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Beziehungen

Wie beweist man dem Staat, dass es Liebe ist?

Der Lysser Michael Eicher hat sich verliebt und möchte heiraten. Das Problem: Seine Verlobte, Nattamon Manjai aus Thailand, ist seine Stiefschwester. Die Behörden wittern eine Scheinehe und verweigern ihr die Einreise in die Schweiz. Nun hofft Eicher auf Plan B.

Michael Eicher, sein Vater Martin und dessen Frau Waranchaya Eicher hoffen auf ein gutes Ende der Liebesgeschichte. Bild: Peter Samuel Jaggi

von Andrea Butorin

Michael Eicher wird den Moment nie vergessen, als er Nattamon Manjais Hand nahm: «Es war, als schiesse Strom meinen Arm hoch.» Etwas war geschehen. «Das kann doch nicht wahr sein», dachte er sich, «ist das jetzt Liebe?» Diese Szene ereignete sich im Herbst 2019. Es war bitterkalt, und Michael Eicher aus Lyss spazierte mit seiner Stiefschwester Nattamon Manjai, die aus Thailand zu Besuch war, durch Bern. Er wollte ihr die Schweiz zeigen, das Land, in dem ihre Mutter lebt, seit sie mit dem Vater von Michael Eicher verheiratet ist.

Nun sitzt der 34-Jährige im Wohnzimmer seines Vaters Martin Eicher. Dieser nimmt mit seiner Frau Waranchaya Eicher ebenfalls Platz. Im Raum dominieren farbenfrohe Bilder und Papierblumen, Buddhafiguren, Räucherstäbchen und nebst der Sitzgruppe eine Massageliege, da Waranchaya Eicher hier Thai-Massagen anbietet.

Sie wollen von der Liebe erzählen, die Michael Eicher unerwartet heimgesucht habe: «Solche Gefühle wie mit Nattamon habe ich nie zuvor verspürt.» In die Arme nehmen konnte sich das unterdessen verlobte Paar allerdings zum letzten Mal vor zehn Monaten. Wegen der Coronapandemie waren Thailands Grenzen lange zu. Und die Schweizer Behörden schenken der Ernsthaftigkeit der Beziehung keinen Glauben und liessen die 22-Jährige letztes Jahr nicht mehr einreisen.

«Es drängt sich (...) der Schluss auf, dass jedenfalls vonseiten der Beschwerdeführerin die Ehe einzig beabsichtigt wird, um zu einer Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz zu gelangen, hier bei ihrer Mutter und der jüngeren Schwester zu leben und sich bessere Zukunftsaussichten zu sichern», zitiert Michael Eicher aus einem der vor ihm liegenden Dokumente.

Eltern trafen sich in Pattaya

Angefangen hat alles im thailändischen Touristenort Pattaya: Martin Eicher, Michaels Vater, wollte dort die Zähne behandeln lassen und gleichzeitig Ferien machen. Über eine Bekannte lernte er Waranchaya kennen, die dort als Thai-Masseurin arbeitete. Es folgten weitere Zahnpflege- und Ferienreisen nach Pattaya, wobei sie sich besser kennenlernten. 2017 heiratete das Paar in Thailand. Danach zog Waranchaya Eicher nach Lyss.

In einem dreistöckigen Haus besitzen Martin Eicher und seine beiden Söhne je eine Eigentumswohnung. Waranchaya Eicher wollte ihre beiden Töchter zu sich holen und stellte ein Gesuch um Familiennachzug. Die jüngere, heute 14-jährige Tochter durfte nach Lyss ziehen. Nattamons Gesuch wurde im März 2019 abgelehnt, da sie zum Zeitpunkt der Beantragung bereits volljährig war.

Nattamon Manjai sah ihre Mutter, Schwester und den Stiefvater ab da rund dreimal im Jahr bei deren Thailand-Ferien. Als bekannt wurde, dass ihre Elternteile heiraten werden, begannen Michael Eicher und Nattamon Manjai, sich auf den Sozialen Medien auszutauschen. Im Oktober 2019 reiste Nattamon Manjai, die zuvor noch nie im Ausland war, mit einem Touristenvisum in die Schweiz, um für drei Monate ihre Familie zu besuchen. Hier lernte sie Martin Eichers beiden Söhne kennen.

