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Erlach

«Wir wollen Normalität ins Stedtli bringen»

In Twann und Ligerz sind die Läset-Sunntige abgesagt, in Erlach jedoch nicht: Das Winzerfest findet im Stedtli diesen und nächsten Samstag in einer abgespeckten Version statt, zwar ohne Umzug, dafür mit umso mehr Vorfreude.

Die OK-Mitglieder Beat Giauque, Martin Schneider und Simon Studer (von links) holen sich ihr Fest zurück. Matthias Käser
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Das erste, was Simon Studer, Martin Schneider und Beat Giauque am Wochenende nach dem Bettag machen, ist seit Jahrzehnten immer dasselbe: Sie strecken ihren Kopf aus dem Fenster und schauen gespannt gen Himmel. Ob da irgendwo eine Gewitterwolke sichtbar ist? Was, wenn der Regen kommt? Was, wenn er bis zum Festumzug bleibt? Es sind bange Momente für die drei Mitglieder des OK der Läset-Sunntige Erlach. Ein paar Tröpfchen Regen am Morgen, und schon würden etwa 1000 Leute weniger ans Winzerfest kommen, sagt Schneider. Die Läset-Sunntige finden seit jeher draussen im historischen Stedtli statt, mit prunkvollem Festumzug, für den die alten Trachten aus dem Estrich und die besten Tropfen aus dem Keller geholt werden. Dieses Wochenende wäre es wieder soweit. Doch aus den Läset-Sunntige wurden Läset-Samschtige, aus vier Tagen wurden zwei, der Umzug fällt weg, genauso wie der Läset-Weg.
 
Gefeiert wird in Erlach trotzdem: An den nächsten beiden Samstagen wird im Stedtli geschlemmt. Zwischen 16 und 24 Uhr gibt es Chasselas, Pinot Noir und ihre Artgenossen der vier Winzerbetriebe von Erlach und Tschugg, dazu fünf Essensstände, unter anderem mit Risotto, Bratwürsten und Fisch. Auch Musik wird nicht fehlen: Dabei sind etwa die Steel Band Lyss, die Lämpe Clique sowie Paul Flück und seine Ländlerfreunde, der mit dem Lied «Co-Co-Co-Corona» schweizweit bekannt wurde.
 
Ein Glas für fünf Franken
Wer Wein trinken will, kauft sich für fünf Franken ein Glas und lässt es anschliessend von den Winzern füllen. Das Glas muss man dann auch mit nach Hause nehmen, anders als in bisherigen Jahren, in denen das Glas vier Franken kostete und als Depot galt. Der Inhalt ist natürlich auch in diesem Jahr nicht gratis, dafür aber die Infos der Expertinnen über den Rebbau, das Weinjahr und die Erlacher Weinkultur. Und die hat tiefe und starke Wurzeln, was die drei OK-Mitglieder gut zum Ausdruck bringen. So war für die drei auch klar: Falls irgendwie möglich soll das Winzerfest stattfinden, anders als etwa in Twann und Ligerz, wo die Läset-Sunntige bereits abgesagt wurden. «Wir wollen ein wenig Normalität ins Stedtli bringen», sagt Studer. Zu Erlach gehöre einfach ein Weinfest. Und es gehört zu den Winzerinnen und Winzer, nicht nur wegen des Geschäfts, sondern auch für die Moral, für den Austausch sagt Schneider. An den Läset-Sunntige wird nämlich der Ernte gehuldigt, dem Wein, den Winzerinnen, dem Handwerk. «Die Läset-Sunntige sollen nicht vergessen werden», ergänzt Giauque.
 
Er ist der Schlosswinzer, im OK ist er seit 30 Jahren. Das Fest ist Teil von ihm, und er ist ein Teil des Fests. Da ist Schneider im Vergleich noch eher frisch im OK, seit 20 Jahren – er wohnt inzwischen in Tschugg. Und Studer ist in Erlach aufgewachsen, vor ein paar Jahren aber ebenfalls in die Nachbargemeinde ausgewandert. Doch auch sein Herz schlägt immer noch fürs Stedtli – und für den Wein. «Ich habe so viele schöne Momente an den letzten 30 Läset-Sunntige erlebt, das muss man einfach erhalten», sagt er.
 
