dann hätte sie nicht nein gesagt. Die Seeländerin, nicht mehr jung, aber noch nicht alt, wirkt selbstsicher, als sie von Louis erzählt, dem charmanten Mann, dem sie ihr Vertrauen schenkt, obwohl sie ihn niemals zu Gesicht bekommt.

Louis, wie er sich nennt, wird sie bitter enttäuschen, ihr Vertrauen skrupellos missbrauchen und dafür sorgen, dass sie aus Scham ihr Gesicht kaum mehr im Spiegel anschauen mag. Inzwischen hat sie sich zwar wieder gefasst, will aber unerkannt bleiben. Louis ist ein Love- oder Romance-Scammer, ein Liebesbetrüger. In Wirklichkeit gibt es ihn nicht, das Profil ist gefälscht. Dieses Phänomen existiert seit mehreren Jahren. Die Schweizerische Kriminalprävention hat dazu eine Kampagne gestartet (siehe Interview nächste Seite). Die interkantonale Fachstelle betreibt Aufklärungsarbeit zu verschiedenen Themen, unter anderen im Bereich Internetkriminalität. Dafür arbeiten Fachleute von kantonalen und städtischen Polizeikorps und mit dem Bundesamt für Polizei Hand.

Die Masche der Scammer ist immer dieselbe: Sie lernen ihre Opfer auf einer Datingplattform im Netz kennen und täuschen ihnen Liebe vor. Nach einer gewissen Zeit folgen immer abstrusere Geschichten über die Gründe, weshalb man sich nicht im wirklichen Leben begegnen kann. Dann gerät der Traumprinz in Nöte. Nur Geld kann helfen. Die Scammer rennen nicht selten offene Türen ein. Denn die Opfer hungern nach Aufmerksamkeit, sehnen sich nach der Liebe ihres Lebens – und sie lassen sich von den Schwindlern mit Lügengeschichten viel Geld aus der Tasche ziehen.

So ist es auch der Seeländerin ergangen. Weil die Kollegin einer Kollegin auf Facebook ihre grosse Liebe gefunden hat, will sie es auch ausprobieren. Ein Profil ist rasch erstellt, Anfragen von Männern lassen nicht lange auf sich warten. Manche kann sie nicht ernst nehmen. Sie schreiben bereits am zweiten Tag von der grossen Liebe und einer gemeinsamen Zukunft. Sie sagt, es sei klar, dass das nicht ehrlich gemeint sein kann. «Denn Liebe ist doch ein zu grosses Wort für jemanden, den man gar nicht kennt», sagt sie.

Nach der Scheidung bleibt eine Leere

Doch dann kommt Louis. Er ist anders, zurückhaltender, sieht nicht einmal besonders attraktiv aus. Aber er führt ein abenteuerliches Leben als Kapitän und Eigner eines Frachters, der auf der arabischen See kreuzt. Zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens auf Facebook schippert er gerade durch den Suezkanal. Schon bald entwickelt sich via Whatsapp ein reger Austausch zwischen den beiden. Der Kapitän gibt sich kumpelhaft, er sei verwitwet, nicht auf der Suche nach Abenteuern, sondern nach Kameradschaft. Während mehrerer Wochen schreibt er beinahe täglich. Sie findet es schön. «Es tut gut, wenn sich jemand dafür interessiert, wie es mir geht», sagt sie. Die Vorstellung, ihn einmal auf seinem Frachter zu besuchen, gefällt ihr.

Die Frau ist kein graues Mäuschen, sie ist gebildet, hat einen guten Job. Aber sie fühlt sich oft einsam. Nach der Scheidung von ihrem Mann, mit dem sie viele Jahre lang verheiratet war, hat sich ein Loch aufgetan. Die Lücke hat sich bis heute nicht füllen lassen. Eine, zwei Beziehungen gibt es zwar. Aber sie zerbrechen. Zurück bleibt eine Leere. Louis füllt sie aus. Er schickt Bilder von sich, dem Schiff, von Sonnenuntergängen auf dem Meer.

Aber nach einigen Wochen geraten er und seine Crew auf dem Schiff in Schwierigkeiten. Schiffsteile seien defekt und müssten ausgetauscht werden, schreibt er. Man komme kaum mehr voran, kreuze vor der Küste Somalias, wo es gefährlich sei, auch das Trinkwasser werde knapp. Er müsste die Teile per Internet bei einer Firma bestellen. Doch die Verbindung auf dem Schiff sei schlecht, es funktioniere nicht. «Kannst du mir helfen?», schreibt er. «Was soll ich tun?», schreibt sie zurück. Ob nicht sie die Teile via sein Bankkonto bestellen könne?

Als sie nicht sofort einwilligt, ändert der Ton, wird frostiger: «Warum vertraust du mir nicht?» Sie lässt sich erweichen. Er gibt ihr die Zugangsdaten zu seinem Konto auf einer Bank in Belgien. Sie loggt sich ein. «Als ich gesehen habe, dass 1,4 Millionen Dollar darauf sind, sind meine Zweifel verflogen», sagt sie.

Dass es sich bei der Website der Bank um eine Fälschung handelt, kommt ihr nicht in den Sinn: «Es sah alles echt aus.» Sie bestellt die Schiffsteile bei einer international tätigen Herstellerfirma. Louis schickt ihr den Link zur Website. Umgehend erhält sie eine Offerte über 4500 Euro. Auch diese Internetseite ist eine Fälschung jener der echten Firma. Sie tätigt die Zahlung über das Bankkonto von Louis – aber es klappt nicht. Auch beim zweiten Mal: Fehlanzeige. Die Bank verlangt, dass Louis persönlich nach Belgien kommt. Aber das geht nicht, weil das Schiff wegen der fehlenden Teile nicht vom Fleck kommt. Sie schreiben hin und her. Louis gibt sich immer verzweifelter. Es gehe ihm und seinen Leuten sehr schlecht, ob sie das Geld nicht von ihrem eigenen Bankkonto überweisen könne? Die Zweifel kommen wieder hoch. «Ich schrieb, dass ich nicht so viel Geld besitze», erinnert sie sich. Louis bleibt hartnäckig. Sie solle doch wenigstens die Hälfte des Betrags überweisen, ohne ihre Hilfe seien er und die Mannschaft verloren.