Michael Eicher fand, dass Nattamon, die von allen Sai genannt wird, während ihres Aufenthalts etwas von der Schweiz sehen sollte und lud sie an den Wochenenden zu Ausflügen ein, nach Luzern, in die Berge und auch nach Bern.

Über seine aufkeimenden Gefühle und die gleichzeitigen Zweifel sprach Michael Eicher als erstes mit seiner Mutter Iris Saner, die in Kirchberg lebt. «Ich erinnere mich, dass der Michi vor Nattamons Besuch skeptisch war und fand, es gebe keinen Platz mehr im Haus», erzählt sie dem BT am Telefon. Sie habe vorher ab und zu Sprüche gemacht hinsichtlich der jungen und attraktiven Stiefschwester, die ihr Sohn resolut mit «nicht mal vielleicht» konterte. Nach dem Erlebnis in Bern riet sie ihm, zu seinen Gefühlen zu stehen. Für sie sei die Hauptsache, dass es ihrem Sohn gut geht und dass er glücklich ist. «Liebe kann man nie steuern.»

Von diesem Zuspruch motiviert, schrieb Michael Eicher Nattamon Manjai einen Brief, den er ihr hinlegte, bevor er frühmorgens zur Arbeit aufbrach. Am Abend sprachen sie sich aus und waren ab da ein Paar. Der nächste Schritt war, Warnachaya Eicher von ihrer Liebe in Kenntnis zu setzen und um Zustimmung zu bitten. Denn in Thailand gilt die Beziehung von zwei Stiefgeschwistern als problematisch. Doch Waranchaya Eicher sprach mit beiden getrennt voneinander und gab dann ihre Zustimmung. Sie sagt: «Michael is a good man.»

Mitte November machte Michael Eicher seiner Partnerin einen Heiratsantrag. Sie sagte Ja.

Am 14. Januar 2020 endete Nattamon Manjais Besuchervisum, und sie flog zurück nach Thailand. «Das hat mein Herz gebrochen», sagt Michael Eicher. Dem Paar war klar, dass es sich so rasch wie möglich wiedersehen und die Hochzeit vorantreiben wollte. Nattamon Manjai hätte gern in Thailand geheiratet. Doch Michael Eicher fand, es sei besser, sich in der Schweiz trauen zu lassen. «Schliesslich wollen wir nachher hier leben.» Ausserdem sei das Verfahren in Thailand teuer, aufwändig und dauere mindestens zwei bis drei Monate.

Hätte er gewusst, was noch alles auf ihn zukommt, dann hätte er sich anders entschieden.

Zehn gemeinsame Tage in Thailand

Ein normales, 90 Tage gültiges Touristenvisum muss sechs Monate im Voraus beantragt werden. Um sich früher sehen zu können und um die Ehevorbereitungen vorantreiben zu können, beantragte Nattamon im Februar in Bangkok ein sogenanntes «Nationales Visum für Eheschliessung oder Eintragung einer Partnerschaft in der Schweiz».

Michael Eicher und Nattamon Manjai in der Schweiz. Bild: zvg

 

Dafür mussten sowohl Manjai als auch Eicher zahlreiche Dokumente einreichen. Der Migrationsdienst des Kantons Bern schickte Eicher einen Katalog mit 21 Fragen zum Kennenlernen, zur Beziehungsführung, zu Sprachkenntnissen oder den finanziellen Verhältnissen. Er legte Chatprotokolle bei, diverse Finanzbelege und 82 eigens ausgedruckte Fotos von sich und seiner Verlobten. Auf eine Rückgabe dieser Unterlagen wartet Eicher trotz mehrerer Anfragen übrigens bis heute – mit den Fotos hätte das Paar gern ein Album erstellt.

Um die Zeit zu überbrücken und auch, um mit seiner Liebsten Geburtstag feiern zu können, reiste Michael Eicher letzten März für zehn Tage nach Thailand – längere Ferien lagen für ihn, den Produktionsmitarbeiter eines Fassadenbauers, nicht drin. Dies einerseits zu seinem Glück: Denn das Coronavirus war da schon auf weltweitem Vormarsch, und am 25. März schloss Thailand seine Grenzen. Wenig später hätte er das Land also höchstens noch dank einem von der Schweiz organisierten und teuren Rückflug verlassen können. Andererseits stellte Corona ein weiter Schicksalsschlag für das Paar dar, denn seit Eichers Rückreise in die Schweiz haben sie sich nicht mehr sehen können. Thailand verhängte einen harten Lockdown, und bis heute muss in Quarantäne, wer in das Land einreisen will (siehe Zweittext «Die Situation in Thailand»).

