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Hochzeit

«Wer im Mai heiraten will, 
sitzt auf heissen Kohlen»

Veranstaltungslokale, Brautboutiquen und Hochzeitsfotografen haben eine zweite unsichere Saison in Folge vor sich. Manche Paare schieben ihren grossen Tag ins 2022 oder lassen ihn ganz fallen.

Wie viele Stühle dürfen in dieser Hochzeitssaison aufgestellt werden? Das weiss aktuell niemand so genau. Bild: Matthias Käser

Carmen Stalder

Es gibt Brautpaare, die ihre Hochzeit schon vier Mal verschoben haben: vom vergangenen Frühling in den Herbst, in der festen Überzeugung, dass das damals neu aufgetretene Coronavirus bis dahin Geschichte sein wird. Vom Herbst in den kommenden Frühling, weil diese vermaledeite Krankheit nach einem Jahr ganz sicher verschwunden sein wird. Und weil die Situation nun entgegen jeder Hoffnung weiterhin düster aussieht, haben sie das grosse Fest abermals in den kommenden Herbst verschoben – oder gleich ins 2022. «Manche mögen jetzt gar nicht mehr und lassen es ganz sein», sagt Ursula Harvey, Geschäftsführerin des Von Rütte-Guts in Sutz. Sie dagegen versuche, die Brautpaare zu beruhigen und zu einem weiteren Abwarten umzustimmen.

Hochzeitspaare, die derzeit ihre Vermählung planen, sind nicht zu beneiden. Sie müssen sich mit einer Vielzahl von Fragen auseinandersetzen, die ihnen niemand beantworten kann. Ab wann sind Veranstaltungen wieder zugelassen? Wie viele Familienmitglieder und Freunde können eingeladen werden? Muss mit Maske und Abstand gefeiert werden oder ist bis im Sommer wieder ein normales Zusammenkommen möglich?

Hinzu kommt ein Berg an organisatorischen Aufgaben. Der ursprünglich ausgewählte Termin muss verschoben werden. Damit einher gehen die Suche nach einem Ersatzdatum, das Kontaktieren der Gäste sowie aller beteiligten Akteure, darunter Fotografinnen, Caterer, Floristen und Hochzeitsplanerinnen. Dies alles mit der bleibenden Sorge, ob es am Ende wirklich klappt mit dem grossen Fest. «Diese Unsicherheit nimmt den Brautpaaren die Freude. Sie haben viel Geld und Planung in ihre Hochzeit gesteckt und wollen alles perfekt haben», sagt Lilian Schär. Die Frau weiss, wovon sie spricht: Gemeinsam mit ihrem Mann Erich führt sie die mehrfach ausgezeichnete Hochzeitslocation Froschkönig Event GmbH in Detligen.

 

Einzelne Absagen

Der «Froschkönig» ist so beliebt, dass die künftigen Eheleute ihren Termin bis zu zwei Jahre im Voraus buchen. Nun habe sie weinende Bräute am Telefon, die nicht mehr weiter wüssten, erzählt Schär. «Wer im Mai heiraten will, sitzt auf heissen Kohlen.» Seit Ende Oktober konnten Schärs keine einzige Veranstaltung mehr durchführen, alle geplanten Winterhochzeiten sind ins Wasser gefallen. Ab dem Frühling, wenn sozusagen die Hochsaison der Hochzeiten anläuft, ist der «Froschkönig» wie jedes Jahr ausgebucht. Stornierungen habe es erst zwei gegeben – ein Paar habe sich unterdessen getrennt, ein anderes wolle nicht riskieren, mit Maske feiern zu müssen. «Wir bleiben optimistisch», sagt Schär, «doch im Moment steht in den Sternen, wie das 2021 für uns laufen wird».

Ein weiterer beliebter Veranstaltungsort für Hochzeiten im Seeland ist der Römerhof in Bühl. Drei Viertel aller geplanten Veranstaltungen, dazu gehören auch Firmenanlässe, mussten die Brüder Thomas und Alexander Krebs 2020 absagen. Nun droht das laufende Jahr ebenso schlecht zu werden: «Für März und April haben wir schon vier bis fünf Annullierungen», sagt Thomas Krebs. Und auch die Brautpaare, die einen Termin im Mai oder Juni gebucht haben, tendierten aktuell zum Verschieben. Ein paar wenige würden die Gästeliste verkleinern und entfernte Verwandte ausladen. «Die Mehrheit sagt sich aber: Wenn schon feiern, dann richtig.»

