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Öffentlicher Verkehr

Wenn Direktoren ins Stottern geraten

Wieso können Fahrgäste auf Strecken wie Biel-Ins ein 1.-Klass-Billett lösen, obwohl es keine 1. Klasse gibt? Ist es eventuell strafbar, etwas zu verkaufen, das nicht existiert? Die Verantwortlichen weichen aus oder wissen es nicht.

Der Beweis: Auf der Strecke Biel-Täuffelen-Ins können 1.-Klass-Billette gekauft werden, obwohl die 1. Klasse nicht existiert. Bild: Peter Samuel Jaggi

Lotti Teuscher

Die Bieler Max und Margrit Muster* sind keine ÖV-Nutzer, deshalb haben sie kein Halbtaxabonnement. Aber an diesem Tag beschliessen sie, für einmal mit dem BTI-Bähnli nach Ins zu fahren. Und zwar komfortabel. Sie lösen beim Gleis 11 in Biel am Automaten zwei ganze Billette 1. Klasse. Das kostet 18.80 Franken. Max und Margrit Muster steigen hinten ein und arbeiten sich durch mehrere Türen im schwankenden Bähnli nach vorne. Als es zuvorderst ankommt, stellt das Paar fest, dass es keine 1. Klasse gibt.

Max und Margit Muster haben 7.80 Franken zu viel bezahlt. Weil Aare-Seeland-Mobil (ASM), wie das Bähnli heute heisst, etwas verkauft, das es nicht hat. Wie ist das möglich?

Viele Fragen
Pendler wissen natürlich, dass es keinen Sinn macht, 1. Klasse zu lösen. Doch was ist mit Leuten wie Musters, die die Strecke nicht kennen, weil sie nur selten den ÖV nutzen? Oder mit Ortsunkundigen, zu denen auch zahlreiche Wanderer gehören?

Wer das Billett Biel-Täuffelen-Ins per App bestellt, wird immerhin darauf aufmerksam gemacht, dass die 1. Klasse fehlt – ganz unten und in Kleinschrift. Aber auch via App kann man die nichtexistente 1. Klasse buchen. Im elektronischen Kursbuch ist zwar angegeben, dass es auf dieser Strecke nur die 2. Klasse gibt. Doch Musters haben nicht im Internet nachgeschaut und sind spontan nach Ins gefahren – sie haben sich darauf verlassen, dass nur verkauft wird, was es gibt.

Keine plausible Antwort
Frage an Fredy Miller, Direktor von Aare Seeland Mobil: Warum wird auf den Billettautomaten die 1. Klasse nicht einfach deaktiviert, wenn es sie nicht gibt? Und falls das nicht möglich ist: Weshalb erscheint auf dem Bildschirm kein Hinweis für die Kunden? Die Kunden würden die Billettautomaten vielfach als zu kompliziert empfinden, sagt Miller. Ein weiterer Hinweis würde sie nur noch mehr verwirren.

Das Gespräch verläuft harzig. Dass Kunden auch auf Strecken, die keine 1. Klasse bietet, das teuerste Billett lösen können, sei normal, sagt Miller: «Dies ist auf dem ganzen Libero-Netz so.»

Doch dies war nicht die Frage – die Frage ist, ob sich ASM eine Irreführung der Kunden erlaubt. «Der Gast kann sich vorher informieren», sagt Miller. Zudem würden fast nur Pendler die BTI-Bahn nutzen: «Und dies sind fast alles Kunden mit Streckenabonnementen», so Miller. Ohnehin könne er diese Frage nicht beantworten, weil Bernmobil für die Tarife im Libero-Verbund zuständig sei.

Nochmals: Keine Antwort
Also ein Anruf nach Bern. Daniel Hirt, Direktor des Tarifverbunds, holt erst einmal etwas weiter aus. Dass man für Fahrten, auf denen nur die 2. Klasse existiert, auch ein 1.-Klass-Billett lösen könne, sei in der ganzen Schweiz so. Dies sei eine Besonderheit, er wisse nicht, worauf diese gründe. Aber: Er habe noch keine einzige Reklamation erhalten, weil jemand auf einer Strecke ohne 1. Klasse ein 1.-Klass-Billett gelöst habe.

Nochmals: Warum ist dies so? Das habe er sich noch nie überlegt, sagt auch Hirt, er lacht verlegen. Grundsätzlich sei es so, dass ein Billett einfach für eine bestimmte Anzahl Zonen gültig sei, und die Zonen seien frei wählbar.

Einspruch! Auf jedem Billett steht, wohin die Reise geht; neutrale Zonenbillette gibt es am Automaten nicht. Hirt verweist auf Miller von ASM, dieser könne die Fragen beantworten – richtig, jener Miller, der seinerseits auf Bernmobil verwiesen hat.

Eine enttäuschende Antwort
Frage an Roger Baumann von der Ombudsstelle Öffentlicher Verkehr: Weshalb werden Billett-Automaten für Strecken wie Biel-Ins nicht anders programmiert? Baumann sagt, er sei nicht zuständig, diese Frage müsse Hirt von Bernmobil beantworten (genau, jener Daniel Hirt, der auf Miller verwiesen hat). Nach einigem Insistieren ist Baumann bereit, dem Problem nachzugehen – das eigentlich gar keines sei, würden doch zwei Drittel aller Bahnkunden Streckenabonnemente besitzen. Hirts Antwort kommt einen Tag später, und sie ist enttäuschend: Er mailt – wenig hilfreich – das 60 Seiten dicke Manual für den Öffentlichen Verkehr mit dem Untertitel: «Eine Bedienungsanleitung für die ÖV-Praxis.»

Bieler Rechtsanwalt weiss es
Könnten Max und Margrit Muster die ASM-Betreiber verklagen? Zum Beispiel wegen Irreführung oder Vorspiegelung falscher Tatsachen. Diese Frage geht an den Bieler Rechtsanwalt Mario Stegmann. Er ackert sich durch das Personenbeförderungsgesetz und wird in der Rubrik «Allgemeiner Personentarif» fündig. Da steht auf Seite 16 unter Ziffer 21.5 tatsächlich: «Wird ein Billett 1. Klasse für eine Verbindung verlangt, für die auf Teilstrecken nur die 2. Klasse geführt wird, so ist das Billett für die 1. Klasse auszugeben. Für die betreffende Teilstrecke ist jedoch nur der Preis der 2. Klasse zu berechnen.» Das Problem liegt gemäss Stegmann darin, dass hier nicht eine bestimmte Fahrt gekauft wird, sondern ein Libero-Zonenbillet.

Daraus folgert Anwalt Stegmann, dass es kaum möglich ist, gegen die Betreiber dieser Bahnen vorzugehen. Persönlich ist Stegmann aber der Meinung, «dass es speziell ist, etwas zu verkaufen, das nicht angeboten wird». Musters bleibt also nichts anderes übrig, als die Faust im Sack zu machen.

Theoretisch wäre es möglich, dass Musters den zu viel bezahlten Betrag zurückfordern. Doch wer macht schon für den Betrag von knapp acht Franken einen Aufstand? Dies könnte auch erklären, weshalb die Verantwortlichen sagen, dass sie nie Reklamationen erhalten. Und deshalb glauben, dieses Problem sei inexistent.

* Fiktives Beispiel

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