Telefonieren jeden Tag

Wie lebt man unter diesen Umständen eine Beziehung? «Wir chatten und telefonieren jeden Tag mehrere Stunden», sagt Michael Eicher. An einem Arbeitstag ruft er Nattamon Manjai wegen der Zeitverschiebung schon morgens um 4 Uhr via Whatsapp oder Facebook an, auch die Pausen und der Feierabend gehören ihr. Daneben baut er nach und nach sein Studio im Obergeschoss des Familienhauses nach Nattamons Ideen um. Auch für ihre berufliche Zukunft möchte er sorgen und die familieneigene Garage zu einem Nagel- und Kosmetikstudio umbauen.

Und wie geht es Nattamon Manjai? Michael Eicher ruft seine Verlobte kurzerhand per Whatsapp an. «Nicht gut», beantwortet sie die Frage auf Englisch, «ich vermisse Michael sehr. Wir haben uns jetzt schon so lange nicht mehr gesehen.»

Wegen Corona ist ihre wirtschaftliche Situation sehr schwierig. Pattaya, wo sie arbeitete, ist seit dem Ausbleiben der Touristen zum Geisterort verkommen. Weil sie keine Arbeit mehr hat, lebt sie in einem acht Stunden von Bangkok entfernten Dorf im Norden Thailands bei den Grosseltern. Mit ihnen und mit einem Onkel teilt sie sich ein Zimmer. «Hier ist mir niemand so nah wie Michael und meine Mutter es sind», sagt sie. Ihr Vater lebt zehn Stunden entfernt, das Verhältnis zu ihm ist schwierig. Michael Eicher unterstützt sie mit einem monatlichen Fixbetrag. «Ich möchte finanziell gern auf eigenen Beinen stehen», sagt sie.

Behörden vermuten Scheinehe

Mitte Mai macht der kantonale Migrationsdienst den beiden einen dicken Strich durch die Rechnung: Einreisegesuch abgelehnt. Die Gründe des Amts füllen sieben Seiten, die dem BT vorliegen.

Für die Behörden ist es augenscheinlich, dass die «Familienzusammenführung» von Nattamon Manjai, Waranchaya Eicher und deren jüngerer Tochter im Vordergrund für das aktuell beantragte Einreisevisum steht. Der Stiefsohn der Mutter diene «möglicherweise als eigentliches Mittel zum Zweck», was «äusserst stossend» sei. Weiter heisst es: «Selbst wenn es sich um eine ernsthafte Beziehung handelt, ist es doch als deutliches Indiz für eine Umgehung der Zulassungsvoraussetzungen zu werten, wenn der definitive Nachzug nach einer derart kurzen Beziehungsdauer beantragt wird.»

Wenn eine Ehe von Anfang an lediglich dazu dienen soll, die ausländerrechtlichen Zulassungsbestimmungen zu umgehen, spricht man von einer Scheinehe (siehe Infobox). Eine solche nachzuweisen ist oft schwierig und basiert auf Indizien.

Für die Behörden wirkt es nicht logisch, dass Manjai und Eicher bereits seit 2016 online miteinander kommunizierten, aber nicht bereits auf diesem Weg ein Paar geworden sind. «Den beiden konnte es ja nicht schnell genug gehen, als dann nur wenige Tage, nachdem die beiden der bedingungslosen Liebe verfallen waren, bereits der Heiratsantrag folgte», heisst es im Gegenzug. Ein weiterer Vorwurf lautet, dass Eicher in Manjais erstem Gesuch zwecks Familiennachzug noch kein Thema gewesen sei – dabei war sich das Paar zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht persönlich begegnet.

Es sei verständlich, dass sich die Gesuchstellerin nach Mutter und Schwester sehne «und nach einem Leben in vergleichsweise besseren Umständen als im Heimatland lechzt, eine schematische und durchschaubare Umgehung der Zulassungsvoraussetzung jedoch nicht dazu dient, derartige Wünsche zu erfüllen», schliesst der zuständige Sachbearbeiter seine Einschätzung. Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Recht auf Achtung des Privat— und Familienlebens könne nur auf Konkubinatspaare angewendet werden, wenn «eine lang dauernde und gefestigte Partnerschaft vorliegt und die Heirat unmittelbar bevorsteht» – wovon hier nicht die Rede sein könne.