Es gab wenig vorzubereiten
Im Bangen sind Studer, Schneider und Giauque mittlerweile Profis. Bereits im letzten Jahr planten sie mit einer abgespeckten Version des Festes, hofften bis zum Schluss - und sagten aufgrund der Pandemie dann doch ab. Immerhin: Vorzubereiten gab es für das OK heuer verhältnismässig wenig: Das Programm vom letzten Jahr musste nur noch aus der Schublade genommen werden.
 
Giauque rechnet damit, dass ihm die abgespeckte Version nur rund zehn Prozent der Einnahmen bescheren wird. Normalerweise lädt der Winzer an den Läset-Sunntige in seinen Keller und auf den Platz vor dem Schloss ein, mit Blick auf das Stedtli und die St. Petersinsel. In diesem Jahr werden er und seine Familie jedoch auf einen Stand ausweichen, das Schloss gehört nicht zum Festareal. Normalerweise ist das Erlacher Stedtli an den Läset-Sunntige bis obenhin voll, zwischen 3000 und 5000 Wein- und Erlach-Liebhaber nehmen jeweils teil. Das wäre heuer nur mit Covid-Zertifikat möglich. Das war für das OK keine Lösung. Das gesamte Stedtli müsste abgeriegelt und an allen Eingängen Kontrollen eingerichtet werden. «Dazu würden uns schon nur die Leute fehlen», sagt Schneider.
 
Wie viele Besucherinnen und Besucher kommen werden, sei schwer abzuschätzen, sagt Studer. Was, wenn all diejenigen, die sonst die Weinfeste in Ligerz und Twann besuchen, nun nach Erlach pilgern? Das würde der Platz auf dem Areal gar nicht zulassen, sagt Schneider. Die Strässchen im Stedtli sind eng, die Stände nahe beieinander. Das OK rechnet mit um die 500 Personen.
 
Der Chasselas 2021 wird rar
In den letzten Jahren hatten die Winzerinnen und Winzer laut Giauque jeweils eher zu viel als zu wenig Wein. Das werde nächstes Jahr anders. Besonders der Mehltau machte den Winzerinnen zu schaffen, breitete sich auf den Reben aus und machte einen Grossteil der Trauben unbrauchbar. Und er erschwert die Ernte: «Wir werden heuer wohl kaum ganze Trauben lesen können, sondern nur ‹beerelen›», so der Winzer. Nicht alle Sorten seien so stark vom Mehltau betroffen, der Pinot Gris sei grösstenteils verschont geblieben. Den Chasselas hingegen habe es arg erwischt, genauso wie den Diolinoir. Der Läset findet dieses Jahr verhältnismässig spät statt, Giauque rechnet mit Anfang Oktober. Normalerweise fallen die Läset-Sunntige genau auf die Erntezeit. Viel Stress für die Winzerinnen und Winzer. «Dieses Jahr haben wir jedoch einmal genügend Zeit zum Feiern», sagt Giauque. Das Fest künftig auf ein anderes Datum zu verschieben kommt für das OK jedoch nicht in Frage, genauso wenig wie für die Erlacherinnen und Erlacher. Eher noch liesse sich wohl der Bettag verschieben, oder der nationale Abstimmungssonntag, der ebenfalls jeweils an einem Läset-Sunntig stattfindet. Denn Tradition ist Tradition – und wird in Erlach wohl noch lange so bleiben.    Hannah Frei
 
Info: Läset-Samschtige, an zwei Samstagen, 25. September und 2. Oktober, jeweils von 16 bis 24 Uhr, im Bereich Märit, Schlossberg und Breitenweg in Erlach. Kein Covid-Zertifikat nötig.

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