Sie sind hier

Abo

Reise

Zu zweit mit dem Fahrrad durch den Himalaya

Acht Himalaya-Pässe haben die beiden Fotografen Brigitte Batt und Klemens Huber aus Fräschels 2014 auf dem Fahrrad bezwungen. Die 58-Jährige und der 53-Jährige sind seit 27 Jahren verheiratet und arbeiten seit 1996 gemeinsam als Werbefotografen. Die Route von Srinagar nach Manali in Nordindien beschreiben sie als eine der grössten Herausforderungen, die sie mit dem Fahrrad gemeistert haben.

Bild: zvg
  • Dossier

Hannah Frei

Die beiden flogen nach Srinagar im Bundesstaat Kashmir. Von dort aus, auf 1585 Meter über Meer, starteten sie ihre Fahrradtour. Höhenmeter um Höhenmeter fuhren sie bis zum höchsten Pass der Gegend, dem Khurdung La, auf 5359 Meter über Meer. Was Batt und Huber auf dieser Reise erlebt haben erzählen sie dem «Bieler Tagblatt».

Die Ausrüstung
Klemens Huber: Mit dem Flugzeug ging es über Delhi (Indien) nach Srinagar, im Gepäck unsere Fahrräder, Zeltausrüstung und unser Fotomaterial. Seit Neuestem haben unsere Fahrräder Nabendynamos im Vorderrad, mit denen wir das GPS und weitere Elektronik laden können. Denn im Himalaya ist ein Stromanschluss Mangelware.

Brigitte Batt: Eine gute Ausrüstung ist für eine solche Tour unabdingbar. Vor der Reise waren wir zwar viel mit dem Velo unterwegs, jedoch nie in solchen Höhen mit so viel Gepäck: Klemens hatte 45 Kilogramm geladen, ich zum Glück nur 25 – ohne Trinkwasser und Essen. Zudem wiegen unsere Touren-Räder von der Marke Aarios zirka 17 Kilogramm. Die Fahrräder sind massgeschneidert und Schweizer Qualität. Davon haben wir auf der Tour so richtig profitiert. Es wäre unvorstellbar gewesen, Fahrräder dort zu mieten. Für eine solche Tour braucht man sein eigenes, stabiles Fahrrad, auf das man sich verlassen kann.

Weshalb mit dem Fahrrad?
Brigitte Batt: Als wir beide um die 30 Jahre alt waren, hatten wir die Idee, eine grosse Fahrradreise zu machen. Doch dann kam uns die Arbeit dazwischen und der Traum verschwand in der Versenkung. Zirka 20 Jahre später sagten wir uns dann: «Jetzt oder nie mehr.» Nach unserer ersten langen Fahrradreise stand für uns fest, dass das Fahrrad das beste Reisemittel ist. Denn auf dem Velo bekommt man wirklich mit, wie ein Land funktioniert und was die Menschen bewegt. Auf einer Reise mit dem Auto ist man immer in einem Gehäuse, isoliert von der Aussenwelt. Dies ist auf dem Fahrrad ganz anders: Man kann jederzeit absteigen und kommt sofort mit allen Menschen in Kontakt. Je nach Kultur und Religion kommen die Menschen auf einem zu, sobald man vom Fahrrad steigt – und manchmal auch schon vorher. Manche nehmen einem fast das Fahrrad auseinander, weil sie so interessiert sind. Andere sind zurückhaltender und brauchen ein wenig Angewöhnungszeit.

Klemens Huber: Pro Tag haben wir über 1000 Höhenmeter gemacht. Dies klingt vielleicht nicht nach viel, doch auf 4000 Meter über Meer ist die Luft sehr sauerstoffarm und das Klima rau. Mit dem Fahrrad und einem Zelt ist man sehr flexibel. Man hält dort, wo man sich wohlfühlt, und schlägt sein Zelt auf. Schon ist man zuhause: Man wäscht sich, man kocht und isst und geht danach ins Bett. Zudem ist das Zelt unabdingbar, denn oft gibt es keine anderen Unterkünfte.
Brigitte Batt: Die Strecke durch den Himalaya ist eine der härtesten, die man mit dem Fahrrad machen kann. Die ungewohnte Höhe und die teils extrem schlechten Strassen machen einem zu schaffen. Doch die Herausforderung und die Strapazen haben sich gelohnt. Wir schwärmen heute noch vom tiefen Blau des Himmels.

Eine Kulturreise
Klemens Huber: Die Route ist besonders interessant, da sie vom muslimisch geprägten Srinagar entlang der pakistanischen Grenze ins buddhistische Ladakh und anschliessend hinunter in die hinduistisch geprägten Dörfer des Himachal Pradesh führt. In diesen bergigen Gebieten sind die Leute sehr religiös. Schon von Weitem konnte man am Baustil die Religionszugehörigkeit erkennen. Oft geht eine Art Trennlinie durchs Tal – hier noch ein Dorf mit zwei Moscheen und im nächsten Weiler ladakische Häuser, Gebetsmühlen und Klöster. In Leh, der Hauptstadt von Ladakh, werden die unterschiedlichen Religionen beeindruckend friedlich nebeneinander gelebt.