Anwalt spricht von Willkür

«Ich wüsste gern, wie man Liebe beweist», sagt Michael Eicher über dieses Schreiben. Nach dessen Erhalt schaltete er einen Anwalt ein. Dieser reichte beim Kanton Beschwerde ein und argumentierte, dass die Sachlage falsch dargelegt worden sei und dass die Vorinstanz keine Beweise für ihre Indizien vorlege: «Einen Entscheid allein aufgrund einer Vermutung zu fällen, ohne den Sachverhalt wirklich abzuklären, ist willkürlich.» Ausserdem bemängelte er, dass kein rechtliches Gehör gewährt wurde. Michael Eicher reichte dieser Beschwerde einen persönlich formulierten Brief bei, indem er erneut versuchte, Liebesbeweise darzulegen.

Nun lag der Ball bei der Sicherheitsdirektion des Kantons Bern, also der übergeordneten Stelle des Migrationsdienstes. Sie verlangte von diesem eine Stellungnahme. Zwei Punkte daraus sind interessant: Erstens sei nebst der erfolgten Gelegenheit, Stellung zu beziehen, eine zusätzliche persönliche Anhörung «nicht unabdingbar». Zweitens folgender Satz: «Es ist richtig, dass der Scheineheverdacht auf die vorliegend als augenscheinlich empfundenen Indizien beruht.»

Trotzdem hielt der Migrationsdienst vollumfänglich an seinem Entscheid fest. Auch Michael Eicher wurde um Schlussbemerkungen gebeten. Am 30. November folgte dann der Beschwerdeentscheid der Sicherheitsdirektion, unterzeichnet vom zuständigen Regierungsrat Philippe Müller (FDP). Er ist 11 Seiten lang und fällt erneut ablehnend aus.

Die zweite Klatsche

Die Argumente sind im Grossen und Ganzen dieselben: «Als wesentliches Indiz für eine Scheinehe sind vorliegend insbesondere die Umstände des Kennenlernens und die Aufnahme einer Liebesbeziehung zu würdigen», heisst es. Misstrauisch machte die Behörden, dass im 2018 gestellten Antrag auf Familiennachzug von einer Familienliegenschaft mit acht Zimmern die Rede war (obwohl Martin Eicher und seine beiden Söhne je in einer eigenen Wohnung leben).

Das Kennenlernen des Paars wird sogar noch verschärft dargestellt, indem Nattamon Manjai am 22. Oktober in die Schweiz eingereist sei, gleichentags Michael Eicher vorgestellt wurde und sich das Paar dabei «augenblicklich» ineinander verliebt habe. Das lasse auf ein planmässiges Vorgehen schliessen, weil Manjai ohne die Eheschliessung keine Möglichkeit habe, bei Mutter und Schwester in der Schweiz zu leben.

Zwischen dem ersten persönlichen Treffen und dem Heiratsantrag vergingen knapp drei Wochen: «Diese Zeit erweist sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung als viel zu kurz, um eine bisher unbekannte Person soweit kennen zu lernen, dass daraufhin bereits ein gemeinsames eheliches Zusammenleben realistischerweise ins Auge gefasst werden kann», heisst es im von Regierungsrat Müller unterzeichnetem Bescheid.

Das Brautpaar kenne zudem die Sprache des jeweils anderen nicht und könne «nur notdürftig» auf Englisch miteinander kommunizieren – laut Michael Eicher basiere diese Aussage wohl auf den Chatprotokollen, und er bemängelt, dass nicht die mündlichen Kenntnisse beurteilt worden seien.

Nattamon Manjais derzeit schwierige wirtschaftliche Situation wird als weiteres Indiz betrachtet, die spezielle Covidsituation wird dabei ausser Acht gelassen. Von einer persönlichen Befragung von Michael Eicher würden sie sich keine zusätzlichen Erkenntnisse versprechen. Sogar «gänzlich fehlende Kontakte» muss sich das Paar als Vorwurf gefallen lassen, was Michael Eicher als zynisch beurteilt.