Sie gibt nach, weil sie denkt, jemandem zu helfen, das ist sinnvoll. Es gibt ihr ein gutes Gefühl. Sie glaubt daran, ihr Geld wiederzubekommen. Sobald das Schiff wieder flott ist, überlegt sie sich, wird Louis bei seiner Bank vorbeigehen und die Summe zurückzahlen. Sie überweist eine erste Tranche von über 2000 Euro von ihrem Konto an die Firma. Schon bald darauf schickt er ein Video von einem Helikopter, der das Teil zum Schiff bringt. «Das wirkte auf mich glaubwürdig», sagt sie.

Das Bauchgefühl hatte 
sie gewarnt

Schon bald ist jedoch ein weiteres Schiffteil nötig. Wieder schreibt Louis von Gefahren, bittet erneut um eine Bestellung, die sie über ihr Konto bezahlen soll. Und wieder lässt sie sich überreden. «Obwohl mein Bauchgefühl mir ständig signalisiert hat, dass da etwas nicht stimmen kann», sagt sie rückblickend. Nicht lange danach kommt die dritte Forderung: Nun brauche es noch einen Monteur, der eingeflogen werden müsse. Dies für weitere mehrere tausend Euro. Das bringt das Fass zum Überlaufen. Die Bauchstimme setzt sich durch und sie erkennt, dass sie einem Betrüger auf den Leim gekrochen ist.

Pascal Baumann vom Dezernat Digitale Kriminalität bei der Kantonspolizei Bern beurteilt den vorliegenden Fall als Klassiker. Die Täterschaft gibt sich in der Regel als Anwalt, Architekt, Arzt, hohen Militär oder einem anderen renommierten Beruf aus. Das Phänomen vom Liebesbetrug im Internet ist an sich nicht neu: «Es ist der Heiratsschwindel der Neuzeit», sagt Baumann. Die heutigen elektronischen Mittel schaffen mehr Möglichkeiten, die physische Präsenz ist nicht mehr nötig. Die Zahl der Fälle bewegt sich Schätzungen der Berner Kantonspolizei zufolge jährlich im höheren zweistelligen Bereich. Doch für Baumann ist jeder Fall einer zuviel.

Das Spiel mit den Gefühlen bezeichnet er als besonders verwerflich. Die Erkenntnis, einem Betrüger aufgesessen zu sein, ist nach Baumanns Erfahrung für die Opfer schlimmer als der finanzielle Schaden. Aus Scham reden Betroffene vielfach nicht darüber, denn sie stossen in ihrem familiären Umfeld oft auf Unverständnis. Daher vermutet Baumann eine relativ hohe Dunkelziffer. Opfer kann jeder werden: «Wir haben alles schon gesehen, gefeit ist keiner davor.» Die Täter operieren mehrheitlich aus dem Ausland und gehen hochprofessionell vor. Deshalb braucht es ein geübtes Auge, um gefälschte Websites zu erkennen. Dank internationaler Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden gelinge es immer mal wieder, den Tätern auf die Schliche zu kommen. Dass die Opfer ihr Geld wieder bekommen, sei allerdings eher schwierig, weil es jeweils sehr schnell weiter transferiert werde und die Täter bemüht sind, die Spuren zu verwischen. Schützen kann man sich vor solchen Betrügern, wenn man auf einige Dinge achtet, die auf der Website der Kantonspolizei aufgelistet sind (siehe Infobox rechts). Pascal Baumann rät, die gefälschten Profile bei den Plattformbetreibern sofort zu melden, sobald man den Betrug bemerkt und Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Nach seinen Erfahrungen handeln die Betreiber in der Regel sehr schnell. Einige Plattformen suchen auch aktiv nach gefälschten Profilen. Den Betreibern könne man kaum Vorwürfe machen, in der Regel würden diese ihre Verantwortung wahrnehmen.

Das Aufwachen aus dem Traum ist auch für die Seeländerin hart. Sie ist tief verletzt. Ihre Gefühle beschreibt sie als eine Mischung zwischen Enttäuschung, Schmerz, Wut und Trauer. Sie kann nicht begreifen, wie Menschen es fertigbringen können, andere Menschen derart zu täuschen. Mit Louis macht sie kurzen Prozess: «Ich habe ihn gesperrt und nie mehr etwas von ihm gehört.» Das Profil auf Facebook ist inzwischen gelöscht.

Wie tief die Verletzung sitzt, ist ihr erst nicht anzumerken. Doch als sie im Verlauf des Gesprächs mehrmals in Tränen ausbricht, ist klar: Noch ist das Erlebte nicht überwunden. Sie arbeitet daran, ihr Selbstvertrauen wieder aufzubauen. Mit ihrer Geschichte möchte sie vor Liebesbetrügern warnen und damit verhindern, dass anderen Menschen dasselbe widerfährt wie ihr. Zudem hat sie sich entschlossen, Louis bei der Polizei anzuzeigen. Noch hat sie die Hoffnung auf die Liebe ihres Lebens nicht aufgegeben. Sie ist überzeugt: «Irgendwo im Universum wird es jemanden geben, der zu mir passt.» Auf Datingplattformen im Internet wird sie ihn aber nicht suchen.

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