Brigitte Batt: Für uns sind Zentralasien und der Himalaya die interessantesten Gebiete der Welt. Dort ist Reisen noch ein richtiges Abenteuer. Man trifft auf Welten, die uns Europäern fremd sind. Die stolzen Nomaden entlang der indisch-pakistanischen Grenze, die gastfreundlichen Tadschiken und Afghanen am Panj im Pamir, die interessierten und fröhlichen Einwohner von Kargil oder die gläubigen Ladaki – sie alle sind Menschen, welche uns tief beeindruckt haben.

«Am besten spricht man Schweizerdeutsch»
Klemens Huber: Ich denke, dass wir in einer besonderen Art und Weise auf Menschen zugehen. Auf der Himalaya-Tour hatten wir unzählige berührende Begegnungen. Aus Erfahrung wissen wir, dass die Kommunikation zwischen uns und den Einheimischen, die kein Englisch verstehen, am besten funktioniert, wenn jeder in seiner Sprache spricht. Denn die Fragen waren immer dieselben: Woher kommt ihr? Seid ihr verheiratet? Wie viele Kinder habt ihr?

Brigitte Batt: Und dann konnten wir meist der Reihe nach die Standardfragen beantworten, ohne ihre Fragen wirklich verstanden zu haben. Wenn dann alle gestikulierten und durcheinanderredeten, klang es wie Kauderwelsch. Meistens lachten dann alle, weil man sich so gut verstand. Doch ganz alles konnte man auf diese Weise nicht klären, wie zum Beispiel: Warum essen Kinder im Ramadan Glace? Unsere Antwort darauf: Vielleicht hat Mohammed die Glace noch nicht gekannt und es deshalb nicht verboten.

Fahrradfahren auf über 4000 Meter über Meer
Klemens Huber: Die Strecke von Srinagar bis Manali – 1100 Kilometer und 16500 Höhenmeter – haben wir in sechs Wochen hinter uns gebracht. Insgesamt waren wir 17 Tage im Sattel. Das klingt vielleicht nicht nach viel, aber das Klima dort oben ist nicht zu unterschätzen. An manchen Orten ist es total trocken und heiss, an anderen kalt und nass. Dies ist für den Körper extrem fordernd.

Brigitte Batt: Ich habe mir das Leben in der Höhe anders vorgestellt. Die grösste Herausforderung war das Angewöhnen. Ich dachte, dass man sich langsam akklimatisieren kann. Während dem Fahren war das auch kein Problem. Doch wenn wir irgendwo angekommen waren und unser Zelt aufgestellt hatten, legten wir uns meist kurz hin. Wir waren dann so müde und fertig, dass wir gleich in den Tiefschlaf gefallen sind. Da unser Organismus noch nicht an die Höhe gewöhnt war und die Lunge beim Schlafen «vergass», richtig tief zu atmen, sind wir nach wenigen Minuten wieder erwacht und hatten eine Art Erstickungsanfall. Zum Glück war das nach einiger Zeit vorbei.

Reine Kopfsache
Brigitte Batt: Es gibt viele Menschen, die uns gesagt haben, dass sie eine solche Tour nie schaffen würden. Doch ich finde, Fahrradfahren ist eine reine Kopfsache. Das kann eigentlich jeder, der gesund ist. Fahrradfahren findet im Kopf statt. Wenn man sich auf einer Radtour fragt, was man denn eigentlich hier macht, hat die Krise bereits begonnen. Ich habe immer versucht, mir zu sagen, dass mich jede Umdrehung der Pedale einen Meter weiter und näher zum Ziel bringt. Wenn der Kopf will, kann man beim Fahrradfahren auch in den anstrengendsten Etappen in eine Art Trance geraten. Dann schweifen die Gedanken ab und man widmet sich seinen Träumen. Andere würden es Meditation nennen.

Im Pamir-Gebirge mussten wir vielerorts das Fahrrad stossen, da die Wege zu steil waren. Und dort hatten wir trotz scheinbar endlosen Anstrengungen einen der besten Momente unseres Lebens. Wie aus dem Nichts tauchten plötzlich ein paar einheimische Kinder auf, die zum Glück denselben Weg hinauf mussten wie wir. Sie haben dann ihr Gepäck – Pfannen, Töpfe und Säcke – auf mein Fahrrad gepackt und halfen mir dafür, das Velo auf den Pass zu schieben. Sie kamen mir vor wie Engel, die im richtigen Moment erschienen. Diesen werde ich niemals vergessen. Aufgezeichnet von Hannah Frei

Stichwörter: Reise, Velo, Fahrrad, Route, Seeland, Asien

Kommentare

mstuedel

Toller Reisebericht. Da kommt man so richtig ins Träumen! Die Pedal-Trance kenne ich aus eigener Erfahrung, damals durch die Wüste Nevadas. In diesem Zustand pedalt man vermeindlich ohne Anstrengung und ist wie in einem Schwebezustand. Man muss sich allerdings auch mal daraus losreissen und zur Trinkflasche greifen, will man nicht dehydrieren. Zur Frage nach der Kinderglace im Ramadan, welche unbeantwortet blieb: Die Fastenpflicht für praktizierende Muslime gilt erst ab Pubertät, siehe hier: http://www.religionen-entdecken.de/eure_fragen/fasten-alle-muslime-auch-kinder


Seiten

Nachrichten zu Seeland »