Und so geht auch die Sicherheitsdirektion – «auch wenn die Indizien einzeln keine Beweise für eine Scheinehe darstellen», wie sie schreibt – von Rechtsmissbrauch aus. Michael Eichers eingereichten Beweise liessen höchstens Rückschlüsse auf seinen Ehewillen zu, worauf es aber nicht in entscheidender Weise ankomme. Denn: «eine rechtsmissbräuchliche Scheinehe liegt bereits dann vor, wenn der Wille zur Führung einer dauerhaften Lebensgemeinschaft bei einem der Ehepartner fehlt.» Die Beschwerde sei deshalb vollumfänglich abzuweisen, ausserdem sei es der Beschwerdeführerin und ihrem Verlobten ohne Weiteres zumutbar, in Thailand zu heiraten.

«Wir können nicht direkt reagieren»

Auf diverse Rückfragen zu diesen Argumenten bittet Philippe Müller das BT um Verständnis, dass er sich aus personen- und datenschutzrechtlichen Gründen nicht zu den Einzelfällen äussern kann. «Diese Konstellation treffen wir oft an: Die betroffene Partei erzählt von ihrem Fall aus ihrer Sicht – und wir können darauf nicht direkt reagieren.» Er weist auf die Bestimmungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuches wie auch des Ausländer- und Integrationsgesetzes hin (siehe Infobox). Die Frage, weshalb die spezielle Coronasituation bei der Beurteilung nicht berücksichtigt wurde, beantwortet Müller wie folgt: «Corona hat vielerorts auf der ganzen Welt zu Einschränkungen geführt, denen nicht Rechnung getragen werden kann.»

Bleibt noch die Frage, wie man den Behörden seine Liebe beweisen kann oder muss: «Gar nicht», antwortet Müller, «die Liebe ist keine gesetzliche Voraussetzung und muss nicht bewiesen werden.» Eine Scheinehe definiere sich insbesondere dadurch, dass keine eheliche Gemeinschaft begründet wird, sondern die Bestimmungen über Zulassung von Ausländerinnen und Ausländern umgangen würden. Somit müssten die Verlobten im Rahmen des Ehevorbereitungsverfahrens die Begründung einer ehelichen Gemeinschaft nachweisen.

Vor Verwaltungsgericht

Michael Eicher wirkt müde, während er Dokument um Dokument hervorkramt, um seine Geschichte zu belegen. Sein Vater Martin und die Stiefmutter Waranchaya Eicher haben kein Verständnis für die Argumentation der Behörden: «Ich verstehe das nicht. Sie ist 22 Jahre alt. Sie braucht ihre Mutter nicht mehr. Sie braucht ihren Freund!», sagt Waranchaya Eicher über ihre Tochter und zum Hauptargument der Behörden, es gehe Nattamon Manjai lediglich um das Zusammenkommen mit Mutter und Schwester. Martin Eicher sagt: «Ich finde es fragwürdig, dass Aussenstehende einfach so beurteilen können, ob es eine Scheinehe ist.»

Michael Eicher und Nattamon Manjai hofften, dass sie dank eines Touristenvisums die Weihnachtsfeiertage zusammen in der Schweiz verbringen können – und dass dieses Visum unabhängig vom laufenden Verfahren geprüft wird.

Doch auch dieser Antrag wurde von der Schweizer Botschaft in Thailand abgelehnt. Eicher musste die bereits gebuchten Flüge stornieren. Und beschloss, juristisch weiterzukämpfen. Ende Dezember legte er beim Staatssekretariat für Migration (SEM) eine Beschwerde gegen diesen Visums-Entscheid ein. Ausserdem reichte er Anfang Jahr eine Beschwerde gegen den Entscheid der Sicherheitsdirektion vor Verwaltungsgericht ein. Aus finanziellen Gründen tat er dies vorerst ohne Anwalt. «Wenn ich das nicht gemacht hätte, dann hätte ich den falschen Vorwurf der Scheinehe auf uns sitzen gelassen», sagt er.

Unterstützt wird er dabei von seiner Mutter Iris Saner und deren zweitem Ehemann. «Meinem Sohn werden unwahrscheinlich kriminelle Sachen in die Schuhe geschoben», sagt Saner. Zu ihrem Ex-Mann und dessen neuer Frau hat sie zwar keinen Kontakt, aber Nattamon Manjai hat sie kennengelernt und sagt über sie: «Nattamon tut meinem Sohn gut.» Sie sehe, wie er sich verändert habe. «Die beiden haben sich wirklich gern.»

