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Grenchen

Zusammenstehen in schweren Zeiten

Während des Ersten Weltkriegs hat die Gemeinnützige Gesellschaft Grenchen als Anlauf-, Auskunfts- und Weiterbildungsstelle in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens gedient. So konnte die Bevölkerung die schwierigen Zeiten besser überstehen.

1916 führte die GGG Schulgärten ein. Den Erlös aus dem Verkauf der Ernte konnten die Jugendlichen behalten. Bild: zvg

RAINER W. WALTER

Im Herbst des ersten Kriegsjahres 1914 wurde in der Gemeinnützigen Gesellschaft Grenchen (GGG) eine Frauenkommission eingesetzt und dieser der Auftrag erteilt, eine Kleiderstube zu eröffnen und zu führen. Zeitungsaufrufe führten dazu, dass von der Bevölkerung zahlreiche Wäsche- und Kleidungsstücke abgegeben wurden, die dann im neuen Schulhaus (Schulhaus II) gelagert und verarbeitet wurden. An drei Abenden pro Woche gingen freiwillig arbeitende Frauen daran, diese textilen Stücke instand zu stellen. Frauen, die tagsüber in den Fabriken arbeiteten, konnten abends in dieser Werkstatt ihre eigenen Kleidungsstücke unter Anleitung und mit Hilfe von Arbeitslehrerinnen und Schneiderinnen flicken. Die wieder instand gestellten Kleidungsstücke wurden an Bedürftige verteilt. Die am Projekt beteiligten Frauen waren ausserordentlich fleissig; innerhalb von vier Monaten konnten 503 Kleidungsstücke instand gestellt und vermittelt werden.

Sehr auf die Zeitereignisse abgestimmt lautete der Titel eines Vortrages von Frau Staatsanwältin Glättli (Präsidentin der Zentralstelle für Frauenhilfe in Zürich): «Zweckmässiges und billiges Kochen unter Berücksichtigung der Kochkiste». Erstaunlich: Über 200 Personen folgten dem Vortrag und erhielten anschliessend eine Druckschrift mit Anleitungen für eine bessere Ernährung. Ein zweiter Vortrag, diesmal gehalten von Frau Müller-Vögeli zum Thema «Die Milch und ihre Verwertung im Haushalt» stiess auf ebenso grosses Interesse.

Damit nicht genug: Die Gemeinnützige Gesellschaft organisierte einen Gemüseanbaukurs. Adolf Schild sen. stellte das notwendige Land zur Verfügung, und Landwirt Cäsar Vogt pflügte es so um, dass Gärtner Fröhlicher mit den 30 Interessierten den mehrteiligen Kurs in Angriff nehmen konnte. Dieser Kurs wurde im darauffolgenden Jahre fortgesetzt, und dem Grenchner Ferienheim in Prägelz konnte die GGG vier Körbe besten Grenchner Gemüses schenken.

 

Gärten für Schüler

1916 - noch immer litt die Bevölkerung unter dem Ersten Weltkrieg - setzte der Vorstand eine Kommission zur Einführung von Schulgärten ein. Ein Vorstandsmitglied stellte das notwendige Grundstück zur Verfügung. Ein Geräteschuppen wurde mit Hilfe einer Kollekte bei den Unternehmungen und unter Einsatz der Kursgelder der Schülerinnen und Schüler errichtet. Mehrere Lehrerinnen und Lehrer sowie eine Gruppe Privater leiteten das Unternehmen. Schülerinnen und Schüler der 5. bis 7. Primarschulklasse konnten sich am Anbau beteiligen. Jeder Jugendliche erhielt 15 Quadratmeter Land zugeteilt. Auf dieser Parzelle mussten die Schüler einerseits einem übergeordneten Plane folgend Gemüse anbauen, andererseits konnten sie aber auch Blumen ziehen. Der Erlös aus dem Verkauf blieb bei den Jugendlichen. Sie mussten fünf Franken bezahlen, wobei zwei Franken als Haftgeld galten, das ihnen im Herbst zurückerstattet wurde.

Im Jahresbericht der Gemeinnützigen Gesellschaft ist nachzulesen, aus welchen Gründen der Schulgarten eingeführt wurde: «Durch diese Einrichtung hoffte die Gemeinnützige Gesellschaft, einen kleinen Teil der Schuljugend dem Gassenleben etwas zu entziehen und dadurch dem Müssiggang und der Verwahrlosung entgegenzuarbeiten.» Der Pädagoge Dr. h.c. Karl Stieger sah in seinen pädagogischen Konzepten den Schulgarten als wichtiges Betätigungsfeld der Schuljugend.

Der Schulgarten stiess auf gutes Echo und wurde in den folgenden Jahren mit ungebrochenem Erfolg fortgesetzt. Die Schulgärten existierten noch in den Siebziger- und zum Teil gar in den Achtzigerjahren. Interessant ist die Tatsache, dass die GGG das Leiterteam der Schulgärten nach zwei Jahren bereits in die Selbstständigkeit entliess und sich mit der Oberaufsicht begnügte. Das Gerätehüttchen ging in die Obhut der Schulkommission.

 

Keine Vegetarier

Mit Feuereifer ging der Vorstand der GGG im Winter 1915/16 daran, hauswirtschaftliche Kurse vorzubereiten. Noch immer galt die Kochkiste als modernes und vor allem zweckmässiges Kochgerät, und entsprechend sollte es in den Kursen auch propagiert werden. Dann aber entschied der Vorstand, die Kurse sollten so angelegt werden, dass der Fleischkonsum in der Bevölkerung stark eingeschränkt werde. Vor allem aber sollte auf die Verwendung von teuren Fleischsorten vollständig verzichtet werden. Als Alternative wurden Milch und Milchprodukte sowie die vermehrte Verwendung von Obst und Gemüse propagiert. Ein kluger Vorschlag. Die Vorstandsfrauen der Gesellschaft erarbeiteten zusammen mit den Kursleiterinnen einen entsprechenden Speisezettel, bei dem die Hälfte der Menüs fleischlos, jedoch trotzdem abwechslungsreich war.

Dazu wurde später im Jahresbericht festgehalten: «Merkwürdigerweise wurde im Verlaufe des Kurses, der mit 16 Teilnehmerinnen abgehalten wurde, bei der Leitung reklamiert, der Speisezettel müsse abgeändert werden. Zu Hause hätte man auch alle Tage Fleisch.» Basta! Fleischlos leben mochten die Grenchner auch in sehr schwierigen Zeiten nicht.

 

Siegeszug der «Bülacherin»

Während der Kriegsjahre wurde bisher Selbstverständliches und Gewohntes hinterfragt. Im August 1916, gerade rechtzeitig, bevor in den Gärten geerntet werden konnte, organisierte die GGG einen Konservierungskurs für Gemüse und Früchte. Es wurde eine zeitgemässe Methode vermittelt, nach der man auf Zucker und die Verwendung eines Sterilisationsapparates verzichten konnte. Der Andrang war derart gross, dass 40 Interessierte abgewiesen werden mussten. Im Verlaufe des Kurstages wurde gezeigt, wie die weithalsigen Bülacher Kochflaschen verwendet und damit auf die weit teureren Sterilisationsgläser verzichtet werden konnte. In der Folge erfreute sich die «Bülacherin» eines derartigen Erfolges, dass die GGG diese zu Hunderten direkt ab Fabrik bezog.

 

Info: Der Autor berichtet in loser Reihenfolge über historische Begebenheiten aus Grenchen.

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