Ursula Harvey vom Von Rütte-Gut plädiert für kreative Lösungen: Warum nicht eine venezianische Hochzeit mit eleganten Masken planen, die Gäste gruppenweise ans Fest einladen oder gar zwei Feiern durchführen? Sie hofft, dass gelockerte Massnahmen zu einem Anstieg der Buchungen führen. Sind die Wochenenden auf dem Von Rütte-Gut normalerweise den ganzen Sommer über ausgebucht, gebe es jetzt viele Reservationslöcher. 2020 musste der Betrieb bereits um die 40 Absagen verkraften, und auch heuer sehe es nach massiv weniger Buchungen aus. Als von den Corona-Massnahmen stark betroffener Betrieb hoffe man auf Härtefall-Entschädigungen, was zur Zeit beim Kanton in Bearbeitung sei. So sieht es auch beim «Froschkönig» aus: «Bisher haben wir keinen Rappen gesehen», so Schär.

 

Apéro aus der Box

Nicht nur Veranstaltungsorte bekommen die Unsicherheit der Brautpaare zu spüren. Betroffen sind auch Fotografen wie Marco Roth aus Nidau, der auf Hochzeiten spezialisiert ist. Sein Auftragsbuch sei deutlich leerer als sonst, die Leute würden mit der Planung bis zum letzten Moment warten. Um sich über Wasser zu halten, setzt er vermehrt auf Filme und Firmenaufträge. Und auch er findet, dass nun nach neuen Wegen gesucht werden müsse. So habe er letzte Woche eine Hochzeit fotografiert, an der nach der Trauung in der Kirche alle Gäste eine kleine Kiste mit den Zutaten für ein Apéro erhalten haben. Später ging es in einen Saal, in dem ein einziger Tisch mit fünf Plätzen stand. Im Turnus konnten sich dann jeweils drei Personen zum Brautpaar dazusetzen. Ob das allerdings jedermanns und -fraus Vorstellung einer Traumhochzeit ist, sei dahingestellt.

David Beyeler aus Lyss betreibt die Hochzeitsfotografie als Nebenerwerb. Aktuell habe er keine einzige Anfrage. Er glaubt, dass es dafür 2022 umso mehr Hochzeiten geben wird. Patrick Schorer, Hochzeitsfotograf aus Kallnach, kann sich dagegen nicht über zu wenig Aufträge beklagen. Es sei allerdings ein Trugschluss, daraus auf ein gutes Geschäftsjahr zu schliessen: «Letztes Jahr sind 95 Prozent meiner Aufträge ausgefallen. Bei den meisten, die ich jetzt habe, handelt es sich bloss um Verschiebungen.» Schorer muss sich ausserdem mit Hochzeitspaaren auseinandersetzen, die ihn im Vorjahr beauftragt haben, ihm nun jedoch absagen – weil sie ihre Feier nur in kleinem Rahmen durchführen und so keinen Fotografen benötigen. Weil Fotografieren weiterhin erlaubt ist, kann er keine Entschädigung beantragen – und das, obwohl die meisten Anlässe, an denen er arbeiten würde, gar nicht stattfinden dürfen.

 

Kleider-Wahl muss warten

Einen schweren Stand hat Marie-Josée Büttikofer: Ihre Brautboutique Josy in Grenchen ist geschlossen. Bräute können ihre bestellten Kleider nicht anprobieren und anschliessend anpassen lassen. Und auch Online-Shopping ist keine Option: «Die Frauen wollen nicht nur ein Kleid anprobieren. Ausserdem hat sowieso jeder Lieferant unterschiedliche Schnitte und Masse», sagt Büttikofer. Ihr bleibt im Moment also nichts anderes übrig, als zu warten – obwohl Januar und Februar für gewöhnlich die besten Verkaufsmonate sind. Immerhin ein Umstand stimmt die Geschäftsinhaberin positiv: Im Unterschied zu anderen Brautmodegeschäften hat sie ein grosses Lager mit Grössen zwischen 34 und 60, ausserdem arbeiten im eigenen Nähatelier vier Schneiderinnen. Heisst: Wenn es dann einmal losgeht, kann die Boutique schnell reagieren und einer Frau innert Kürze ein passendes Kleid hervorzaubern.

Die Eventplanerin Nadja Brotschi aus Grenchen organisiert als «Hochzeits-Fee» den «perfekten Tag» für Brautpaare. Sie hat aktuell sehr viel zu tun, was aber auch daran liegt, dass sie ständig mit Daten jonglieren muss. «Ich bin zwar ungern die Spassbremse, sage aber all meinen Paaren, dass sie sich einen Plan B mit Ersatzdatum im Herbst oder gar im nächsten Jahr zurecht legen sollen.» Grundsätzlich sei sie positiv überrascht, wie viele Anfragen sie seit Anfang Jahr trotz der unsicheren Situation erhalten habe. Die Paare seien heiratswillig – und würden auch beim Budget keine Abstriche machen: «Die Leute wollen feiern und sich etwas gönnen. Jetzt umso mehr.»

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