Der Plan B

Am Mittwoch ist Michael Eicher eine Rechnung des Verwaltungsgerichts von 3000 Franken als Vorschuss ins Haus geflattert. Das entspricht in etwa den erwarteten Gerichtskosten. Weil im bisherigen Verfahren lediglich Nattamon Manjai als Beschwerdeführerin auftrat, stellten sie ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung. Nun aber treten sowohl Eicher als auch Manjai als Beschwerdeführende auf. Das Gericht befand, dass Eicher für diese Kosten aufkommen könne. Eine Nachfrage des BT zu diesem Punkt wollte das Verwaltungsgericht mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht beantworten.

Eicher und Manjai wissen, dass sich das Gerichtsverfahren in die Länge ziehen würde. Nun müssen sie bis Anfang Februar entscheiden, ob sie den Fall weiterziehen wollen oder nicht. «Wenn ich die Rechnung bezahlen muss, fehlt mir das Geld für Plan B.»

Plan B ist, so rasch wie möglich nach Thailand zu reisen, um dort zu heiraten; derzeit kein einfaches Unterfangen. Zunächst benötigt er vom Zivilstandsamt ein Ehefähigkeitszeugnis, auf das er seit drei Monaten wartet. Als zweites muss er darauf hoffen, dass sich die Coronamassnahmen nicht wieder verschärfen. Im Moment dürfte er zwar nach Thailand reisen, aber vor Ort müsste er sich in eine sehr teure, zweiwöchige Quarantäne begehen. Weil ein zweiter Quarantäne-Hotelaufenthalt für seine Verlobte finanziell nicht drin liegt, müsste er diese zwei Wochen in Thailand allein verbringen. Danach sollte einer Hochzeit nichts mehr im Weg stehen. Wobei ihn diese gemäss den thailändischen Traditionen ebenfalls sehr viel Geld kosten dürfte. Nach der Heirat würde er für seine Frau den Familiennachzug beantragen – ob dieser gewährt würde, ist aufgrund der bisherigen Ereignisse nicht sicher.

«Glück kann niemand beweisen», sagt Iris Saner. Dass die Beziehung ein Leben lang halte, könne ebenso niemand garantieren, sagt sie. «Aber die beiden dürfen es nicht einmal versuchen.»

 

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Was Fachleute sagen

Der Berner Anwalt Michael Steiner ist unter anderem auf Familien-, Asyl- und Ausländerrecht spezialisiert. Michael Eicher hat ihn über den Fall vorinformiert, da er auf ihn zurückgreifen würde, falls es vor Verwaltungsgericht zu einem Prozess kommen sollte. Da die dort eingereichte Beschwerde nicht über Steiner gelaufen ist, kann er zum Fall nicht detailliert Auskunft geben. Prognose will er keine wagen: „Es besteht das Risiko, dass sich die Behörden in den Fall verbeissen wie ein Hund in den Knochen.“

Er stösst sich an der Argumentation im Beschwerdeentscheid der Sicherheitsdirektion, dass Michael Eicher als „Opfer der Frau dargestellt wird, die ihn ausnützen will“. Der Staat wirke für ihn hier wie ein „selbsternannter Moralwächter mit einer geheimen Maschine, die die wahren Absichten der Menschen durchleuchten kann“. Steiner ist zudem der Meinung, dass die Behörden das Paar bei dieser Art des Argumentierens zwingend hätte persönlich anhören müssen. Obwohl die Liebesgeschichte von Michael Eicher und Nattamon Manjai auch teilweise auf einer „unglücklichen Chronologie“ basiere, die gewisse Argumente der Behörden überhaupt erst ermöglicht habe, findet Steiner, dass der Staat dem Paar Glauben schenken sollte. „Es steht den Behörden nicht zu, die Chancen einer Ehe zu beurteilen. Wenns nicht klappt, dann klappts halt nicht.“ Was den Anwalt erstaunt, ist das starke Eingreifen des Staats in das Leben eines Schweizer Bürgers. „Und das ohne Not. Schliesslich gibt es keine fünf Kinder, bei denen man fürchten müsste, dass die auch nachkommen.“ Dass Nattamon Manjais für Dezember beantragtes Touristenvisum abgelehnt wurde, findet Steiner hingegen normal, und zwar wegen des noch laufenden Verfahrens (inklusive Beschwerdefrist) zum beantragten Visums zwecks Ehevorbereitungen.

