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Windkraft

Wenn der Windpark für Vögel zur Falle wird

Im Berner Jura hat eine Windturbine einen Steinadler erschlagen. Wie lassen sich solche Vorfälle verhindern? Forscher der Uni Bern arbeiten an einer Lösung.

Symbolbild: Keystone

Christoph Albrecht

Die Geschichte schlug in der ganzen Schweiz Wellen: Auf dem Mont Crosin im Berner Jura ist ein Steinadler von einer Windturbine getötet worden. Das Rotorblatt hatte das Tier in seinem Steigflug erfasst. Ein Spaziergänger beobachtete die Szene und fand den toten Adler später mit abgeschlagenem Kopf am Fuss der Turbine.

Der Vorfall, der sich schon letzten November ereignete, wirft kein gutes Licht auf Windkraftanlagen, von denen es hierzulande immer mehr gibt. Es drängt sich die unangenehme Frage auf: Wird ausgerechnet eine aufstrebende erneuerbare Energiequelle zum Todesurteil für bedrohte Vögel und somit zur Gefahr für die Biodiversität?

«Je mehr Windparks entstehen, desto wahrscheinlicher werden solche Kollisionen», sagt Raphaël Arlettaz, Biologieprofessor an der Universität Bern. Seit Jahren beschäftigt er sich mit dem Einfluss von Windturbinen auf Tiere. Für Arlettaz besteht kein Zweifel, dass die wachsende Anzahl Anlagen für die Vögel eine zunehmende Bedrohung darstellen. Der Biologe ist jedoch überzeugt: Das Risiko liesse sich in Zukunft minimieren. «Es kommt stark darauf an, an welchen Standorten neue Windparks gebaut werden.»

Wo könnten sich bedrohte Vögel und Windturbinen in die Quere kommen? Die Frage ist Teil eines aktuellen Forschungsprojekts von Arlettaz. Zusammen mit seinem Team fängt der Wissenschaftler dazu in den Walliser Alpen Steinadler ein und stattet sie mit GPS-Sendern aus. «So können wir ihre Flugrouten im Detail analysieren.»

 

«Konfliktkarte» soll
bei Standortwahl helfen

Die Daten sollen darüber Aufschluss geben, wo die Vögel konkret unterwegs sind, in welchen Flughöhen sie sich bewegen und wie sie auf Hindernisse reagieren. Das Ziel der Analyse: Eine sogenannte Konfliktkarte für die ganze Schweiz zu erstellen. Diese könnte dereinst aufzeigen, welche Gebiete für neue Windkraftanlagen wegen erhöhter Kollisionsgefahr mit bedrohten Vogelarten ungeeignet sind. «Die Karte soll eine Orientierungshilfe für Behörden und Energieunternehmen sein, wenn es darum geht, neue Windparks zu realisieren.»

 

Gefährliche Flughöhe
des Bartgeiers

Noch ist das Forschungsprojekt, das von Privatstiftungen sowie den Bundesämtern für Energie und Umwelt finanziell unterstützt wird, in vollem Gang. Die Daten zum Steinadler sind zwar noch nicht ausgewertet. Allerdings verfügen die Berner Forscher über Erkenntnisse, was das Flugverhalten des Bartgeiers anbelangt. Der Greifvogel ist hierzulande noch stärker gefährdet als der Steinadler. Zurzeit gibt es schweizweit nur noch 24 Brutpaare. Die Verhaltensanalyse des Bartgeiers hat gezeigt, dass der Vogel bei seinen Streifzügen im Gebirge häufig die thermischen Winde entlang von Kreten nutzt. Er fliegt dabei oft weniger als 200 Meter über dem Boden – und somit genau im Höhenbereich von Windturbinen. Werden in solchen Gebieten Anlagen gebaut, bestehe ein «erhebliches Risiko, dass der Bartgeier mit Rotorblättern kollidiert», hält die Forschergruppe fest.

Das Problem: Gerade im Gebirge scheint das Potenzial für die Windenergie gross. Gemäss Bundesamt für Energie (BFE) befinden sich geeignete Standorte für künftige Anlagen «auf den Jurahöhen, aber auch in den Alpen und Voralpen und im westlichen Mittelland». Heute sind in der Schweiz total 41 grössere Windenergieanlagen in Betrieb – und es dürften bald etliche dazukommen. Laut BFE liegen zurzeit für 114 Anlagen Plangenehmigungsanträge auf. Für weitere 160 existieren Projektideen, darunter auch einige im Alpenraum. Rund ein Drittel dieser Vorhaben liegt laut dem Forschungsteam der Uni Bern in Gebieten, die der Bartgeier als Habitat nutzen könnte.

 

Hier stehen heute Windkraftanlagen

Nach dem tödlichen Vorfall im Berner Jura erfahren gerade solche potenziell problematischen Projekte neuen Gegenwind. So fordert etwa die Organisation Freie Landschaft Schweiz, dass geplante Anlagen überall dort auf Eis gelegt werden, wo Konflikte mit stark gefährdeten Vogelarten drohen.

Windparks sind jedoch längst nicht nur für den Steinadler und den Bartgeier ein Problem. «Kollisionsgefährdet sind insbesondere grosse Vögel mit geringer Manövrierfähigkeit», heisst es bei der Vogelwarte Sempach. Dazu gehörten etwa auch Störche oder Uhus, aber auch Fledermäuse geraten immer wieder in die Rotorblätter.

 

Vogelwarte: 21 erschlagene Vögel pro Windturbine

Doch wie viele Tiere verenden tatsächlich in der Todesfalle Windturbine? Verlässliche Zahlen gibt es nicht, denn häufig werden getötete Vögel relativ schnell von Füchsen und anderen Tieren gefressen.

Die Vogelwarte Sempach hat vor ein paar Jahren jedoch eine Feldstudie durchgeführt. Die Stiftung suchte im jurassischen Le Peuchapatte die Umgebung des dortigen Windparks während fast eines Jahres systematisch nach «Schlagopfern» ab. Das Resultat: durchschnittlich fast 21 erschlagene Tiere pro Windanlage.

Die Problematik ist längst in die technologische Entwicklung von Windturbinen eingeflossen. So gibt es etwa Anlagen, bei denen die Rotorblätter automatisch abbremsen, wenn sich Vögel bedrohlich nähern – oder die Anlagen bleiben etwa bei Nebel gleich ganz ausgeschaltet. Andere Systeme versuchen die Tiere durch Licht oder Schall abzuschrecken. Auch mit schwarz lackierten Rotorenblättern wurde bereits experimentiert. Sie sollen die Gefahr für Vögel besser sichtbar machen.

Der Biologe Raphaël Arlettaz von der Universität Bern zweifelt jedoch am Nutzen solcher Innovationen. «Die Lösung liegt meiner Ansicht nach nicht in der Technologie, sondern in der Raumplanung.» Er glaubt daran, dass die Konfliktkarte das Problem dereinst entschärfen könnte – wenn sie denn berücksichtigt wird, wirtschaftliche Interessen hin oder her. Allzu viele Hoffnungen mag er sich indes nicht machen. «Leider verliert am Ende oft die Biodiversität.»

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