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Fahrradbranche

Bieler Technologie im MTB-Weltcup

Der Velohersteller Scott hat für das neue Rennbike von Spitzenathlet Nino Schurter das Patent der Bieler Tochtermarke Bold genutzt. Hat diese nun noch eine eigenständige Zukunft?

Bild: zvg

Tobias Graden

Morgen um 14.50 Uhr wird Nino Schurter ganz kräftig in die Pedale seines Mountainbikes treten, um sich beim Start des Crosscountry-Weltcuprennens im österreichischen Leogang eine gute Ausgangslage zu verschaffen. Das dritte Rennen der Saison ist überaus wichtig, schliesslich geht es gegen Olympia zu. Der Schweizer Spitzenfahrer, derzeit Führender des Gesamtklassements, ist einer der Favoriten für den Sieg. Zusätzlichen Schub dürfte ihm sein neues Gefährt verleihen: Erstmals tritt Schurter mit dem komplett neu entwickelten Scott Spark an, das der Schweizer Hersteller diese Woche im Salzburgerland der internationalen Fachpresse vorgestellt hat.

 

«Wer hats erfunden?»

Das neue Spitzenmodell des Bikeproduzenten mit Sitz im freiburgischen Givisiez sieht ganz anders aus als herkömmliche Crosscountry-Bikes. Es ist vollgefedert, doch den Hinterbaudämpfer sieht man von aussen nicht – er ist im Innern des Carbonrahmens über dem Tretlagerbereich angebracht. Kein anderer grosser Hersteller baut ein solches Bike; üblicherweise sind die Dämpfer unter dem Oberrohr oder wie bisher bei Scott entlang des Sitzrohrs montiert.

Über die Herkunft dieses Merkmals macht Scott in seiner offiziellen Kommunikation keine Angaben, sondern spricht von einer Eigenentwicklung. Doch wer es genauer weiss, äusserte am Donnerstag in den sozialen Medien ironische Kommentare: «Sticker-Set verwechselt?», «Wer hats erfunden?...» oder «Oh, ein Scold!» hiess es. Damit wird auf die kleine Bieler Bikemarke Bold verwiesen, die mit genau diesem Alleinstellungsmerkmal – dem «versteckten» Dämpfer – im Jahr 2015 in den Markt eintrat.

Im Frühling 2019 verkaufte Bold-Gründer Vincenz Droux die Mehrheit an seinem Unternehmen an Scott. Eine grosse Chance sei dies, sagte Droux damals gegenüber dem «Bieler Tagblatt», Bold habe nun andere Konditionen im Einkauf und Zugriff auf ein grosses internationales Händlernetz.

Aber natürlich war ihm damals schon klar, worum es dem Käufer ging: um die Bold-Technologie, die durch ein Patent geschützt ist.

 

Weitere Linien folgen

«Die Bold-DNA ist sicher nicht ganz abzustreiten», sagt Droux denn auch zum neuen Scott-Modell. In dessen Entwicklung war er lediglich in beratender Funktion beteiligt. Die Scott-Ingenieure arbeiteten unter Nutzung des Bold-Patents eigenständig, tauschten sich aber gelegentlich mit Droux aus. «Alle Rahmenteile wurden komplett in Givisiez gezeichnet», sagt Vincenz Droux. Bei genauer Betrachtung unterscheidet sich das Scott-Modell in zahlreichen technischen Details von einem Bold. Allerdings ist absehbar, dass Scott das Bold-Patent nicht nur für seine Crosscountry-Modelle, sondern auch für andere Segmente nutzen wird. Pascal Ducrot, Vizepräsident von Scott, bestätigt dies auf Anfrage: Es sei natürlich, «dass wir diese herausragende Idee als Grundprinzip auch in weiteren Modellreihen einsetzen werden, sofern diese Sinn macht».

In Frage kommen vor allem die Linien Genius und Ransom, also die Bikes mit mehr Federweg – und diese werden dann direkt die bestehenden Modelle von Bold konkurrenzieren. Dies führt zur Frage: Wird Bold überhaupt als eigenständige Marke weitergeführt werden, oder geht sie gänzlich in Scott auf?

 

Alleinstellungsmerkmal weg

Pascal Ducrot gibt Entwarnung: «Wir werden Bold nicht nur als eigenständige Marke mit Entwicklung in Biel weiterführen, sondern ihr auch die Tools geben, um sich zu entfalten und auch bereits in diesem Jahr internationale Märkte zu erschliessen.» Die Ausgangslage für die Bieler ist jedoch komplett neu: «Wir haben unser bisheriges Alleinstellungsmerkmal nicht mehr», sagt Vincenz Droux, «wir müssen also beweisen, dass es andere Gründe gibt, dass wir eigenständig bleiben.»

Diese Gründe will Bold allenfalls im Herbst, spätestens aber Ende Jahr aufzeigen. Droux verspricht ein neues Modell, für das man «andere Evolutionsschritte» getan habe. Konkreter wird Droux noch nicht, sagt aber: «Wenn der Fokus bei Scott aus dem internationalen Rennsport kommt, bezieht sich die Bold-DNA stärker auf den ambitionierten Trail- und Enduro Biker, der eine andere Sichtweise mitbringt und anders gelagerte Ansprüche ans Produkt stellt.» Pascal Ducrot ergänzt: «Es wird nicht nur eine visuelle Abgrenzung geben, sondern auch eine technische.»

Das Scott Spark ist derweil von den Fachmedien mit grossem Hallo aufgenommen worden. Das deutsche Magazin «Bike» bezeichnet es als möglichen «Zündfunken einer Revolution». Das Spark ist nämlich das erste Rennbike, das nicht mehr wie bis anhin mit 100 Millimetern Federweg auskommt, sondern mit 120 bis 130 und sich damit dem Segment der so genannten Trailbikes annähert. Es ist anzunehmen, dass andere Hersteller dem Trend folgen werden – vor allem dann, wenn Nino Schurter nicht nur morgen, sondern auch für den Rest der Saison mit seinem neuen Scold, pardon: Scott Erfolge einfahren wird.

Stichwörter: Fahrrad, Verkehr, Velo, Bike, Wirtschaft

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