Auch Esther Hubacher, die Leiterin von Frabina, eine Beratungsstelle für binationale Paare und Familien in Bern, hat sich mit Erlaubnis von Michael Eicher für das BT die Unterlagen angesehen. Hubacher ist noch nie mit einem Fall konfrontiert worden, der bis vor die Sicherheitsdirektion gelangt ist. Bislang hätten Zweifel seitens des Migrationsdienstes stets mit der Einreichung von weiteren Dokumenten und Fotos ausgeräumt werden können, sprich die Untersuchung wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Im Fall von Eicher und Manjai lägen gemäss dem Gesetz durchaus Indizien für das Vorliegen einer Scheinehe vor. Das wohl wichtigste Argument der Behörden sei das anfänglich gestellte und abgelehnte Gesuch um Familiennachzug. Weiter spiele es eventuell eine Rolle, dass die ganze Familie Eicher unter einem Dach lebe – auch wenn dies in drei separaten Wohnungen der Fall sei. Die Behörden könnten deshalb annehmen, dass die Ehe gar nicht gelebt würde, sondern dass Nattamon Manjai bei ihrer Mutter und Schwester leben würde. Und auch der wirtschaftliche Aspekt spiele mit: Thailand ist ein armes Land und ein Drittstaat. Nattamon Manjai habe abgesehen von der Ehe keine anderen Möglichkeiten, in der Schweiz zu leben. Von wirtschaftlichen Interessen dürfe deshalb ausgegangen werden.

„Speziell“ findet Esther Hubacher aber mehrere Aspekte in der Begründung der Sicherheitsdirektion: Zum Beispiel, dass der Coronasituation keine Rechnung getragen wurde, dann der Vorwurf, dass sich das Paar nicht schon online verliebt habe sowie die Formulierung, dass sich die drei Wochen zwischen dem persönlichen Kennenlernen und dem Heiratsantrag „nach der allgemeinen Lebenserfahrung als viel zu kurz“ erweisen. „Sie konnten ja gar nicht anders“, so Hubacher. Aus welchen Gründen dürfe man heiraten? Was genau ist Liebe? Das stehe nicht im Gesetzbuch, denn Liebe sei keine gesetzliche Voraussetzung für die Ehe. Da wird einzig verlangt, dass man eine „auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft eingehen“ wolle. Und genau das sprächen die Behörden Nattamon Manjai gänzlich ab.

Migrationsrechtliche Motive dürfen bei einer Ehe laut Gesetz sogar vorhanden sein, aber die Behörden werfen Manjai vor, dass bei ihr ausschliesslich solche zum Tragen kämen. Nattamon Manjai müsste also eigentlich ihre Liebe respektive ihren Willen, eine Lebensgemeinschaft mit Michael Eicher zu begründen, beweisen können,

Esther Hubacher weiss nicht ob der Weiterzug vor Verwaltungsgericht Chancen haben wird. Sie rät der Familie, zur Beratung unbedingt einen Anwalt beizuziehen. Eventuell hätte Plan B, (eine Hochzeit in Thailand und danach einen Antrag auf Familiennachzug) mehr Erfolg. Das wäre ein neues Verfahren mit unterdessen neuen Fakten: „Das Paar würde sich dann schon länger kennen und wäre verheiratet. Deshalb hätten sie wahrscheinlich grössere Chancen auf eine Bewilligung.“

 

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Was ist eine Scheinehe

Das  Recht  auf  Ehe  und  Familie  ist auf  nationaler  und internationaler  Ebene  verankert.  Bei  binationalen  Ehen  steht dieses Recht jedoch oftmals  im  Widerspruch  zu  einer  restriktiven  Einwanderungspolitik. Gemäss Zivilstandesverordnung benötigen ausländische Verlobte, die nicht in der  Schweiz  wohnen,  für  die Eheschliessung  in  der  Schweiz  eine  Bewilligung  der zuständigen kantonalen Aufsichtsbehörde im Zivilstandeswesen. Ausserdem kann in der Schweiz nur heiraten, wer seinen rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz belegen kann. Der  Entscheid  über  Aufenthalt  und  Einreise obliegt bei einem Aufenthalt zur Vorbereitung der Eheschliessung ausschliesslich den Behörden   in   der   Schweiz. Von einer Scheinehe oder Ausländerrechtsehe spricht man laut Bundesgesetz, „wenn die Ehe einzig und allein eingegangen wurde, um die ausländerrechtlichen Bestimmungen zu umgehen und die Ehegatten von Anfang an keine echte eheliche Gemeinschaft zu führen beabsichtigen“.

In der Praxis kann eine Scheinehe meist nicht mittels direktem Beweis nachgewiesen werden, sondern aufgrund einer Reihe von Indizien wie hängiges Ausweisungsverfahren, kurze Dauer des Kennenlernens; grosser Altersunterschied (insbesondere deutlich höheres Alter der Frau); Person mit Schweizer Aufenthaltsbewilligung gehört sozialen Randgruppe an; Verständigungsschwierigkeiten; mangelnde oder fehlende Kenntnisse der jeweils anderen Lebensumstände; fehlender Bezug zur Schweiz; widersprüchliche Aussagen; Eheschliessung gegen Bezahlung oder Überlassung von Drogen.

Die Scheinehe nachzuweisen ist Sache der Migrationsbehörde. Eine Scheinehe liegt nicht bereits dann vor, wenn auch ausländerrechtliche Motive den Eheschluss beeinflusst haben. Erforderlich  ist,  dass  der  Wille  zur  Führung  der Lebensgemeinschaft im Sinne einer auf Dauer angelegten Verbindung zumindest bei einem der Ehepartner gänzlich fehlt. Ausserdem muss die Scheinehe zum Zwecke der Umgehung von ausländerrechtlichen Bestimmungen eingegangen werden wollen, um sie verweigern zu können.

Wird der Rechtsmissbrauch nachgewiesen, können die Eheschliessung oder die  Erteilung  einer  Aufenthaltsbewilligung  für  den  ausländischen Ehegatten verweigert werden. Zusätzlich kann in diesem Fall die Ehe für ungültig erklärt werden. Auch der Anspruch auf Familiennachzug erlöscht in diesem Fall.

Wer eine Scheinehe eingeht, vermittelt oder fördert, kann zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder zu einer Geldstrafe verurteilt werden. Wer Geld dabei kassiert, riskiert eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe.

Quelle: Esther Hubacher, „Das Recht auf Ehe und Familienleben von Schweizerinnen und Schweizern in einer binationalen Beziehung mit einem oder einer Drittstaatsangehörigen“, Abschlussarbeit CAS Migrationsrecht, Universität Bern, 2020.

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Die Situation in Thailand

Seit dem Ausbruch des Coronavirus wurden in Thailand knapp 13‘000 Fälle gezählt. In der Schweiz leben im Vergleich acht mal weniger Menschen und wurden bislang knapp 500 000 Covid-Fälle registriert. Thailand fuhr von Beginn an eine restriktive Coronapolitik. Am 25. März schloss das Land seine Grenzen, erst im Oktober durften wieder erste Touristen einreisen. Und das, obwohl das Land ab Mai bis November als praktisch coronafrei galt. Aktuell sind (Langzeit-)Reisen nach Thailand zwar möglich, allerdings müssen sich alle Einreisenden in eine 14-tägige Quarantäne in einem der ausgewählten Quarantäne-Hotels begehen – es gibt unterdessen sogar eine Super-Luxus-Variante in einem Golf-Hotel. Für die Quarantäne muss man allerdings mindestens 1000 Euro ausgeben. Man braucht zudem ein Visum und selbstverständlich einen negativen Covid-Test. Seit Dezember werden nun wieder mehr Covid-Fälle verzeichnet, als Grund gilt ein Ausbruch unter burmesischen Arbeitern.

Der Ausfall des Tourismus hat das Land sehr hart getroffen. Politisch ist das Land eine konstitutionelle Monarchie. 2014 gab es einen Militärputsch, und im März 2019 fanden erstmals seitdem „demokratische“ Wahlen statt. Die Bevölkerung ist aber unzufrieden, und so kam es auch in Coronazeiten zu vielen Demonstrationen gegen Regierung und Königshaus. Laut Amnesty International wurde der Kampf gegen die Pandemie als Vorwand genutzt, um mittels Zensur gegen „Fake News“ und Regimekritiker vorzugehen. Gerade diese Woche wurde eine Frau wegen Majestätsbeleidigung zu 43 Jahren Haft verurteilt. Von Thailands König Maha Vajiralongkorn oder Rama X. ist bekannt, dass er grösstenteils in Bayern lebt.

Genauere Einreiseinformationen erhält man auf der Website der thailändischen Botschaft: https://thaiembassy.ch oder hier www.tourismthailand.ch/news-de

Stichwörter: Beziehung, Lyss, Scheinehe, Thailand

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